Gerechnet hat damit eigentlich niemand: Campo Bahia, die Unterkunft der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Brasilien, ist bezugsfertig – trotz aller Unkenrufe im Vorfeld des Turniers.

Santo André - Es ist kurz nach Mitternacht. Tobias Junge wirkt müde, aber aufgekratzt. Und das umso mehr, als er für diese Nacht ein ganz besonderes Vergnügen ankündigt: „Heute schlafe ich im Bett von Bastian Schweinsteiger!“, verkündet er fröhlich bei der Absacker-Caipirinha auf dem Deck des Restaurants Victor Hugo, vor dem die Wellen des Atlantiks in der Dunkelheit rauschen.

 

Victor Hugo hat nichts Französisches – die beiden Gründer hießen Victor und Hugo – und auch nicht viel Brasilianisches. Das Lokal ist fest in deutscher Hand, denn nebenan liegt Junges Probeschlafquartier: Campo Bahia, das Luxusresort, in dem das deutsche Fußball-Nationalteam während der WM wohnen wird. Junge ist einer der drei Partner des Immobilienprojektes. Er leitet die Bauarbeiten, von denen viele, die Brasilien, seine Bürokratie und seine Handwerker kennen, gedacht haben, sie würden nie und nimmer rechtzeitig fertig.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) verkündete Mitte Dezember seinen Entschluss, die Spieler hier und nirgendwo anders einzuquartieren. Also blieb Junge nur ein halbes Jahr, um die vier Villen für die Spieler – jede mit sechs Suiten, die jeweils 50 Quadratmeter groß sind – und weitere Baukörper mit 41 Zimmern zu bauen. „Alles wird fertig, wir rücken nur noch die Möbel“, beschreibt Junge nun den Stand der Dinge. Man darf nicht hinein, aber man kann durch den Zaun spähen: Ja, die Sonnenliegen stehen schon in Reih und Glied auf der Terrasse, mit weißen Auflagen und hellblauen Kissen. Aber überall wieseln   Handwerker herum – 60, so sagt Junge, und nicht mehr „300 wie in der heißen Zeit“.

Der DFB bezahlt 1,5 Millionen Euro Miete

Der Rasen muss noch ausgelegt und eine Menge tropisches Grünzeug eingepflanzt werden, das, die Wurzelballen in schwarzem Plastik, aufgereiht am Zaun steht. Zwei aus München eingeflogene Elektriker montieren tagelang nur Lampen. Dennoch beharrt Tobias Junge darauf, dass er brasilianische Firmen, Arbeiter und Materialien bevorzugt hat: „Das war so gewünscht“. Vom DFB? „Von uns!“, entgegnet Tobias Junge, „der DFB hat da gar nix zu sagen.“

Der DFB baut das Camp nicht, er lässt es auch nicht bauen. Errichtet wird es von den Investoren – außer Junge sind dies der Versicherungskaufmann Kai Bakemeier und der Münchner Modeunternehmer Christian Hirmer –, die es dem DFB für 1,5 Millionen Euro vermieten. Kann man daraus folgern, dass das deutsche Nationalteam der schönste Werbeträger für das Investment an der Küste von Bahia ist? „Der schönste vielleicht nicht“, sagt Junge. Sicher, Gisele Bündchen wäre schöner als Miroslav Klose, aber trotzdem: Macht die Nationalelf Werbung? „Völlig klar, der DFB ist ein Riesenvorteil für uns“, räumt Tobias Junge ein.

Vermutlich nicht nur wegen des Werbeeffektes. Die Deutschen hatten das Gelände im Ferienort Santo André im Bundesstaat Bahia schon 2009 gekauft, aber das Vorhaben kam jahrelang nicht vom Fleck. Erst als der DFB im Boot war, lief es wie am Schnürchen. Druck von oben – etwa der brasilianischen Regierung, die Interesse an einer reibungslosen WM hat – habe keine Rolle gespielt, sagt Junge. Das sehen viele anders.

Vor etwa 30 Jahren begann in der Region der Strandtourismus in großem Stil, und mit ihm die Zersiedlung der Küste. Die Flut der Strandbars, Hotels, Pensionen und Ferienhäuser, die außerhalb der Saison leer stehen, kam kurz vor Santo André, 30 Kilometer nördlich von Porto Seguro, zum Stehen. Das liegt am Rio João de Tiba, über den nur die halbstündlich verkehrende Fähre führt: Seine isolierte Lage hat Santo André vom Massentourismus verschont. Campo Bahia stört also den paradiesischen Frieden des 800-Seelen-Dörfchens – so sehen das jedenfalls viele Anwohner, und dass der Störenfried im Ruf steht, groß, reich und mächtig zu sein, scheint mitunter auch die Kritik ins Maßlose zu verzerren.

