Von der Pass- zur Tormaschine: Wie der Mittelfeldspieler, der Manchester City zu Siegen in Serie schießt, Bundestrainer Joachim Löw ins Grübeln bringt.

Manchester/Stuttgart - Wer Pep Guardiola, den Trainer von Manchester City, nach Ilkay Gündogan fragt, befindet sich in einer angenehmen Situation. Denn er hat die Garantie, als Antwort nicht nur ein freundliches Lächeln zu erhalten, sondern auch ein paar nette Sätze. Zum Beispiel jene: „Sie können sich nicht vorstellen, wie wichtig es für uns ist, einen Spieler wie ihn zu haben. Er ist so intelligent und clever, er versteht das Spiel perfekt. Gündogan ist einer der besten Transfers der Club-Geschichte.“ Klar, das sagt Guardiola, weil er es war, der den Mittelfeldmann von Borussia Dortmund 2016 unbedingt haben wollte. Aber natürlich auch, weil Gündogan längst unersetzbar ist – in dieser Saison sogar mehr als je zuvor.

 

Der 30-Jährige hat mit ManCity zwei Meisterschaften, einmal den Pokal und dreimal den Ligacup geholt. Im Rampenlicht standen dabei stets andere – Superstar Kevin De Bruyne, Torjäger Sergio Agüero, der charismatische Coach. Gündogan? Sagte bisher über sich: „Ich bin einer, der es anderen ermöglicht zu strahlen.“ Das tut er immer noch, doch nun glänzt er auch selbst. Aktuell gilt er als stärkster Mittelfeldakteur in Europa. „Er ist ein brillanter Fußballer, sieht das Spiel mit anderen Augen“, sagt Kollege Phil Foden. „Er ist in der Form seines Lebens.“ Das lässt sich mit Zahlen belegen.

Die Umstellung von Guardiola zahlt sich aus

Bisher überzeugte Gündogan auf dem Feld als Passmaschine, als Problemlöser, als Strippenzieher. Und jetzt erzielt er auch noch Tore! Neun Treffer machte er in den vergangenen neun Spielen, zuletzt steuerte er zu den Erfolgen in den Topspielen beim FC Liverpool (4:1) und gegen Tottenham Hotspur (3:0) jeweils einen Doppelpack bei. 16 Pflichtspiele in Serie hat ManCity gewonnen, der Vorsprung des Spitzenreiters auf Manchester United und Leicester City beträgt (bei einem Spiel weniger) komfortable sieben Punkte. Auch dank Gündogan, der mit seinem Team im Achtelfinale der Champions League auf Borussia Mönchengladbach trifft. „Er hat einen unglaublichen Riecher dafür, im richtigen Moment mit dem richtigen Tempo da zu sein, um ein Tor zu machen“, erklärt Guardiola, „das ist seine Qualität.“ Dass diese zum Tragen kommt, liegt nicht zuletzt am Trainer.

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Guardiola, der Taktikfuchs, lässt Gündogan in seinem 4:3:3-System seit einiger Zeit offensiver agieren, auf einer der beiden Halbpositionen im Mittelfeld – und nicht mehr wie in der Vergangenheit als alleinigen, defensiven Sechser oder als Teil einer Doppel-Sechs. „Ich habe oft gesagt, dass er auch als Stürmer spielen kann, als falsche Neun, und wurde dafür ausgelacht“, meint Guardiola, „jetzt spielt er nahe an den Stürmern und weiß in jeder Aktion, was das Beste für das Team ist.“ Und ein bisschen auch für sich selbst. Gündogan nutzt seine neue Freiheit, stößt öfter in die Spitze vor. „Ich habe momentan einen Torriecher“, sagt er, „und natürlich wächst auch das Selbstvertrauen.“

Nachfolger von Klinsmann und Sané

Im Januar wurde Gündogan („Es ist mir eine Ehre“) zum Spieler des Monats in der Premier League gewählt, als erst dritter deutscher Profi nach Jürgen Klinsmann (Tottenham Hotspur/August 1994) und Leroy Sané (ManCity/Oktober 2017). Der Stürmer des FC Bayern feierte daraufhin seinen Kumpel bei Instagram: „Gündooogoal!“ Was womöglich auch bei Bundestrainer Joachim Löw angekommen ist.

42 Länderspiele hat Gündogan bisher gemacht, vor allem eines wird er nie vergessen – das 0:6-Debakel im November in Spanien, als er mit Toni Kroos die Doppel-Sechs bildete. Das Duo ging im spanischen Angriffswirbel unter, weshalb sich auch Löw die Frage stellen dürfte, ob Gündogan im Nationalteam auf der richtigen Position spielt. Schließlich hat er in der DFB-Elf nur selten so überzeugt wie in Manchester, wo die TV-Experten ins Schwärmen geraten. „Gündogan ist eine Offenbarung“, meint etwa Liverpool-Legende Jamie Carragher, „es sieht so aus, als würde er City zum Titel tragen.“

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Was auch deshalb eine ganz besondere Leistung wäre, weil Gündogan (geschätzter Monatsverdienst: eine Million Euro) zu Beginn der Saison wegen einer Coronainfektion ausfiel und die Folgen der Erkrankung wochenlang spürte. Seit seiner Genesung spielt er besser denn je, was den Wohlfühlfaktor in Manchester noch einmal erhöht hat. Mittlerweile kann sich Gündogan ein Karriereende bei den Citizens vorstellen. „Die Art und Weise, wie hier gearbeitet wird, nicht nur sportlich, sondern auch in allen Bereichen drum herum, habe ich noch nie gesehen“, sagt er, „ich habe das Gefühl, dass dieser Club mehr ist als Fußball.“ Was zeigt: Nette Sätze sind derzeit in Manchester nicht nur von Pep Guardiola zu hören.