Beim glücklichen 2:1-Sieg in Österreich hat sich gezeigt, dass die Nationalmannschaft ihre Halbfinalpleite bei der EM gegen Italien noch nicht verdaut hat.

Wien - Nach Mitternacht verlässt dann auch Herbert Prohaska das Stadion. Ein letztes Mal schwenken die Leute vor dem VIP-Ausgang ihre rot-weiß-roten Fahnen und bejubeln den Mann, den sie wegen seiner Lockenpracht früher immer „Schneckerl“ genannt haben, dessen Resthaar inzwischen aber sichtbar an Spannkraft verloren hat. Prohaska winkt in die Menge – und begibt sich schließlich mit dem guten Gefühl auf den Nachhauseweg, in seiner Funktion als österreichischer Fußballheld keine neue Konkurrenz bekommen zu haben.

 

Auch weiterhin darf Prohaska, inzwischen 62 Jahre alt, die Geschichten aus Cordoba erzählen, dem Ort, an dem Österreich bei der WM 1978 gegen Deutschland gewonnen hat. Keine der nachfolgenden Generationen hat es geschafft, den großen Nachbarn in einem Pflichtspiel zu besiegen, auch nicht jene des Jahres 2012. Dicht davor war sie zwar, zumindest ein Unentschieden hätte sie mehr als verdient gehabt – am Ende waren es aber wie üblich die Deutschen, die gewonnen haben, mit 2:1 (1:0) am Dienstagabend in Wien.

Lange vor Prohaska verlassen sie das Stadion und sehen nicht aus wie strahlende Sieger. Er sei „sehr zufrieden“, schließlich habe man sechs Punkte auf dem Konto, sagt Philipp Lahm tapfer. Doch der Kapitän weiß: die Leistung war sehr schlecht, das Ergebnis sehr schmeichelhaft – und das Glück sehr groß, um in der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nach dem Auftaktsieg gegen die Färöer (3:0) und dem Auswärtsspiel in Österreich jetzt mit der Optimalausbeute dazustehen. „Mit der Leistung können wir natürlich nicht zufrieden sein. Wir haben einen höheren Anspruch“, sagt Lahm.

Bis ins Mark scheint das jähe Aus die Elf erschüttert zu haben

Es gibt Gründe für die schwache deutsche Darbietung – der erste heißt: Österreich. „Gegen keine andere Nation hat Österreich mehr zu gewinnen als gegen uns“, sagt der Bundestrainer Joachim Löw. Angetrieben von einem entfesselten Publikum bot der Gastgeber eine vorzügliche Vorstellung. Der Stuttgarter Martin Harnik hatte in der ersten Hälfte gleich mehrere Chancen; kurz vor Schluss vergab der Bremer Marko Arnautovic die allergrößte – und war hinterher untröstlich: „Ich will Entschuldigung sagen ans ganze Land.“

Als mildernden Umstand lässt sich mit gutem Willen auch der Zeitpunkt des Spiels anführen. Noch ist die Saison jung, noch sind die Nationalspieler dabei ihren Rhythmus zu finden. „Alles fängt neu an, und das fällt manchmal nicht so leicht“, sagt der Innenverteidiger Holger Badstuber. Allerdings: genau wie die Qualität des Gegners, der in der Fifa-Rangliste als 49. trotz allem 47 Plätze hinter Deutschland liegt, reicht auch das nicht, um den irritierenden Auftritt der DFB-Auswahl zu erklären.

Und so landet man doch wieder bei der 1:2-Niederlage im EM-Halbfinale gegen Italien, die mehr als nur ein kleiner Rückschlag in der Entwicklung der jungen Mannschaft darstellt. Bis ins Mark scheint das jähe Aus die Nationalelf und deren Selbstverständnis erschüttert zu haben. Das gilt für den Bundestrainer Joachim Löw, der sich und sein Team im Vorfeld des Österreich-Spiels ungewohnt klein und den Gegner viel größer gemacht hatte, als es nötig gewesen wäre. Und das gilt auch für die Spieler, denen seit der EM die Leichtigkeit abhanden gekommen ist. „Wir müssen Selbstsicherheit ausstrahlen“, sagt Badstuber, „das ist uns nicht gelungen.“

Der Weg zurück nach oben dürfte beschwerlich werden

Kein Mittel fand die deutsche Auswahl gegen das Pressing des Gegners, sie wirkte gehemmt, nervös, fahrig. Und nicht einmal mit der 2:0-Führung im Rücken wollte sich so etwas wie Sicherheit einstellen. Verwegen mutet Löws These an, man habe es „versäumt, das 3:0 oder 4:0 zu machen“. Nur fünf (!) Minuten lagen zwischen Mesut Özils Elfmetertor und dem Anschlusstreffer der Österreicher, nach welchem die Deutschen noch stärker ins Schlingern gerieten als in der sowieso schon schwachen ersten Hälfte. „Wir haben einen am Boden liegenden Gegner wieder aufgebaut. Das darf uns nicht passieren“, sagt Lahm.

Es dürfte ein langer und beschwerlicher Weg zurück nach oben werden. Als „große Erfahrung“ wertet der Angreifer Miroslav Klose den Sieg in Österreich, denn „solche Spiele brauchen die Jungs, um zu wissen, dass jeder Zweikampf gewonnen werden muss“. Mitte Oktober stehen die beiden Qualifikationsspiele gegen die vermeintlich stärksten Gegner an, erst in Dublin gegen Irland, dann in Berlin gegen Schweden. „Der Trainer“, sagt Klose, „hat jetzt vier Wochen Zeit, um sich alles noch einmal in Ruhe anzuschauen und die richtigen Schlüsse zu ziehen.“ Für Joachim Löw dürfte es ein arbeitsreicher Monat werden.