Der Echterdinger Edin Rahic hat mit einem Partner den englischen Drittligisten Bradford City gekauft. Der 43-Jährige ist der erste deutsche Clubbesitzer auf der Insel – und will eines Tages auch die Premier League aufmischen.

Bradford/Stuttgart - Seinen 40. Geburtstag feiert Edin Rahic in der Alten Kanzlei am Stuttgarter Schlossplatz und lässt es sich nicht nehmen, eine Rede zu halten. Seinen Dank an die Gäste verbindet der Jubilar an jenem Junisamstag des Jahres 2013 mit einer tollkühnen Ansage: „Eines Tages werde ich der Besitzer eines Fußballclubs sein.“ Ein paar Gäste hüsteln, andere lachen. Dann wird weitergefeiert bis tief in die Nacht.

 

Was nicht viele wissen: diesen Plan verfolgt Edin Rahic schon seit vielen Jahren. Und woran fast keiner glaubt: drei Jahre später setzt er ihn in die Tat um.

Dies ist also die Geschichte von Edin Rahic (43), dem Miteigentümer und Geschäftsführer des englischen Drittligisten Bradford City, dem ersten deutschen Clubbesitzer im gelobten Fußballland. Sie handelt von vermeintlichem Größenwahn, Business und grenzenloser Liebe zum Spiel. Und davon, dass manchmal auch die verrücktesten Träume in Erfüllung gehen, wenn man hart arbeitet und fest daran glaubt.

Der größte Erfolg: der Sieg bei Jugend trainiert für Olympia 1986

Edin Rahic wächst in Echterdingen auf, als Sohn jugoslawischer Gastarbeiter, fleißige, bodenständige Leute. Er ist ein hochtalentierter Fußballer. „Der Edi“, wie ihn alle nennen, wird bald eine Lokalgröße auf den Fildern und schafft es nach dem Wechsel zum VfL Sindelfingen bis in die Oberliga, damals die dritthöchste Spielklasse in Deutschland. Sein einziger Titel aber bleibt der Sieg mit der Schülermannschaft des Philipp-Matthäus-Hahn-Gymnasiums bei Jugend trainiert für Olympia 1986.

Während andere Filderkicker aus seinem Jahrgang, Marc Kienle und Alexander Blessin, Profis werden, hört Rahic, einer der Begabtesten, nach seinem zweiten Achillessehnenriss schon mit 23 auf. „Ich habe nicht auf meinen Körper geachtet. Ich hatte nicht die richtige Einstellung“, sagt er – und schwört sich, im Berufsleben ernsthafter ans Werk zu gehen.

Lehrjahre in Schottland, Frankreich und bei Ralf Rangnick

Edin Rahic verabschiedet sich Ende der 90er-Jahre erst einmal vom Fußball und der Heimat. Er geht nach Glasgow und baut für Polaroid ein Callcenter mit auf. Als IT-Berater arbeitet er anschließend in Frankreich, studiert parallel dazu BWL und darf dank alter Kontakte aus Jugend-Auswahlmannschaften im Auftrag des VfB Stuttgart und dessen Trainer Ralf Rangnick Spieler beobachten. Als Scout reist Rahic an den Wochenenden quer durch Europa, ist bei der EM 2000 dabei. Die alte Leidenschaft erwacht wieder in ihm, er fragt sich: „Was könnte ich im Fußball machen?“

Kurz vor seinem 30. Geburtstag, kehrt Edin Rahic 2002 in die Heimat zurück. Er heiratet seine Jugendliebe, gründet eine Familie und arbeitet bei Bosch. Ralf Rangnick ist beim VfB schon wieder entlassen worden, dort gibt es keinen Platz mehr für ihn. Bei den Stuttgarter Kickers schon. Rahic wird in den Vorstand berufen, er arbeitet gemeinsam mit dem damaligen Präsidenten Hans Kullen daran, die Kickers vor der Insolvenz zu bewahren. „In jener Zeit habe ich gemerkt, dass es mein Traum wäre, einen Fußballclub zu führen.“ Doch spürt er auch: „Du musst einer der Hauptverantwortlichen sein, um etwas bewegen zu können.“ Nach einem Jahr verlässt er die Kickers wieder und weiß: „Irgendwann kommt der Tag, an dem ich richtig ins Fußballbusiness einsteigen möchte.“

