Staatspunkrott, Bilderbuch, Silbermond: Deutsche Bands haben oft peinliche Namen. Schuld daran ist unter anderem das Internet, hat unser Autor herausgefunden.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Schrottgrenze. Staatspunkrott. Marathonmann. Massendefekt. Rosenstolz. Blumentopf. Kraftklub. Frittenbude. Bilderbuch. Ja, die Rede ist von Bandnamen, genauer: bescheuerten Bandnamen. Deutschen Bandnamen. Einer Tradition, die bestens gepflegt wird. Wer ist Schuld?

 

Beginnen wir die Ursachensuche beim Kommerz. Diesen üblen Zeitgenossen wittern kritische Beobachter bei all jenen, die mit ihrer Musik Geld verdienen wollen, deren Songs man schon beim ersten Hören mitsingen kann. Wer erfolgreich sein will, den muss man wiedererkennen – die Musik ebenso wie den Bandnamen. Gruppen wie Silbermond, Luxuslärm, Karpatenhund, Dezemberkind, Phrasenmäher, Kleinstadthelden, Glasperlenspiel oder Tonbandgerät haben das scheinbar Ungewöhnliche im Namen, Neuschöpfungen oder im Alltag selten benutzte Worte. Letztlich sind diese Namen aber so harmlos wie der Deutschpop, den alle genannten Gruppen spielen.

Google ist auch Schuld

Google ist der kleine Bruder der Profitgier. Klaro: Neologismen werden im Netz leichter gefunden als Allerweltsnamen. Wer wissen will, wann die Band Gloria in Stuttgart auftritt (richtige Antwort: 11. Oktober), dem wird die Suchmaschine wahrscheinlich zuerst etwas vom Kinoprogramm am Schlossplatz erzählen. Auch das Stuttgarter Rap-Duo Sam hätte sich suchmaschinenoptimierter benennen können. Den schwersten Stand hat diesbezüglich die New Yorker Band !!! – googlen Sie das mal. Insider wissen immerhin, dass das lautmalerische „Chk Chk Chk“ weiterhilft.

Aber es soll ja um deutsche Bands gehen. Hierzulande findet man keine Gruppe mit google-untauglichen Namen, wenn Einrichtungen wie die Popakademie oder das Popbüro beim marktkonformen Start in die Popwelt helfen. Die Gruppe Antiheld etwa, die 2014 den vom Popbüro geförderten, landesweiten Bandwettbewerb Play Live gewonnen hat, hieß früher Johnny Ton. „Die haben uns gesagt, dass wir unsere Corporate Identity überarbeiten sollten“, erzählt der Sänger Luca Opifanti. Antiheld habe man erst als abgedroschen empfunden, „aber am Ende trifft’s das, was wir machen, ganz gut“. Im Pressetext heißt es: „Antihelden leben nicht auf dem Land, die leben in Gotham City oder anderen Metropolen. Oder halt in Stuttgart.“

Für manche mag das alternativ klingen, es ist vor allem: ziemlich angestrengt. Immerhin trifft die Band nicht die volle Schuld. „Es sind einfach schon zu viele Bandnamen dagewesen", sagt der Geschäftsführer der Popakademie in Mannheim, Udo Dahmen. „Klar geht es darum, dass man bei Google gefunden wird. Manche Namen sind rechtlich geschützt, die darf man nicht nehmen.“ Die Allianz hat es trotzdem versucht und benannte sich nach einem Rechtsstreit mit der Versicherung in „Band ohne Namen“ um. Was wiederum ein guter Name ist.

Früher war alles einfacher

Jedenfalls ist die Bandnamensuche heute ungleich schwieriger als in den Anfangstagen der Popmusik. Damals machte man sich über Markenrechte keine Gedanken, nannte sich einfach wie eine englische Band – The Lords zum Beispiel – und griff zur Gitarre. Wenn eine Band aber ursprünglich Manga hieß, sich dann in Tsunamikiller umbenannte und nach der Flutwelle in Thailand nicht mehr so heißen wollte – dann versteht man zumindest ein bisschen, warum sie sich den so einmaligen wie bescheuerten wie harmlosen Namen Revolverheld gibt. (Die Erklärung der Band muss man hingegen nicht verstehen: „Bei Revolverheld hatten wir gleich die Assoziation, dass jemand mit Worten auf einen zuschießt.“)

