Uwe Corsepius ist einst Topberater der Kanzlerin gewesen. Nun gestaltet er als Generalsekretär des Ministerrates Europa an führender Stelle mit.

Brüssel - Schon nach drei Wochen hat er sich bei einem europäischen Gedanken ertappt. Uwe Corsepius hörte im vergangenen Sommer, frisch nach Brüssel gekommen, die Nachricht, die Deutschen wollten dies und jenes tun. Und der Mann, der zuvor 19 Jahre im Kanzleramt arbeitete, war überhaupt nicht einverstanden mit dem, was seine Bundesregierung da plante. Dass ausgerechnet ihm passieren musste, was er anderen immer vorgeworfen hatte! Ihm, der in den ersten anderthalb Jahren der Eurokrise als Angela Merkels oberster Europaberater gelegentlich beinharte Positionen vertreten und den EU-Institutionen klargemacht hatte, wer zahlt und damit anschafft! „Das geht ganz schnell“, sagt Uwe Corsepius heute, „dass man einen anderen Blick auf die Dinge bekommt, dass man das Ganze voranbringen will.“

 

Er wollte die Seite wechseln. Ausschlaggebend war die Erinnerung an die erste Berufserfahrung Anfang der Neunziger, als er – gerade an der Uni Erlangen und am Kieler Institut für Weltwirtschaft zum Ökonomen ausgebildet – beim Internationalen Währungsfonds in Washington mit Menschen aus aller Welt zusammenarbeitete. „Es ist faszinierend, mit verschiedenen Kulturen zusammenzuarbeiten und als Deutscher zu sehen, dass der deutsche Weg nicht der einzige ist, der zum Ziel führt.“

Ganz geheuer ist ihm der europäische Apparat noch nicht

Ganz geheuer ist ihm der europäische Apparat deswegen noch lange nicht. „Für viele Beamte in Brüssel, die noch nie in einer nationalen Verwaltung eines Mitgliedstaates gearbeitet haben, ist es manchmal schwierig, bestimmte nationale Eigenheiten zu verstehen.“ Ein Ziel im neuen Job ist daher, mehr „Eurokraten“ als Austauschbeamte in die nationalen Verwaltungen zu entsenden.

Uwe Corsepius sitzt in seinem Büro, das sich seit Juni 2011 im Brüsseler Justus-Lipsius-Bau befindet. Er ist Generalsekretär des Rats der Europäischen Union, in dem die 27 Regierungen zusammenarbeiten. Ihm unterstehen 3200 Mitarbeiter – vom Protokoll über den Übersetzungsdienst bis hin zu den Beamten, die den EU-Gesetzgebungsprozess mit Papieren, Memos und Kompromissvorschlägen begleiten. Der General ist nicht nur Personalverantwortlicher, sondern auch wichtiges Bindeglied einer komplizierten Doppelstruktur.

Die unterschiedlichen Ebenen sollen Hand in Hand arbeiten

Der Belgier Herman Van Rompuy ist Präsident des Europäischen Rates, also der Versammlung der Staats- und Regierungschefs. Als einziger Beamter sitzt Corsepius mit an ihrem Tisch – als oberster Berater mit dem Fachwissen und der juristischen Expertise seines Apparates im Rücken. Er soll zudem sicherstellen, dass das, was bei den Gipfeln verabredet wird, auch in der Realität ankommt. Denn formal beschließen Merkel, Hollande, Monti & Co. nichts, europäische Gesetze können nur die Ministerräte im Zusammenspiel mit dem Europaparlament erlassen – auf Vorschlag der EU-Kommission. Aufgabe des Generalsekretariats dieses Ministerrates, dessen Präsidentschaft alle sechs Monate von einem auf das nächste Land übergeht, ist sicherzustellen, dass die entscheidenden Ministersitzungen nicht hinter das zurückfallen, was die Chefs oder Arbeitsgruppen schon vereinbart hatten. „Die unterschiedlichen Ebenen sollen ja Hand in Hand arbeiten“, sagt Corsepius.

