Der Deutsche Buchpreis für „Herkunft“ von Sasa Stanisic ist eine gute Wahl – und zugleich eine Antwort auf die umstrittene Entscheidung, Peter Handke den Literaturnobelpreis zuzuerkennen.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - So überraschend die mit drei Debütanten aufwartende Auswahl für den Deutschen Buchpreis in diesem Jahr auch war, es hätte doch sehr erstaunt, wenn sich einer von ihnen am Ende durchgesetzt hätte. Denn drei wirklich starken Werken standen drei gegenüber, die mit dem Achtungserfolg, überhaupt nominiert worden zu sein, großzügig bedacht wurden. Und so durfte man davon ausgehen, dass der Preis für den besten Roman des Jahres unter Jackie Thomaes „Brüdern“, Norbert Scheuers „Winterbienen“ und Sasa Stanisic’ „Herkunft“ ausgemacht werden würde. Und eben der Begriff der Herkunft beschreibt treffend, was die drei Bücher zusammenführt: Bei Thomae der gemeinsame, abwesende Vater zweier unterschiedlicher Brüder; bei Scheuer die genealogische Linie, die Mittelalter und Moderne, Bienen-Staat und NS-Terror in dem Eifel-Dorf Kall verbindet, das den Mittelpunkt seines Romanuniversums bildet; und bei Stanisic schließlich die Antwort auf die Frage eines Beamten bei der Ausländerbehörde.

 

Geboren in Bosnien im Jahr 1978

Aus der Verlegenheit, Auskunft darüber zu erteilen, welchen Anteil Geburt und Herkunft an dem haben, was man ist, hat der 1978 in Bosnien geborene, auf der Flucht vor dem jugoslawischen Bürgerkrieg in Heidelberg gestrandete Autor eine wunderbare Selbstvergewisserung geschrieben. Die Aneinanderreihung kleiner Prosastücke, Erinnerungsfetzen, Notizen, essayistischer Miniaturen entspricht nicht dem landläufigen Begriff eines Romans und ist gleichzeitig doch ein eindrucksvolles Zeugnis dafür, wie sich Fiktion und Lebensgeschichte auf existenzielle Weise durchdringen können.

Und genau damit wird die Preisverleihung zum Politikum. Denn der Deutsche Buchpreis für Sasa Stanisic ist auch eine Antwort auf den frischgekürten Literaturnobelpreisträger Peter Handke. Die Entscheidung der Schwedischen Akademie hat eine heftige Debatte ausgelöst wegen Handkes einseitiger proserbischer Parteinahme in dem Konflikt, zu dessen unzähligen Opfern auch Stanisic’ Familie wurde. Und so sehr sich der mit den Folgen einer Schilddrüsenentzündung laborierende Stanisic über die ihm zuerkannte Auszeichnung freut, kann auch eine geballte Dosis von Ibuprofen 1200 seine Bitterkeit über die Stockholmer Entscheidung nicht dämmen. Seine Dankesrede gerät zu einer empörten Abrechnung mit einer Literatur, deren vorgebliches Streben um Gerechtigkeit zur infamen Lüge geworden sei, die vor den Verbrechen gegen die Menschlichkeit die Augen verschlossen habe und sich die Wirklichkeit nach eigenem poetischen Gutdünken zurechtlege. Er, Stanisic, habe das Glück gehabt, dem zu entkommen, was Handke in seinen Texten nicht beschrieben hat.

Preisträger erhält 25 000

Im Werk von Olga Tokarczuk, der zweiten Literaturnobelpreis-Geehrten der letzten Woche, feiert Stanisic dann ein Schreiben, das alles versucht, im politischen Kampf mit Sprache zu streiten, eine Literatur, die nicht zynisch ist und sich die Wirklichkeit nicht poetisch zurechtbiegt. In seinem jetzt zum besten Roman des Jahres gekürten Buch hat Stanisic genau dieses vorgeführt. Auch wenn man der Auffassung ist, dass sich Handkes Bedeutung nicht mit seinen jugoslawischen Irrtümern erledigt, muss einem diese eindrucksvolle Einrede zu denken geben. Der Preis wird seit 2005 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben. Der Sieger erhält 25 000, die fünf übrigen Autoren der Shortlist jeweils 2500 Euro.