Das Vertrauen der Bürger in den Markt ist erschüttert: Fast zwei Drittel der Befragten trauen laut einer Studie insbesondere Anbietern von Finanzprodukten und Lebensmitteln nicht mehr.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Auf dem Deutschen Verbrauchertag in Berlin entfachte die neue Studie des Dachverbands der Verbraucherzentralen (VZBV) am Montag einige Debatten. Die Botschaft, die VZBV-Chef Gerd Billen im Wahljahr an Bundeskanzlerin Angela Merkel und die versammelte Politprominenz richtete, war eindeutig: Die Politik muss mehr als bisher für die Verbraucher und ihren Schutz tun. Der Markt stecke in einer Vertrauenskrise, so lautet Billens Fazit der repräsentativen Studie, die die Verbraucherschützer vom Meinungsforschungsinstitut Infas durchführen ließen. Demnach vermuten fast zwei Drittel der Befragten, dass es im Finanzbereich (63 Prozent) und bei Lebensmitteln (62 Prozent) Missstände und Produkte sowie Anbieter gebe, die Verbraucher täuschen und schädigen können. Befragt wurden 1000 Bürger zu den Kriterien ihrer Kaufentscheidungen.

 

„Das Vertrauensdefizit ist groß“, sagt Billen. Es sei nötig, dass Staat und Wirtschaft gegensteuern, Verbraucherinteressen ernst nehmen und für mehr Klarheit im Markt sorgen. Allerdings glaubt nur eine Minderheit, dass das wirklich gelingt und dadurch ein verbraucherfreundlicherer Markt entsteht. Nur 43 Prozent vertrauen in der Studie darauf, dass die Wirtschaft für Verbraucher nachteilige Produkte aussortiert. Und dem Staat traue das sogar nur noch jeder Dritte zu.

Die politischen Parteien haben den Verbraucherschutz offenbar zu wenig im Blick. Drei Monate vor der Bundestagswahl meint jeder vierte Befragte, keine Partei setze sich besonders dafür ein. Fast ein Drittel wusste gar keine Antwort. Mit 25 Prozent bekamen Bündnis 90/Die Grünen noch die meiste Zustimmung. Bei den Jüngeren bis 29 Jahren sind Union, SPD und Grüne fast gleichauf. „Wer Wähler als Verbraucher begreift und sie in ihrem Alltag stärkt, kann punkten“, sagt Billen. Die Parteien müssten ihr Profil schärfen und „mehr Verbraucherpolitik wagen“.

Bei den Kaufentscheidungen achten viele Verbraucher neben dem Preis-Leistungs-Verhältnis besonders auf die Herstellerangaben. Deshalb stehe die Wirtschaft besonders in der Verantwortung, so der VZBV. Denn in allen Märkten kritisieren die Verbraucher laut Studie in diesem Punkt große Defizite. So beklagten 57 Prozent der Befragten, dass die Informationen der Hersteller nicht ausreichten, um eine Auswahl zu treffen. Besonders im komplexen Finanzmarkt vertraut mit 77 Prozent ein besonders großer Teil der Bürger den Angaben und dem Ruf der Anbieter. Für 56 Prozent ist auch der erste Eindruck ein entscheidender Punkt. Diese Kriterien spielen somit offenkundig für viele eine teils viel größere Rolle als Prüfsiegel (47 Prozent), ethische Aspekte (48 Prozent) oder Testergebnisse (56 Prozent). Besonders erstaunlich: Nur jeder Dritte setze sich intensiv mit der Entscheidung bei Finanzen auseinander, so die Studie. Bei Lebensmitteln (50 Prozent) und Gebrauchsgütern (65 Prozent) liegt dieser Anteil weit höher. Die Verbraucherschützer sehen dadurch ihre Forderung untermauert, dass besonders auf dem Finanzmarkt viel stärkere Überwachung nötig sei. Denn hier sei der Verbraucher besonders auf eine funktionierende Marktaufsicht angewiesen. Man brauche „einen Finanzmarktwächter“, so Billen, also eine unabhängige Institution, die den Markt aus Verbrauchersicht beobachte und rechtzeitig auf Fehlentwicklungen aufmerksam mache. Ein solcher Wächter könne dann auch Verbraucherbeschwerden sammeln und analysieren, die Erkenntnisse daraus Politik und Wirtschaft zur Verfügung stellen und so als Frühwarnsystem Missstände frühzeitig erkennen, bevor Schaden entstehe.

Viele Bürger sehen das offenbar ähnlich. 66 Prozent der Verbraucher wünschen sich mehr Orientierung und weniger Finanzprodukte, wenn diese Auswahl dafür von einer unabhängigen Stelle überprüft und bewertet würde. Nur ein Drittel wünscht sich eine möglichst große Auswahl. In weniger starker Ausprägung äußerten sich die Befragten ähnlich auch bei Lebensmitteln, Gebrauchsgütern und Energieangeboten.