Gerade führen die Neulinge aus Zypern die Geschäfte, was seine Aufgabe nicht einfacher macht. Viele wollen das Rotationsprinzip abschaffen – der Generalsekretär, der selbst intensiv am geltenden Lissabonvertrag mitgearbeitet hat, nicht: „Wir können doch nicht alles nur unter uns in Brüssel ausmachen. Die Ratspräsidentschaften sind wichtig, um Europa in die Regionen zu bringen und anfassbar zu machen.“ Er hat das im deutschen Halbjahr 2007 selbst erlebt: „Die Leute haben eine andere Sicht auf Europa nach der Präsidentschaft, weil es dann ihre Aufgabe ist, Kompromisse zu finden. Sonst trägt man nur seine Meinung vor, sagt, ob man dafür oder dagegen ist.“

Er hinterbrachte den EU-Partnern Deutschlands Sparkurs

Dagegen sein konnte Corsepius von Berlin aus besonders gut. EU-Diplomaten benutzen in dieser Zeit Adjektive wie „schroff“ oder „direkt“, um seine Art zu beschreiben. Er hinterbrachte den europäischen Partnern Angela Merkels Sparkurs und fütterte die Öffentlichkeit. Was er in Pressegesprächen vor EU-Gipfeln sagte, konnten die Journalisten „hohen deutschen Regierungskreisen“ zuordnen. Oft war ein markiges Nein dabei oder sonst eine harte Position, aus der sich Schlagzeilen formulieren ließen. „Das habe ich doch nie gemacht“, sagt er lachend. Merkel jedenfalls war zufrieden, wie er ihre Europapolitik managte, als es ernst wurde. Sie wollte ihn erst nicht ziehen lassen nach Brüssel. Am Ende gab sie nach und setzte ihn gegen zahlreiche Konkurrenten durch.

Wenig überraschend galt Corsepius in Brüssel erst einmal als U-Boot des Kanzleramts oder als „Merkels Eurofighter“, wie ein Magazin schrieb – zumal der Eindruck entstehen konnte, sein Vorgänger Pierre de Boissieu habe weichen müssen. „Der ein oder andere hat sicher gedacht: Das ist Merkels Mann“, gibt Corsepius zu, „das war für mich auch nicht ganz einfach.“

Fast jedes Wochenende fliegt er zur Familie

In der Folgezeit versuchte er, die neuen Kollegen vom Gegenteil zu überzeugen. Wie man das anstellt? „Es ging mir darum klarzumachen, dass ich dem Präsidenten verbunden bin und nicht den Deutschen, den Franzosen oder sonst jemand“, sagt Uwe Corsepius. Dem Belgier Van Rompuy kann er natürlich gut erklären, wie die Deutschen ticken. Er rät ihm dann schon einmal dazu, einer Berliner Forderung nicht nachzugeben, weil er sie für unangemessen hält. Er grüßt Merkel, wenn sie sich bei den Gipfeln sehen, und sie ihn – man hat schließlich sechs Jahre eng zusammengearbeitet. Aber Corsepius bestreitet vehement, dass es einen europäischen Tagesbefehl aus Berlin per SMS aufs Handy gibt.

Dabei fliegt Corsepius fast jedes Wochenende zurück in die deutsche Hauptstadt, wo die Familie wohnt. Der Sohn wollte die Schule beenden, die Frau nicht ihren Job aufgeben. Die Pendelei ist anstrengend, dafür locken unter der Woche die Vorzüge des Singlelebens. Der Deutsche wohnt im coolen Viertel Ixelles, weil er keine Lust hatte auf die luxuriösen Botschafterresidenzen in den grünen Brüsseler Außenbezirken. Statt diplomatischer Empfänge bevorzugt er das Café Belga am Place Flagey oder die anderen Kneipen dort.