Das mit den „originellen“ Bandnamen hat laut Udo Dahmen in den späten Sechzigern angefangen, als deutsche Popmusik sich von den angloamerikanischen Vorbildern löste. Krautrocker gaben sich seltsame Namen wie Amon Düül oder Popol Vuh. In den Siebzigern wurde es mit Rockbands wie Lake oder Atlantis langweiliger, dann kamen Punker und Post-Punker mit ihrem „Zeitgeistsarkasmus“, wie der Musikprofessor Dahmen es nennt. Palais Schaumburg benannten sich nach dem Dienstsitz des Bundeskanzlers, die Goldenen Zitronen nach einem Preis für schlechte Autos, der Name Einstürzende Neubauten kommentiert die Bauqualität billiger Wohnblöcke. Und dann waren da noch Kastrierte Philosophen, Abstürzende Brieftauben, Die angefahrenen Schulkinder . . .

Was rät die Popakademie Musikern auf Namenssuche? „Man sollte sich klar machen, welche inhaltlichen Konzepte man vertritt. Vielleicht will ich etwas sehr Plakatives oder eher einen assoziativen Zusammenhang – oder einen genretypischen Namen?“, sagt Udo Dahmen. Und bei Google müsse man auch gefunden werden.

Bandnamen, wissenschaftlich gesehen

Bandnamen sind nicht bloß ein Marketinginstrument. Der Hannoveraner Germanistikprofessor Peter Schlobinski hat jüngst mit drei Kolleginnen einige der knapp 17 000 Bandnamen, die auf der Website bandliste.de eingetragen sind, sprachwissenschaftlich untersucht. Die Forscher zeigen, dass jedes Genre eigene Besonderheiten hervorbringt. Diese „sind wie szenespezifische Wörter Spiegelungen sub- und teilkultureller Identitäten“, so die Forscher. Sag mir deinen Namen und ich sag dir, welche Musik du machst!

Es dürfte dem popmusikalisch Unbelecktesten klar sein, dass Antiheld einen anderen Sound hat als Punkbands wie Angeschissen aus Hamburg, Brutal Verschimmelt aus Kempten oder die Gruppe Ätzer 81, deren Song „Stuttgart Kaputtgart“ in der Stuttgarter Szene jeder kennt. Schlobinskis Analyse ergibt, dass Punkbands widerborstige, oft fäkal orientierte Namen bevorzugen, die „nicht selten Rebellion, Kritik und Protest ausdrücken“. Fußnote: Nur Schlagerkünstler geben sich noch häufiger deutsche Namen als Punkbands.

Diese Bands machen es richtig

Leider wurde es namenstechnisch nach Punk nicht besser. Deutsche-Welle-Bands bevorzugten Quatschnamen wie Ideal, Geier Sturzflug, Extrabreit oder Lusthansa. Deutschrappern fallen seit Anfang der Neunziger zwar viele originelle Texte ein, nicht aber gute Bandnamen – weder der Spaßfraktion (Die Fantastischen Vier, Fettes Brot) noch den aktuell angesagten Gangstarappern: Prinz Porno, Antilopen Gang, Haftbefehl. Alles böse Buben, ja ja!

Deprimierend daran ist, dass es gar nicht besser werden kann. Jede neu gegründete Band reduziert die Zahl noch unbenutzter Bandnamen. Manche Musiker flüchten sich in ihrer Verzweiflung in Wortspiele, wie die Berliner Band Budzillus oder das Popehepaar Sea + Air.

Vor dem Hintergrund so vieler schlechter Beispiele muss man Rammstein und Kraftwerk bewundern. Deren Namen wecken sogar in amerikanischen Köpfen die richtigen (Klang-)Bilder. Bei Der Nino aus Wien weiß man zumindest, mit wem man es zu tun hat. Und es soll Leute geben, die sich Konzerte von Blockflöte des Todes, Käpt’n Peng & Die Tentakel von Delphi oder Hildegard von Binge Drinking allein wegen deren Namen ansehen. Da kann man nur sagen: Alles richtig gemacht!