Deutscher Buchpreis Das waren die Kandidaten für den Roman des Jahres
Zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse hat sich an diesem Montagabend entschieden, wer den Deutschen Buchpreis gewinnt. Diese Romane standen zur Auswahl.
Zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse hat sich an diesem Montagabend entschieden, wer den Deutschen Buchpreis gewinnt. Diese Romane standen zur Auswahl.
Natürlich hat jeder Kritiker seine eigene Shortlist für den besten Roman des Jahres – wo bitte ist denn eigentlich Nava Ebrahimis „Und Federn überall“ geblieben? Doch bevor man gleich Vermisstenanzeigen aufgibt, kann man sich darüber freuen, dass in diesem Jahr bei der Jury für den Deutschen Buchpreis einmal auch die zum Zug gekommen sind, die in ihrer Literaturarbeit auf windigem Posten abseits gängiger Wege jede Form der Aufmerksamkeitsökonomie bestens vertragen können. Das gilt für die Titel ebenso wie für die Verlage. Gleich vier der nominierten Bücher kommen aus kleineren innovativen Häusern. Wie überhaupt selten die Vielfalt eines literarischen Spektrums so konsequent von einem roten Faden zusammengehalten wurde: ein Faden, der die realen Abgründe des Lebens auf elementare Weise mit ihrer fiktionalen Verarbeitung verbindet.
Wer schreibt, der lebt. Im Falle von Thomas Melles „Haus zur Sonne“ (Kiepenheuer&Witsch) ist das ein Trost. Denn das Buch, das man zögert Roman zu nennen, schließt direkt an „Die Welt im Rücken“ an, worin der Autor vor knapp zehn Jahren sein von einer bipolaren Störung zerrüttetes Leben offengelegt hat. Alles wiederholt sich: Unbarmherzig hat sich die Krankheit zurückgemeldet. Doch dieses Mal führt der Weg aus der selbst erlebten Misere tiefer in die imaginäre Welt eines Selbstmordsanatoriums. Irritierend mischt sich die radikale Destruktivität psychischen Leidens mit der Konstruktivität literarischer Erfindung. Denn auch wer sich das Düsterste ausmalt, ist zumindest eines: am Leben. Und wieder steht der Autor auf der Schwelle, eine der wichtigsten Auszeichnungen des literarischen Lebens verliehen zu bekommen – bereits zum dritten Mal.
Auch die Schweizer Autorin Dorothee Elmiger sprengt die Gattungsgrenzen des Romans und begibt sich in den Einzugsbereich von wahrer Begebenheit und fiktionaler Fortspinnung. In ihrem Buch „Aus der Zuckerfabrik“, das sie ebenfalls schon einmal auf die Shortlist geführt hat, ist sie der Spur des Süßen von einer Haitianischen Zuckerrohrplantage bis in unsere Kaffeetasse gefolgt. In den „Holländerinnen“ (Hanser Verlag) lässt sich eine Autorin auf ein dokumentarisches Kunstprojekt ein, das dem Fall zweier im Urwald Panamas verschollener Rucksacktouristinnen nachgeht. Doch je tiefer die Recherche in das dunkle Gestrüpp aus Motiven und Reflexionen dringt, desto deutlicher wird, dass Kunst nur in ihrer Überforderung, ja, in ihrem Scheitern der monströsen Leerstelle der Wirklichkeit gerecht werden kann.
An dieser Frage laboriert auch Kaleb Erdmann, der in seiner Jugend erleben musste, wie einige Mitschüler am Erfurter Gutenberggymnasium bei einem Amoklauf getötet wurden. Kann man sich das Erlebte von der Seele schreiben? Und welches Recht hat man dazu als Überlebender? Das sind Fragen, die sich in der „Ausweichschule“ (Verlag Park X Ullstein) ein junger Autor stellt, 20 Jahre nach dem Tag, der seine Kindheit zerschossen hat. Die Antwort ist ein Roman, der in der Erörterung der Bedingung seiner Möglichkeit auf subtile Weise ins Licht rückt, was sich hinter dem Begriff Trauma verbirgt.
In Fiona Sironic‘ Debüt leben Schülerinnen ihre Wut auf eigene Weise aus. Die erschöpfte Welt ist ins Digitale übergelaufen und liegt in den letzten Zügen: „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ (Ecco Verlag). Zum Beispiel, um die entwerteten Erinnerungen an eine Kindheit auszulöschen, die Momfluencerinnen öffentlich verramscht haben. Doch je mehr Zerstörung, desto wichtiger das Bewahren: In dieser Spannung siedelt Sironic ein Coming-of-Age in naher Zukunft an – und verschafft mit der Buchpreis-Nominierung dem vor vier Jahren gegründeten Ecco Verlag, der sich Büchern nur von Frauen verschrieben hat, im ökonomischen Überlebenskampf eine willkommene Verschnaufpause.
Und dann ist da noch „ë“ (Wallstein Verlag). Mit Sicherheit der kürzeste Titel, der es je auf eine Auswahl geschafft hat. Für die aus dem Kosovo stammende Autorin Jehona Kicaj, die als Kind im Zuge der Balkankriege aus ihrer Heimat nach Deutschland geflohen ist, steht er für all das, was beim Transfer von Schrecken in Erinnerung, von einem Land in das andere, auf der Strecke bleibt. Auch hier ist es die Literatur, die übernimmt, wo alle anderen Formen, dem Unaussprechlichen Ausdruck zu verleihen, versagen.
Am tiefsten in die Vergangenheit reicht Christine Wunnickes „Wachs“ (Berenberg Verlag) und ist doch eines der lebendigsten Bücher, auch wenn hier manche ihren Kopf eingebüßt haben – Paris im 18. Jahrhundert, eine Gesellschaft im Umbruch. Abermals eilt die Literatur realen Biografien zur Hilfe: Erzählt wird die Liebe der Anatomin Marie Marguerite Bihéron zu der Blumenmalerin Madeleine Françoise Basseporte, von Körpern aus Wachs und solchen aus Fleisch und Blut. Obwohl die Münchner Autorin kein Neuling auf der Shortlist ist, kann ihr wunderbar verbiestertes Reich immer noch als Terra incognita gelten, auf der sich vor allem verzückte Kenner und Liebhaber tummeln. Das könnte bald ein Ende haben.
Auswahl
Auf der Longlist standen zuvor 20 deutschsprachige Romane, insgesamt hatte die Jury 229 Titel gesichtet. Wer gewinnt, wird am 13. Oktober bekanntgegeben – dem Tag vor der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse.
Preis
Der Deutsche Buchpreis gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen der Branche und ist mit insgesamt 37.500 Euro dotiert. 2024 ging die Auszeichnung an Martina Hefter für ihren Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“.