Als Anna-Angela Minna das Oberstdorfer Eis verließ, konnte sie selbst kaum glauben, was da gerade eben passiert war. Lag die 18-Jährige nach dem Kurzprogramm noch auf dem dritten Platz der deutschen Jugendmeisterschaften im Allgäuer Wintersportmekka, bot sie in der Kür eine überragende Vorstellung samt persönlicher Bestleistung. Damit stürmte die Eiskunstläuferin, die für den Stuttgarter Eis- und Rollsportclub startet, in der Gesamtwertung der Kategorie Damen B an die Spitze (99,58 Punkte), sprich zur Goldmedaille. „Ich war erst mal in Schocklage; damit habe ich nicht gerechnet“, sagt Minna über den größten Triumph ihrer Karriere. Am Ende verwies sie Maria Bangert (SC Usseln, Hessen) und Naya Luisa Reiter (ESV Augsburg) auf die Ränge zwei und drei.
Für ihren Coup hat Minna sich eine angemessene Bühne ausgesucht. Der gastgebende EC Oberstdorf feiert heuer sein 100-jähriges Bestehen; der renommierte Verein brachte bereits Olympioniken und Europameister hervor. Dass nun auch Minna als Titelträgerin ihre Spuren im dortigen Eis hinterlassen würde, hatte sie selbst vorab am wenigsten geglaubt. Beim Training vor dem Wettbewerb hätten sich ihre Beine schwer angefühlt, sie war sich sicher: „Das wird heute nicht mein Tag.“
Wenige Stunden später kam es jedoch anders – weil Minna eine ihrer größten Stärken ausspielte. „Angy ist ein Wettkampftyp. Dann, wenn es darauf ankommt, ist sie da“, sagt Anuschka Gläser, Trainerin der Stuttgarter Nachwuchshoffnung und selbst ein einstiger Star der deutschen Eiskunstlaufszene. Mit neun Jahren war Minna aus Reutlingen zum Stuttgarter ERC gewechselt, seitdem wird sie von Gläser betreut. Als Olympionikin und WM-Neunte von 1989 weiß die 55-Jährige, wie facettenreich der Sport ist, in dem es neben der Technik auch auf das Künstlerische ankommt. „Sie ist sehr ausdrucksstark und spielt mit dem Publikum – das ist ihr größtes Talent“, sagt Gläser über ihren Schützling.
Für Minna selbst ist der Eiskunstlauf ein leidenschaftliches Schauspiel, das weit über Sprünge und Pirouetten hinausgeht. Die Musik wählt sie eigenständig aus – zu ihren Favoriten gehören Lieder aus südkoreanischen Fernsehsendungen –, sie designt ihre eigenen Kostüme und gibt Impulse für die Choreografie. „Sobald die Musik anfängt, schlüpfe ich in meine Rolle und spiele mit der Jury und dem Publikum“, sagt Minna, die sich abseits ihrer Leidenschaft als eher introvertiert bezeichnet. Aber auf dem Eis zeige sie ihren „ganzen Charakter“.
Italienischer WM-Titel als Auslöser
Inspiriert wurde Minna in ihrer Kindheit von der italienischen Eiskunstläuferin Carolina Kostner, die 2012 in Nizza WM-Gold errang. Damals verfolgte die heutige Wahl-Stuttgarterin den Wettbewerb vor dem großelterlichen Fernseher und beschloss, ebenfalls mit dem Sport anzufangen – im Alter von sieben Jahren vergleichsweise spät. „Die meisten stehen ihren ersten Axel schon mit acht, neun Jahren“, weiß Minna. Ihr selbst gelang der schwierige Sprung erst, als sie dann elf war.
Nicht erst seit dem Tränen-Drama des russischen Jahrhunderttalents Kamila Valieva bei den vergangenen Olympischen Winterspielen weiß die Eiskunstlaufwelt: Der Druck ist groß auf die jungen Athletinnen, die Karriere kurz. Das gilt auch für Minna, die sechsmal pro Woche trainiert, jeweils zwei bis drei Stunden – parallel zu ihrer Ausbildung zur Sport- und Gymnastiklehrerin. „Manchmal hab’ ich keine Lust auf das Training, aber dann denke ich an die Zukunft; das treibt mich an“, sagt sie. Und ihre Trainerin Gläser fügt an: „Mental ist Angy sehr stark, aber wir versuchen trotzdem, den Druck wegzunehmen.“ Vielleicht hält sie auch deswegen mit ihrer Meinung zum Potenzial ihrer Akteurin hinter dem Berg: „Bei den Junioren kann sie glänzen, aber in der Meisterklasse braucht man viele Dreifachsprünge, um eine Chance zu haben“, sagt Gläser.
In den vergangenen zwei Jahren wurde Minna von Verletzungen am Sprunggelenk zurückgeworfen, trainiert erst jetzt verstärkt ebenjene Sprünge. Trotzdem träumt sie von einer EM- oder sogar WM-Teilnahme. Zunächst steht im kommenden Jahr aber die Prüfung an, die zur Teilnahme an der besagten Meisterklasse qualifiziert. „Wir trainieren fleißig, und ich denke, in ein paar Monaten bin ich so weit“, ist die frischgebackene deutsche Jugendmeisterin zuversichtlich.
Weitere Stuttgarter Medaillen
Anna Orlova & Valeria Huber
Neben Anna-Angela Minna darf sich der Stuttgarter Eiskunstlauf-Sport über zwei weitere Medaillen bei den deutschen Meisterschaften in Oberstdorf freuen, beide in der Nachwuchsklasse Mädchen B (bis 17 Jahre) – und beide für Akteurinnen des TEC Waldau. Die 14-jährige Anna Orlova belegte mit 102,84 Punkten den zweiten Platz. Dritte wurde mit hauchdünnem Abstand ihre ein Jahr jüngere Vereinskollegin Valeria Huber (102,35 Punkte). Zum unangefochtenen Meistertitel lief derweil die Lokalmatadorin Adelina Voroteliak, die beim Eissportclub Oberstdorf trainiert. Mit 127,49 Punkten ließ sie der Konkurrenz keine Chance.