In der Bankszene gibt es Zweifel, dass John Cryan, Co-Chef der Deutschen Bank, bei seinem Umbau so radikal vorgehen kann, wie er gerne möchte. Womöglich hindert ihn der Aufsichtsratschef daran.

Frankfurt - Als Josef Ackermann Ende Mai 2012 im Café des Frankfurter Kunstmuseums Städel den Abschied seines Pressechefs feierte, war für ihn die Welt noch rundum in Ordnung. Es war auch der Abschied des Schweizers von den Frankfurter Journalisten, der nach zehn Jahren an der Spitze der Deutschen Bank nach eigener Aussage nun endlich das wahr machen konnte, was er schon drei Jahre früher hatte machen wollen: seinen Ruhestand genießen. Nicht nur Ackermann war trotz der schon damals sichtbaren Skandale und Pannen mit sich zufrieden, auch sein „Ziehvater“ Hilmar Kopper, ein Urgewächs der Deutschen Bank, der ihn 1996 aus der Schweiz an den Main geholt hatte, lobte die Arbeit des Managers: Ackermann habe alles richtig gemacht. Nur die Umbenennung vom Vorstandssprecher zum Vorstandsvorsitzenden sei ein Fehler gewesen, krittelte Kopper später.

 

Etliche Sparten werden neu zugeschnitten

Wenn man heute auf die Deutsche Bank blickt, gut drei Jahre nach Ackermanns Abschied, ist von der Selbstzufriedenheit nichts mehr zu spüren. In den Doppeltürmen in der Frankfurter Innenstadt herrscht auf allen Ebenen Unsicherheit. Und auch in New York und London, wo in den vergangenen zwei Jahrzehnten das eigentliche Machtzentrum der Bank lag, hat das große Zittern begonnen. Mit „Leistung aus Leidenschaft“, dem Werbeslogan der Bank, hat das ebenso wenig zu tun wie mit dem „Vertrauen ist der Anfang von Allem“, womit die Bank in früheren Jahren für sich warb. John Cryan, der Anfang Juli als Co-Chef begann und im nächsten Jahr die alleinige Führung übernimmt, hat klar gemacht, dass er die Bank tatsächlich von Grund auf erneuern will. So werden etliche Sparten neu zugeschnitten und die Führungsgremien neu geordnet. Selbst im Vorstand bleibt nichts wie es war, alte Vorstände gehen, neue kommen – und das bisher mächtige erweiterte Vorstandsgremium „Group Executive Comitee“ wird sogar aufgelöst.

Im Fokus des Umbaus steht vor allem das Investmentbanking. Es wird in zwei Sparten aufgeteilt – auf der einen Seite das Geschäft mit Aktien- und Anleihenemissionen, sowie die Beratung bei Fusionen und Übernahmen, und auf der anderen Seite das Handelsgeschäft. So gehört die Deutsche Bank zum Beispiel zu den weltweit führenden Instituten im Anleihenhandel. „Die Bank wird sicher mehr auf die Wünsche der Kunden hören“, sagt ein Analyst. Ein Vorbild gibt es für die Investmentbanker wenige Meter weiter: Die Commerzbank verzichtet schon seit zwei Jahrzehnten auf den spekulativen Eigenhandel.

Eigentlich müssten die Investmentbanker noch mehr bluten

In einem Brief an Aktionäre und Mitarbeiter hatte der Brite Cryan bereits Anfang Oktober angekündigt, dass es für alle Beteiligten Einschnitte geben werde. Keine Dividende, ein Milliardenverlust – und nun werden auch die Beschäftigten ihren Teil zum Sparkurs beitragen müssen. Zwar ist immer noch nicht klar, wie der wohl unausweichliche Personalabbau genau ausfallen wird – Einzelheiten dazu will Cryan am Donnerstag verkünden. Klar ist aber, dass vor allem die lange Zeit vom Erfolg verwöhnten Investmentbanker besonders zur Verantwortung gezogen werden. Rund drei Milliarden Euro hatte die Deutsche Bank noch im vergangenen Jahr unter der Doppelspitze Anshu Jain und Jürgen Fitschen an die Führungskräfte ausgeschüttet, bei denen ein Teil ihres Einkommens vom Erfolg abhängig ist. Kein Erfolg, kein Bonus, so die einfache Devise des neuen starken Mannes. Um mindestens ein Drittel werden nach bisherigen Informationen die Sonderzahlungen für 2015 niedriger ausfallen.

Eigentlich müsste der Einschnitt noch höher ausfallen, meinen Analysten. Aber davor könnte sich auch der so forsch auftretende Cryan scheuen, denn auch er kann nicht unabhängig vom Aufsichtsratsvorsitzenden Paul Achleitner agieren, schon gar nicht gegen ihn. Achleitner kam Ende Mai 2012 von der Allianz in den Aufsichtsrat der Bank und war einer der Befürworter der neuen Doppelspitze von Anshu Jain und Jürgen Fitschen. Auf den ersten Blick keine schlechte Entscheidung, denn Jain war in der inzwischen immer globaler agierenden Bank bestens vernetzt, war als langjähriger Leiter des Investmentbanking der Mann, der der Bank Milliarden eingebracht hatte. Fitschen hat beste Industriekontakte und bewegt sich mit großer Sicherheit auf dem politischen Parkett.