Aus dem großen Traum wird ein konkretes Ziel

Vorerst aber klettert Edin Rahic im Wirtschaftsleben die Karriereleiter empor. Erst im Bosch-Konzern, dann im Hydraulikunternehmen HAWE, das ihn als Finanzchef nach München holt – 2000 Mitarbeiter, 350 Millionen Umsatz. Inzwischen hat Rahic an der Kaderschmiede in St. Gallen seinen MBA gemacht und dabei auch sein Fußball-Netzwerk erweitert. Er lernt in der Schweiz Großkaliber wie Urs Linsi (Ex-Fifa-Generalsekretär) und Martin Kallen (Uefa) kennen, entwirft Businesspläne, sucht Investoren für eine mögliche Übernahme der Grasshoppers Zürich.

Aus dem Traum ist längst ein konkretes Ziel geworden. 2011 steigt Rahic aus der Finanzwelt aus, arbeitet als freiberuflicher Berater in München – und bereitet nebenher endgültig den Kauf eines Clubs vor. Mit Ralf Rangnick schmiedet er Pläne, bevor der bei Red Bull einsteigt. Ein Investorenkonsortium um den früheren Profi Jörg Albertz und dem Vermarkter Sportfive stellt er in kürzester Zeit zusammen und kommt in die Endauswahl, als 2012 die insolventen Glasgow Rangers zum Verkauf stehen. Der Kaufpreis liegt bei knapp zehn Millionen Euro – drei Wochen nach dem Börsengang sind die Rangers 80 Millionen wert.

Analysen von 72 Clubs von der ersten bis zur vierten englischen Liga

Edin Rahic macht ernst und engt den Kreis auf England ein. „Ein unglaublicher Markt: sehr hohe TV-Gelder, verbesserungswürdige Nachwuchsarbeit, ausbaufähiges Recruiting von Spielern. Da muss man nichts Neues erfinden, um gute Erfolgschancen zu haben.“ Rahic unternimmt Analysen der 72 Clubs von der ersten bis zur vierten Liga. Infrastruktur, Spielerkader, Altersschnitt, Besitzverhältnisse, Fanstruktur, Historie, aktuelle Finanzen. Übrig bleiben fünf Clubs aus der zweiten und dritten Liga – und schließlich Bradford City, die „Bantams“, zu deutsch: Zwerghühner. Ein traditionsreicher Arbeiterverein aus einer 300 000-Einwohner-Stadt, keine Schulden, treue und frenetische Fans, ein Stadion mitten in der Stadt, großes Wachstumspotenzial – genau das, was Rahic gesucht hat.

Er holt sich in Stefan Rupp (47), der seine Firma für Flugzeugsitze 2015 verkauft hat, einen Mitinvestor ins Boot. Dann macht sich Rahic an die Verhandlungen mit den langjährigen Eigentümern, zwei Geschäftsleuten, die gleichzeitig Bradford-Fans sind und wieder allein Fans sein wollen. Ein Konsortium um Bernie Ecclestone und Flavio Briatore hat ebenfalls Interesse, doch sehen sie den Club nur als Spekulationsobjekt. Rahic und Rupp hingegen legen ein langfristiges Konzept vor und bekommen den Zuschlag. Der Kaufpreis bleibt geheim, er dürfte laut Branchenkennern im hohen siebenstelligen Bereich liegen. Rahic investiert seine gesamten Ersparnisse – volles und doch kalkulierbares Risiko. „Eine Investition in ein Industrieunternehmen ist nicht weniger riskant als der Kauf eines Fußballclubs.“

Am 19. Mai 2016, einem Freitag, werden nach einjährigen Verhandlungen die Verträge unterzeichnet. Der Edi aus Echterdingen hat es allen gezeigt. Nicht seiner Familie, die vom ersten Tag an ihn geglaubt hat – wohl aber seinen Schwiegereltern, die die Sache mit dem Fußball immer für Flausen gehalten haben. Edin Rahic ist am Ziel – und doch erst ganz am Anfang.

