Die Archive von Marbach, Weimar und Wolfenbüttel haben sich zu einem Forschungsverbund zusammengeschlossen. Das eröffnet große Chancen, sagt Archivchef Ulrich Raulff im StZ-Interview.

Kultur: Stefan Kister (kir)
Stuttgart – Von Donnerstag an diskutieren Wissenschaftler aus aller Welt in Marbach über Fragen der Zusammenarbeit und des Austauschs zwischen Archiven, Bibliotheken und Museen. Der Anlass ist, dass das Deutsche Literaturarchiv (DLA), die Klassik Stiftung Weimar und die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel ihre einzigartigen Sammlungsbestände verknüpft haben. Was der DLA-Chef Ulrich Raulff vom Vortrag des Staatssekretärs vom Forschungsministerium, das das Projekt fördert, erwartet und warum Archive wichtig sind, hat er der StZ verraten.
Herr Raulff, was will man eigentlich mit einem Forschungsverbund erreichen?
Unsere Bestände – Wolfenbüttel, Weimar, Marbach – umfassen hintereinandergeschaltet mehr als fünf Jahrhunderte deutscher Geistes-, Literatur- und Ideengeschichte. Das Ziel ist, diese Ressource für die Geisteswissenschaft auch international besser sichtbar zu machen. Dazu wollen wir einen Teil unserer Forschungsbemühungen neu strukturieren: gemeinsame Stipendien anbieten und unsere Publikationen besser auf die internationale Forschergemeinschaft ausrichten.

Wie weit sind die Vorarbeiten gediehen?
Das Arbeitsprogramm für die einjährige, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Pilotphase ist im Wesentlichen abgeschlossen. Dazu haben wir eine lange Reihe von Gesprächen mit Kollegen, Museumsleuten, Archivaren und Benutzern in der ganzen Welt geführt, um deren Wünsche, Interessen und Empfehlungen kennenzulernen.

Die einzelnen Orte haben aber doch ganz unterschiedliche Profile und Schwerpunkte?
Wir alle sammeln Literatur, Philosophie und Zeugnisse der Literaturgeschichte. Das ergibt eine gute Reihenfolge und eine sehr dichte Überlieferung. Wir bemühen uns um den Aufbau einer digitalen Forschungsumgebung. Alles, was an einer der drei Einrichtungen erforscht wird, soll jederzeit den Wissenschaftlern der anderen zur Verfügung stehen.

Geht mit der virtuellen Stärkung nicht eine Schwächung der Standorte einher?
Die individuellen Profile werden in keiner Weise geschwächt, sondern weiter ausgebaut. Da habe ich ein waches Auge darauf. Wir machen ja nicht aus Vielem das Gleiche. Sondern schaffen mit Neuem etwas Anderes.

Wie verhält sich die Frage der Digitalisierung zum Trumpf eines jeden Archivs, der realen Präsenz des Objekts?
Wir sammeln Originale. Im selben Maß wie wir in die digitale Welt hineingehen, wächst deren Wert. Das gilt auch für den Forschungsverbund: Er ist so stark, wie es die großen Sammlungen an Originalen sind, und so leistungsfähig wie seine Fortschritte in der Digitalisierung.

Können Sie die Vorteile eines Verbundes an einem Beispiel verdeutlichen?
Wir in Marbach versuchen unsere enormen Bildbestände stärker für die Forschung zu nutzen und haben deshalb unseren beiden Partnern ein Projekt zum Verhältnis von literarischem Text und Autorenbild vorgeschlagen. Wolfenbüttel und Weimar, die ja ebenfalls über enorme Bildbestände insbesondere im Porträtbereich verfügen, haben spontan reagiert. Wenn wir nun eine Forschergruppe bilden, verteilen sich die Mitarbeiter auf die drei Standorte. Das ist ein Fall, wo man aus dem Zusammendenken der Bestände einen klaren Mehrwert gewinnt. Solche Projekte haben exemplarischen Charakter, und wir warten darauf, dass aus der internationalen Forscherszene ähnliche Vorschläge an uns herangetragen werden.

Wer soll das koordinieren?
Man braucht einen Außenbordmotor, um diese drei Dampfer in eine neue Bewegung zu bringen. Der Wissenschaftsrat empfiehlt, eine gemeinsame Koordinierungsstelle einzurichten. Ich halte dies für unverzichtbar. Es bedarf eines solchen vierten, selbstständigen Orts, an dem eine Person sitzt, ein geistiger Unternehmer, der auf eigene Faust denken kann und auch einmal wagt, seinen drei Direktoren zu widersprechen. Nur so können irgendwann einmal stabile institutionelle Strukturen entstehen, die mehr sind als das, was jetzt schon da ist.

Gibt es auch Reibungen?
Wenn sie drei so große Solisten haben, muss man die erst einmal zum Zusammenspielen bringen. Das ist wie in der Musik.