Im Wettbewerb um den besten deutschsprachigen Roman des Jahres hat die Jury am Mittwoch in Frankfurt die Longlist nominiert. 20 Titel können sich Hoffnungen auf den Deutschen Buchpreis am 12. Oktober machen.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Würde es mit rechten Dingen zugehen, müsste in diesem Jahr die mittlerweile beliebte literaturkritische Trendsportart des Longlist-Bashings ausfallen. Damit ist die kollektive Empörungskür jener Kritiker gemeint, die nicht in die Jury des Deutschen Buchpreises berufen wurden und alljährlich bei Bekanntgabe jener zwanzig Titel, unter denen der beste deutsche Roman ermittelt werden soll, zu großer Form des Besserwissens auflaufen. Warum so wenig Frauen? Wo sind die Migranten? Und natürlich fehlt wie immer das eindeutig wichtigste Buch der Saison, dessen Titel so zahlreich sind, wie sich Stimmen an diesem beliebten Korrekturwettbewerb beteiligen. Geschenkt.

 

Der einzige beste Roman, der einem spontan einfallen könnte und der auf der Liste, die am Mittwoch vorgestellt wurde, fehlt, ist Ralf Rothmanns Kriegsdrama „Im Frühling sterben“. Dies ist aber nicht der Ignoranz der Jury geschuldet, sondern der Scheu des Autors, der sich einer Nominierung gar nicht erst aussetzen wollte. Ansonsten ist diese Longlist zwischen kleinen und großen Verlagen, Frauen und Männern, Intellekt und Lust geradezu exemplarisch ausgewogen. Vermutlich werden Nörgler ihr genau das zum Vorwurf machen. Jedenfalls kann sie als gültiger Leitfaden für eine Lesereise durch den Kontinent der diesjährigen Neuerscheinungen dienen, ganz im Sinn der Jury-Sprecherin Claudia Kramtschek, die die Auswahl als eine „aufschlussreiche Landkarte“ verstanden wissen will.

Sperma-Cookies aus der Hexenküche

Von der Einsamkeit zwischen Küchenzeilen, die Gertraud Klemm in ihrem wilden Mutterschicksalslied „Aberland“ besingt bis zu Steffen Kopetzkys Visionen bekiffter Weltkrieg-Eins-Abenteurer in den Wüsten Afghanistans spannt sich das Panorama. Frank Witzel und Peter Richter erkunden die unruhigen Regionen deutscher Wendezeiten, Ilja Trojanow den osteuropäischen Abgrund zwischen Widerstand und Anpassung. Ulrich Peltzer liefert in seinem „Besseren Leben“ eine kapitale Bestandsaufnahme dessen, was die globalisierte Welt zusammenhält, und Jenny Erpenbeck zeichnet den Weg derer nach, die als Flüchtlinge dem schlechteren Leben zu entkommen suchen. Vom harten politischen Gelände in die Possen politischer Korrektheit geleitet Vladimir Vertlib, wogegen Ralph Dutli mit einer Bildungsreise nach Mantua beglückt, auf den Spuren der Renaissance und eines sechstausend Jahre alten Liebespaars.

Für die Passage die Clemens Setz’ „Stunde zwischen Frau und Gitarre“ umreißt, sollte man sich viel Zeit nehmen: 1000 Seiten in der Psychoklinik, versorgt mit Sperma-Cookies und anderen Leckereien aus der irren Hexenküche dieses Autors, das verlangt eine gute Kondition. Danach könnte es einem gehen wie den jungen Leuten in Heinz Helles „Eigentlich müssten wir tanzen“, die nach dem Aufenthalt in einer Berghütte die Welt nicht mehr erkennen, in die sie zurückkehren. 14 Romane werden auf der Strecke bleiben, wenn die Longlist am 16. September auf sechs Titel verkürzt wird. Am 12. Oktober, zum Auftakt der Buchmesse, wird der Gewinner des mit 25 000 Euro dotierten Preises gekürt. Aber wie bei jeder Reise gilt: der Weg ist das Ziel.

Longlist für den besten Roman des Jahres:

Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe.
Kiepenheuer & Witsch Ralph Dutli: Die Liebenden von Mantua.
Wallstein Jenny Erpenbeck: Gehen, ging, gegangen.
Knaus Valerie Fritsch: Winters Garten.
Suhrkamp Heinz Helle: Eigentlich müssten wir tanzen.
Suhrkamp Gertraud Klemm: Aberland.
Droschl Steffen Kopetzky: Risiko.
Klett-Cotta Clemens J. Setz: Die Stunde zwischen Frau und Gitarre. Suhrkamp Rolf Lappert: Über den Winter.
Hanser Inger-Maria Mahlke:
Wie Ihr wollt.
Berlin Verlag Ulrich Peltzer: Das bessere Leben.
Fischer Peter Richter: 89/90.
Luchterhand. Monique Schwitter: Eins im Andern.
Droschl Anke Stelling: Bodentiefe Fenster.
Verbrecher Verlag Ilija Trojanow: Macht und Widerstand.
Fischer Vladimir Vertlib: Lucia Binar und die russische Seele.
Zsolnay Kai Weyand: Applaus für Bronikowski.
Wallstein Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969.
Matthes & Seitz Christine Wunnicke: Der Fuchs und Dr. Shimamura.
Berenberg Feridun Zaimoglu: Siebentürmeviertel.
Kiepenheuer & Witsch