Terézia Mora hat den deutschen Buchpreis gewonnen. Ihre Helden bereisen auf den Spuren teurer Toter den Hades der Gegenwart. Im Gespräch mit StZ-Redakteur Stefan Kister freut sie sich über die Auszeichnung.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - So schwer war das Gepäck, mit dem man nach Frankfurt zur Verleihung des Deutschen Buchpreises gereist ist, selten. Zumindest, wenn man nicht darauf verzichten wollte, die sechs zur Auswahl stehenden Romane mit sich zu führen. Sechs in jeder Hinsicht gewichtige Werke. Beladener als der Leser sind nur noch die Protagonisten der Bücher selbst, denn sie tragen das Gewicht der Welt.

 

Jene Mandy etwa, die in Clemens Meyers Milieu-Studie „Im Stein“ unter einem ihrer Kunden ächzt: „Und da liegt er wieder auf mir und fummelt und schraubt an meinen Brustwarzen rum, seinen Gin Tonic hat er mit hoch genommen, und mir dreht der Kopf von den drei Piccolos unten an der Bar“. Oder die Marsmenschen in Reinhard Jirgls wilder Zukunftsfantasie „Nichts von euch auf Erden“, die sich anschicken, ganze Planeten aus den Angeln zu heben. Mirko Bonnés und Terézia Moras Helden bereisen auf den Spuren teurer Toter den Hades der Gegenwart, und in Monika Zeiners Debüt pflastern Melancholie und Schuld den Weg ins Unglück dreier Liebender. Selbst Marion Poschmanns „Sonnenposition“ über einen irren Irrenarzt bleibt dem Titel zum Trotz ein eher düsteres Werk.

Bald ist ja schon wieder Weihnachten

Kann man so etwas gefahrlos unter den Weihnachtsbaum legen? Diese Frage musste sich der Sprecher der Jury, der Kritiker Helmut Böttiger, bei der Preisverleihung im Frankfurter Römer stellen lassen. Doch der Deutsche Buchpreis ist der Bestimmung vor allem als verkaufsstimulierende Maßnahme fürs Weihnachtsgeschäft längst entwachsen. Bei seiner Einführung vor neun Jahren mag ihm diese Aufgabe zugedacht gewesen sein. Damals gehörte Helmut Böttiger zu jenen, die das kritisierten.

Breiter Lesergeschmack

Nun findet er sich auf der anderen Seite wieder – eine interessante Selbsterfahrung, wie er einräumt. Gleichzeitig benennt er noch einmal die Kriterien, die die Jury zu ihrer Auswahl bewogen haben. Wie man ahnt, waren es nicht solche, die um jeden Preis einem breiteren Lesergeschmack genügen wollten. „Wir haben uns an ästhetischen Maßstäben orientiert und Literatur vor allem als Sprachkunstwerk betrachtet.“ Dass Romane anspruchsvoll sind, hält Böttiger für nichts Anstößiges. Die nominierten Titel seien ein Kompendium der Schreibweisen, in denen sich das Bewusstsein der Gegenwart ausprägt.

Wer nun vor so viel normativem Ernst die Waffen streckt, sich um sein Unterhaltungsbedürfnis geprellt sieht und lieber Leichterem zuwendet, bringt sich um vieles. Zum Zauber ästhetisch gelungener Gebilde gehört, dass sie noch dort beglücken, wo sie von nichts als Unglück handeln, und sich über die Wirklichkeit erheben, wo sie ihren bitteren Nerv treffen. Am meisten gilt dies im starken Feld dieses Jahres für Terézia Moras Roman „Das Ungeheuer“. Selten hat ein Buch Anspruch und Wirklichkeit, Lust und Trauer, Spiel und Ernst so miteinander versöhnt, selten war man so eins mit der Entscheidung, welcher Roman als der beste des Jahres zu gelten habe.

Die Autorin selbst sieht das freilich anders: „Es gibt so viele Bücher. Man macht es sich zu einfach, nun auf diese sechs zu stürzen, es muss auch ein Leben außerhalb dieser Listen geben“, sagt sie noch atemlos vor Glück im Gespräch mit der StZ. „Das sind nicht die olympischen Götter, die über das Schicksal der Menschheit entscheiden, das ist eine Jury, die einen Vorschlag macht, welche Literatur es wert sei, dass man sie kennen lernt.“ So hätte man sich auch eine Niederlage schönreden können. Doch das sympathische Understatement ist bezeichnend für eine Autorin, die offenbar ziemlich genau weiß, was sie tut, und daran auch nichts ändern würde, wären ihr die ganzen Preise versagt geblieben, die sie seit ihrem Bachmannerfolg 1999 alle gewonnen hat.

Wo Grenzen sind, wachsen Wünsche

Das Bewusstsein der Grenze wurde der 1971 in einem kleinen ungarischen Dorf als Angehörige einer deutschsprachigen Minderheit aufgewachsenen Schriftstellerin gewissermaßen in die Wiege gelegt. Damit aber auch der Drang, sie zu überschreiten. Der Wunsch zu schreiben ist ein erster Schritt. Als Übersetzerin trägt sie die ungarische Literatur nach Deutschland, wo sie seit 1990 lebt. Und Grenzen überschreitet auch Darius Kopp, der von ihrem letzten Roman nun in ihren aktuellen übergetreten ist. Früher kam ihm die Arbeit abhanden, nun seine Ehefrau, die sich das Leben nahm. Was beide scheidet, teilt als schwarze Linie jede Seite dieses Buches in zwei Teile. Sinnfälliger kann man nicht gestalten, wie zwei Leben parallel verlaufen und sich doch immer weiter voneinander entfernen.

Beruflich Fuß fassen

Aber ist ihr Buch überhaupt ein Eheroman und nicht eher eines über das Leiden am Leben? Oder hängt gar eines notwendig mit dem anderen zusammen? Mora, deren Mann in jener IT-Branche arbeitet, aus der es Kopp verschlagen hat, verneint dies: „Die Frage ist eher, welche Folgen das Eingebundensein in den Arbeitsprozess für den Menschen hat.“ Kopps Frau versucht immer wieder vergebens beruflich Fuß zu fassen. Am Ende hat sie nur noch den Wunsch, wenigstens so viel zu verdienen, um ihr Leben fristen zu können, egal mit was. „In unserer Gesellschaft vibriert die Angst, dass wir alle überflüssig sein könnten – das ist für mich eine wesentliche Signatur der Zeit.“ Mora selbst, die sich von Roman zu Roman ihren Platz in der literarischen Welt erschrieben hat, ist diese Angst nicht fremd. „Ich wundere mich immer wieder, wie ich es schaffe, meinen Lebensunterhalt zu verdienen.“

An diesem Abend in ihrem langen schwarzen Kleid ist sie von Erfolg umglänzt. Mit der Preissumme von 25000 Euro muss sie sich fürs erste um ihr Auskommen keine Sorgen machen und kann sich ganz dem weiteren Weg des Darius Kopps widmen. Ein dritter Band soll folgen. Wir freuen uns darauf.