Kultur: Stefan Kister (kir)

Doch genau an diesen Befunden entzündet sich von Anbeginn die Kritik. Der Buchpreis, so ein beliebtes Argument der Gründerjahre, sei weniger eine Wünschelrute, im Berg der Neuerscheinungen verborgene Goldadern aufzuspüren, denn ein Marketinginstrument; er schiele auf kommerziellen Erfolg, statt auf ästhetische Kriterien. Kürt aber die Jury wie im letzten Jahr mit Terézia Moras „Ungeheuer“ ein sperriges Werk, dessen Verkaufszahlen mit 70 000 Exemplaren erstmals in der Geschichte des Preises unter der 100 000-Marke blieben, wird dies wie jüngst im Magazin „Focus“ als Zeichen für die schwindende Bedeutung der Auszeichnung gedeutet. Beargwöhnte man früher die Popularisierung, fürchtet man nun die Esoterisierung.

 

Für Claudia Paul, die Sprecherin des Börsenvereins, ist es unstrittig, dass unter den nominierten oder ausgezeichneten Büchern viele waren, die durch den Buchpreis eine Aufmerksamkeit bekommen haben, die sie sonst nicht erhalten hätten. „Außerdem“, so Paul, „hat er der deutschsprachigen Literatur eine Öffentlichkeit verschafft, die weit über Deutschland hinaus geht und die von ausländischen Verlagen auch registriert wird.“ Aber fördert der Preis, indem er wenige in den Lichtkegel rückt, nicht das Übersehenwerden der anderen? „Das Gegenteil ist der Fall“, sagt Paul, „kaum ist die Longlist veröffentlicht, wird in den Feuilletons monatelang debattiert, nicht nur über die nominierten Romane, sondern auch über die persönlichen Favoriten der Kritiker, die sie auf der Liste vermissen.“

Das öffentliche Gespräch über Literatur wird in Gang gehalten

Es zählt zu den erstaunlichen Leistungen dieses auf das Genre Roman festgelegten Preises, dass er ein eigenes Genre begründet hat, das der Buchpreis-Kritik, und dass er sich gerade in dem, was ihn anficht, behauptet. Die konvulsivischen Unmutsentladungen über angebliche Fehlentscheidungen lösen sein vornehmstes Ziel ein, das öffentliche Gespräch über Literatur in Gang zu halten. Und den Vereinseitigungen, denen der Superlativ „bester Roman“ naturgemäß nicht entkommt, steht aufs Ganze gesehen eine wundersame Pluralisierung entgegen. Monierte die „Welt“ in diesem Jahr eine unbefriedigende Frauenquote, zeigt ein Blick in die Statistik, dass unter den bisherigen Preisträgern sechs Frauen drei Männern gegenüberstehen. Auch das Kräfteverhältnis zwischen großen und kleinen Verlagen überrascht: Zwar hält der Hanser Verlag mit 26 nominierten Titeln den Longlist-Rekord, unter den Preisträgern aber liegt der kleine Verlag Jung und Jung mit zwei Siegertiteln gleichauf mit dem Riesentanker Suhrkamp.

In dem diesjährigen starken Feld ist niemand, dem der Preis nicht zu gönnen wäre. Aber gewinnen wird eben nicht nur einer, denn der eigentliche Sieger ist die Literatur. Deren großem Auftritt in den kommenden Messetagen wird hier ein würdiges Entree bereitet.