Politiker haben mit umstrittenen Begriffen jüngst Aufregung ausgelöst. Wird der Ton immer rauer? Der neue Direktor des Instituts für Deutsche Sprache gibt überraschende Antworten.

Mannheim - Trotz umstrittener Äußerungen von Politikern sieht der neue Chef des Instituts für Deutsche Sprache keine Verrohung der Sprache. Provokante Wortbildungen habe es schon immer gegeben - allerdings hätten sie nicht zu so intensiven gesellschaftlichen Diskussionen wie heute geführt, sagte der Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik, Henning Lobin, der Deutschen Presse-Agentur in Mannheim. „Die Echokammer des Internets sorgt für Zuspitzung - eine Änderung der sprachlichen Kultur sehe ich aber nicht.“ Schon in den 1960er Jahren sei etwa der Begriff des Vaterlandsverräters gegen Linke angewendet worden. Damals hätten aber Kontrollmechanismen in den Printmedien eine breite Diskussion verhindert.

 

FDP-Bundeschef Christian Lindner hatte jüngst eine Verrohung der Sprache kritisiert. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnte zu „Disziplin in der Sprache“.

Das von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) benutzte Wort „Asyltourismus“ ist nach Ansicht des Sprachforschers Lobin eine unzulässige Verbindung von einer Notlage mit den positiven Vorstellungen, die Menschen vom Reisen haben. „Ich halte das für moralisch fragwürdig.“ Der vom CSU-Landesgruppenchef im Bundestag Alexander Dobrindt genutzte Begriff „Anti-Abschiebe-Industrie“ sei hingegen nur eine Zuspitzung, die niemanden persönlich verletze. Beide Begriffe würde er selbst nicht gebrauchen.

Das Institut für Deutsche Sprache besteht seit 1964

Ziel solch brisanter Wortschöpfungen sei, die eigene Politik zu untermauern und die des politischen Gegners in ein schlechtes Licht zu stellen. Dabei gingen deren Erfinder aber ein hohes Risiko ein, über das Ziel hinauszuschießen. Das gelte insbesondere, wenn es sich um Begriffe aus dem bereits politisch aufgeladenen Themenkreis der Migration handele.

Dabei bringe die AfD keine neue Qualität in den politischen Diskurs. „In Deutschland gab es immer wieder Phasen, in denen extreme Rechte oder Linke im Bundestag saßen und sich Beleidigungen und Zuspitzungen bedienten“, erläuterte der Institutsdirektor. Die AfD arbeite „im neuen Gewande“ mit solchen Provokationen - verbunden mit dem Streben, vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Sachverhalte zu präsentieren und dabei den „gesunden Menschenverstand“ zu bemühen.

Der gebürtige Lüneburger leitet seit Anfang August die vom Bund und den Bundesländern, darunter Baden-Württemberg mit einem überdurchschnittlichen Anteil, finanzierte Einrichtung. Das Institut für Deutsche Sprache besteht seit 1964 - dem Geburtsjahr von Lobin. Aufgaben der außeruniversitären Einrichtung sind die Erforschung und Dokumentation der deutschen Sprache in ihrem gegenwärtigen Gebrauch und in ihrer neueren Geschichte.