Die Inhaftierung des deutschen Journalisten Deniz Yücel zeigt, wie die Pressefreiheit unter dem Regime Erdogans missachtet wird. Doch das Problem geht weit über die Türkei hinaus, meint StZ-Autor Michael Maurer.

Stuttgart - Wer hätte gedacht, dass man ausgerechnet einen höchst umstrittenen Politiker wie George W. Bush einmal als Kronzeugen für die Bedeutung der Pressefreiheit anführen könnte! Medien, so sagt der frühere US-Präsident, seien unverzichtbarer Bestandteil der Demokratie, denn sie seien dazu da, „Leute wie mich zur Verantwortung zu ziehen“. Macht könne süchtig machen, und deshalb sei es wichtig, den Machtmissbrauch anzuprangern. Tatsächlich zeichnet diese Kontrollfunktion einen verantwortungsvollen Journalismus aus. In früheren Zeiten hätte Bush mit dieser Aussage keine große Aufmerksamkeit erregt. Doch die Zeiten sind andere geworden, seitdem in Ländern, von denen man dies nie erwartet hätte, lange gültige demokratische Errungenschaften wie die Meinungsfreiheit infrage gestellt oder abgeschafft werden.

 

Autokratie nach Erdogans Vorstellungen

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist momentan der skrupelloseste und unerbittlichste Kämpfer gegen die Pressefreiheit. Sein Regime hat nach Schätzungen bis zu 150 Journalisten in Haft genommen, das sind mehr als in jedem anderen Land der Welt. Der Fall Deniz Yücel zeigt, dass Erdogan nicht einmal mehr davor zurückschreckt, Journalisten ausländischer Zeitungen mundtot zu machen. Das anfangs legitime Vorgehen gegen die Putschisten des vergangenen Jahres und deren Unterstützer ist längst nur mehr ein Vorwand, um in der Türkei eine Autokratie nach Erdogans Vorstellungen zu errichten – eine freie Presse ist darin nicht vorgesehen. In ähnlicher, wenngleich bei Weitem nicht so drastischer Weise haben auch Viktor Orbán in Ungarn und Jaroslaw Kaczynski als dominierende Gestalt hinter der Regierung in Polen die Pressefreiheit eingeschränkt. US-Präsident Donald Trump wütet momentan noch über Twitter und setzt ansonsten Nadelstiche gegen missliebige Medien. Doch wer Teile davon als „Fake-News-Medien“ tituliert und sie zum „Feind des amerikanischen Volkes“ erklärt, lässt klar erkennen, was er von Meinungsfreiheit hält: nichts.

Kritische Medien stören

Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist also zweifach bedroht. Zum einen durch den offenen und auch physisch ausgetragenen Kampf gegen missliebige Berichterstattung, zum anderen durch die Herabwürdigung und Verächtlichmachung der unabhängigen Presse – das beginnt beim Stereotyp der „Lügenpresse“. Zweifellos sind auch die Medien nicht frei von Fehlern und müssen sich genauso der Kritik stellen wie die Personen, über die sie berichten. Wer sie jedoch bekämpft und diffamiert, verfolgt damit selten das Ziel, die „richtigen“ Wahrheiten ans Licht zu bringen. Es geht fast immer darum, Kontrolle über die gesellschaftliche oder politische Diskussion zu erlangen und das Meinungsbild zu dominieren. Die Vereinfacher und Verführer, die in der politischen Kultur vieler Nationen Erfolg haben, wollen sich freie Bahn für die Verbreitung ihrer Weltsicht schaffen. Kritische Medien stören dabei.

„Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung“, heißt es in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1948. Heute sind etliche Gesellschaften mit der Frage konfrontiert: Wie viel ist uns dieses Recht noch wert? Der politische Wille, die Presse- und Meinungsfreiheit einzuschränken, kann sich – von Diktaturen abgesehen – nur dort durchsetzen, wo er auf ein entsprechendes gesellschaftliches Klima stößt. Deshalb ist es nicht nur eine Aufgabe der Medien, möglichen Machtmissbrauch zu verhindern. Dies ist auch die Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft insgesamt, wenn sie ein konstituierendes Element ihrer politischen Ordnung erhalten und einen Domino-Effekt verhindern will. Denn wenn erst einmal die Meinungsfreiheit abgeschafft ist, ist es auch mit der persönlichen Freiheit bald nicht mehr weit her.