Anwohner befürchten Prostitution und Kriminalität

„Wir wissen nicht, wer die sind, die da arbeiten“, sagt etwa Tiago Paixão, der in Santo André aufgewachsen ist und in der Schweiz eine Hotelfachschule besucht hat. Das ist eine oft geäußerte, gleichwohl kleinkarierte Sorge: Natürlich kommen die Arbeiter nicht aus irgendwelchen gewalttätigen Favelas, sondern aus den Dörfern der näheren und weiteren Nachbarschaft. Die Arbeiten zögen Prostitution und Kriminalität an, heißt es im Dorf. „Ein Puff entsteht, wenn ich eine Mine aufmache“, hält Junge dagegen, der früher im Bergbau gearbeitet hat, „aber doch nicht wegen eines Projektes von 3800 Quadratmetern!“

Silvia Tagariello ist die Ortsvorsteherin, also die Ansprechpartnerin der Stadtverwaltung von Cabrália, der Gemeinde, zu der Santo André gehört. „Viel Adrenalin zurzeit“, urteilt sie, „wenn die WM vorbei ist, wird sich alles wieder normalisieren.“ Dass zwei Mädchen belästigt oder gar vergewaltigt worden seien, hat sie „nur als Gerücht“ gehört; Anzeige sei jedenfalls nicht erstattet worden. Kleine Klauereien habe es zwar gegeben, „aber die gab’s schon immer, da kann ich doch nicht ein Hotel beschuldigen, das gerade gebaut wird“.

Sicher, Drogen seien verbreitet, aber das sei schon seit Langem so, leider. Genauso Teenager-Schwangerschaften: kommen vor, aber nicht wegen Campo Bahia. Santo André, das ist nicht viel mehr als ein Sandweg, der parallel zur Küste verläuft. In dem Streifen zwischen ihm und dem Strand liegen ein paar Pensionen und Restaurants, ein großes Hotel, die Häuser und Villen von Auswärtigen, und künftig auch Campo Bahia. Und auf der anderen Seite des Sandwegs, also ohne Strandzugang, leben meist die „nativos“, die Eingeborenen, in eher bescheidenen Behausungen.

Aber weil der Ort klein ist und jeder jeden kennt, scheint sich ein Gleichgewicht zwischen arm und reich, zwischen einheimisch und auswärtig eingependelt zu haben, das einer gewissen sozialen Verantwortung erwachsen ist und dem Ort gut tut. Eine verstorbene Anwohnerin hat zum Beispiel ihr Haus als Jugendzentrum hinterlassen, und die laufenden Kosten von etwa 40 000 Euro im Jahr wären, so sagt die Leiterin Jimena Álvarez, ohne ständige private Spenden nicht zu bestreiten.

Ideales Klima für Gartenzaunstreitigkeiten

Dabei ist es „eine Erfolgsgeschichte – als wir anfingen, sind gerade mal 13 Kinder gekommen, und heute steht praktisch die gesamte Elternschaft hinter uns!“ Ähnlich sieht es aus mit der Musikschule, die ein privater Verein trägt; dort bauen sie sogar die Saiteninstrumente selbst. Die Betuchteren in Santo André haben auch das Mobiliar der staatlichen Schule gestiftet, die Räume renoviert, die Schuluniformen gekauft.   Denn die Stadtverwaltung in Cabrália versagt, da sind sich beide Gruppen einig. Sie kümmere sich nicht um Santo André – unter anderem auch, weil sich der Ort ja dank seiner Reichen selbst zu helfen wisse. Was auch Fernando Oliveira, der Tourismussekretär von Cabrália bestätigt: Es gebe einfach bedürftigere Ortsteile.  

Auf der anderen Seite bedeutet die soziale Nähe mitunter auch Enge: das ideale Klima für Gartenzaunstreitigkeiten, wie sie überall auf der Welt vorkommen – und die durch die Anwesenheit der Deutschen mächtig aufgeblasen werden. In dieser Situation scheinen sich die Investoren äußerst ungeschickt verhalten zu haben. „Warum haben sie keine Versammlung einberufen und ihr Projekt der Gemeinde vorgestellt?“, klagt Lea Penteado, eine PR-Agentin, die seit zehn Jahren im Ort lebt. Ob der Investor deutsch, chinesisch oder sonst was sei, kümmere sie nicht, sagt sie, und jetzt sei es eh gelaufen: „Sollen sie hier glücklich werden!“

  „Ich hab‘ dem Tobias gesagt, eure Außendarstellung ist miserabel“, meint Günter Keseberg, ein pensionierter deutscher Wirtschaftsmann, der oberhalb von Santo André eine Villa besitzt. Dass sie zum Beispiel einen Krankenwagen gespendet haben (Silvia   Tagariello zufolge eine Spende, die von den Steuern abzuziehen ist), hätten sie viel lauter herausposaunen sollen.

Haben sie sich tapsig verhalten, die Bauherren? „Sicherlich“, räumt auch Junge ein, „wir verstehen eben nichts von PR.“ Auch die deutsche Presse haben sie verprellt: „Als die ersten negativen Berichte kamen, hat der DFB gesagt, redet mit überhaupt niemandem, aber das war auch falsch!“ Was nach der WM aus Campo Bahia wird, will Junge „aus Respekt vor dem DFB“ nicht sagen. Die Bewohner für Santo André sind jedenfalls gespannt: Wird es eine Art Luxushotel, entstehen dauerhafte Jobs? Werden die Einheiten einzeln verkauft, kommt es darauf an, wie sich die Käufer einfügen. „Wenn sie ein bisschen soziales Gewissen zeigen, kann es gut gehen“, meint Keseberg, „aber wenn es solche Hoppla-jetzt-komm-ich-Deutsche sind, dann seh‘ ich schwarz!“