Anshu Jain, der Bock als Gärtner

Gerade die letzte Eigenschaft war man von der Deutschen Bank über Jahrzehnte hin gewohnt. Die Worte eines Hermann-Josef Abs oder des ebenso unvergessenen Alfred Herrhausen hatten immer Gewicht. Diese Rolle sollte Fitschen ausfüllen, weil sie dem indisch-stämmigen Engländer Jain nicht zugetraut wurde. Gemeinsam verkündete die Doppelspitze dann, dass man als Konsequenz aus der Finanzkrise dem Institut einen „Kulturwandel“ verordnen wolle. Auslöser war die Flut an Rechtsstreitigkeiten, die auf die Bank zurollte.

Doch während Jain und Fitschen knapp ein Jahr nach ihrem Amtsantritt tatsächlich einen neuen „Unternehmenskodex“ präsentierten, fanden sie gegen die Verfehlungen der Vergangenheit kein Mittel. Während andere Großbanken sich schneller, zum Teil auch recht teuer, mit den Behörden in den USA oder Europa einigten, wurde die Deutsche Bank für ihre mangende Kooperation immer wieder kritisiert. Möglicherweise, so vermutet ein Banker rückblickend, lag das auch daran, dass man den „Bock zum Gärtner“ gemacht habe. Anshu Jain war Leiter des Investmentbanking, die überwiegende Zahl der Rechtsstreitigkeiten fallen in diesen Bereich. Und auch Achleitner, der bei der US-Investmentbank Goldman Sachs auch in diesem Geschäft aktiv war, sah offenbar trotz der sichtbaren Folgen in der Finanzkrise keinen Grund, die Doppelspitze zu einem härteren Vorgehen innerhalb der Bank zu ermutigen.

Viele Vertraute Jains sind entmachtet

Erst nach der verheerenden Hauptversammlung in diesem Jahr, auf der die Aktionäre dem Management deutlich die gelbe Karte zeigten und vor allem Großaktionäre ihren Unmut immer deutlicher zum Ausdruck brachten, steuerte Achleitner um. Cryan rückte aus dem Kontrollgremium neben Fitschen an die Spitze; Jain darf die Bank zwar noch bis Jahresende beraten, entscheidet aber nichts mehr. Wie Cryan, der von den Altlasten unbelastet ist, sich den Umbau vorstellt, hat er schon angedeutet. Erst kehrte er mit eisernem Besen durch die Bilanz: Herbe Abschreibungen auf die Investmentbank und die vor einem Börsengang stehende Postbank brocken dem Institut im dritten Quartal einen Verlust von sechs Milliarden Euro ein. Dann entmachtete Cryan eine Reihe von Jains Vertrauten. Ohne Rücksicht auf Seilschaften riss er alte Strukturen ein. Die Bank soll sich wieder mit den Kunden beschäftigen, nicht mehr nur mit sich selbst, lautet die Botschaft.

Als Jain im April die „Strategie 2020“ in groben Zügen vorstellte, ließ er nur verlauten, die Bank wolle die Kosten um 3,5 Milliarden Euro senken - zusätzlich zum bereits laufenden Sparprogramm. Details blieb er schuldig. Cryan hat die Strategie geerbt und verpasst ihr nun seine eigene Handschrift. Investoren und Analysten wollen wissen, welche Bereiche es wie stark trifft, welche Regionen aufgegeben werden und warum das Sparen ausgerechnet diesmal klappen soll. Der Verkauf der Postbank sowie die Schließung von Filialen im Privatkundengeschäft scheint beschlossene Sache, und damit auch der Abbau von rund 15 000 der knapp 100 000 Stellen. Aber werden weitere 10 000 Stellen gekippt, wie spekuliert wird? „Das Sparprogramm muss groß und glaubwürdig sein“, sagt einer der 30 größten Aktionäre der Bank. Die Zeit des Durchwurstelns sei vorbei. Dafür sei das Umfeld für die gesamte Branche wegen der Niedrigzinsen und der strengeren Regulierung zu schwierig. „Was in der Vergangenheit bei den Kostensenkungen eine Bruttozahl war, muss jetzt eine Nettozahl sein. Darin liegt der Schlüssel zum Erfolg“, mahnt der Fondsmanager. „Manche Dinge sind ganz einfach.“

Der Kulturwandel lässt weiter auf sich warten

Eines ist schon jetzt klar: Der Umbau der Bank kostet erst einmal Milliarden – Geld, das auf absehbare Zeit nicht in Wachstum, geschweige denn in Zukäufe investiert werden kann. „Die Gewinne der Deutschen Bank werden deshalb auch 2016 unter Druck bleiben“, sind sich die meisten Analysten sicher. Hinzu kommen viele Rechtsstreitigkeiten, die noch immer nicht abgearbeitet sind und hohe Bußgelder nach sich ziehen dürften. Die Ratingagentur Moody’s hält es längst nicht für sicher, dass Cryan die Deutsche Bank in die Erfolgsspur zurückführt. Die Investoren bräuchten viel Geduld. Zwar könnten sie nun darauf hoffen, eine Bank mit einfacheren Strukturen, einem ausbalancierten Geschäft und einer geringeren Verschuldung zu bekommen. Aber die Risiken seien hoch. „Die Kreditwürdigkeit der Deutschen Bank hängt davon ab, wie der Plan überarbeitet und wie effizient die Strategie umgesetzt wird.“

Viel schwerer aber wird es für Cryan, den von Jain und Fitschen angekündigten Kulturwandel in die Tat umzusetzen. Zwar hat er durch die personellen Veränderungen dafür erste Weichen gestellt, doch in der Bank selbst wissen die Beschäftigten noch nicht, woran sie sich orientieren sollen. „Meine Fähigkeit ist wichtig“ erzählt ein hochrangiger Manager. „Aber ich weiß nicht, ob sie morgen noch gebraucht wird.“