Die Fans fürchten, dass auch ihrem Verein „Bratwurst City“ wird

Der Aufschrei in Bradford ist groß, als bekannt wird, dass die Bantams jetzt von Deutschen regiert werden. Die Fans fürchten, dass aus Bradford City „Bratwurst City“ wird, Rahic muss die Leute beruhigen. Er geht mit Unterstützung der früheren Eigentümer behutsam vor, doch schon bald wird klar: Der neue Chef versteht sein Handwerk und ist bestens vorbereitet. Der bisherige Trainer Phil Parkinson ergreift die Flucht, weil er bei Transfers nicht mehr „mitmischen“ darf – Rahic kümmert sich selbst ums Management und die Finanzen. „Es funktioniert nur, wenn du Eigentümer und Geschäftsführer bist und der Profit dadurch in einem Topf landet.“

Edin Rahic holt die Clublegende Stuart McCall als Trainer zurück und sucht neue, junge Spieler. Er verpflichtet Verteidiger, die auch Fußball spielen können. Das gab es in Bradford noch nicht, wo jahrzehntelang ur-englisches Kick and Rush gepflegt wurde. Auf Platz drei liegt City und hat mit gepflegtem Kurzpassspiel erst eines der 16 Saisonspiele verloren, obwohl manch andere Clubs das dreifache Budget haben. Zu den Heimspielen kommen 20 000 Leute ins alt ehrwürdige Valley Parade, zum Auswärtsspiel in Bolton haben fast 5000 Bantams-Anhänger ihr Team begleitet – Spieltagsrekord in ganz England. „Es läuft bisher so gut, dass wir es selbst kaum glauben können“, sagt Rahic. Neulich war er bei einem Spiel von Manchester City zu Besuch und fühlte sich „wie im falschen Film“, als er auf der Tribüne von Clubchef Ferran Soriano auf Augenhöhe begrüßt wurde. „Da gehörst du eigentlich gar nicht hin“, dachte er. „Aber genau das war ja der Traum.“

Als Geschäftsführer kümmert sich Edin Rahic um fast alles selbst

Seit dem ersten Tag ist Rahic fast rund um die Uhr vor Ort. Vor zwei Wochen sind auch seine Frau und die beiden Söhne (13 und 9) aus München in die Industriestadt gezogen, ein großer Schritt. „Du musst alle Zelte abbrechen, sonst glaubst du nicht daran. Es gibt kein Zurück“, sagt Rahic. Noch kümmert er sich um fast alles selbst: um Ticketing und Scouting, um die Finanzen und sogar die individuellen Trainingspläne für die Spieler. Nach und nach will er Vertrauensleute hinzuholen und professionellere Strukturen aufbauen, er hat viele Ideen. Sein Club soll wachsen, so sieht es der Plan vor: Drei Jahre dritte Liga, fünf Jahre zweite Liga, dann der Aufstieg in die Premier League. Dort bekommt jeder Aufsteiger gesicherte Einnahmen von 250 Millionen Euro. „Der Fußball ist Emotion pur, aber eben auch Business“, sagt Rahic: „Wenn man versteht, dass man einen Club wie ein Industrieunternehmen führen muss, hat man gute Chancen erfolgreich zu sein.“

An diesem Samstag empfängt Bradford City den FC Rochdale. Besuch aus der Heimat hat sich angekündigt, 20 Mann aus Stuttgart werden nach England kommen. Ein paar von ihnen waren auch schon bei der Geburtstagsfeier vor drei Jahren dabei. Jetzt werden sie mit eigenen Augen sehen können: Edin Rahic hat Wort gehalten.