Zwei pensionierte Pädagogen aus dem Kreis Günzburg haben einen Deutschkurs für Flüchtlinge entwickelt, damit die sich möglichst schnell im Alltag zurecht finden können – jetzt können sie sich vor Anfragen kaum retten.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Thannhausen - Ein Jahr ist es her, da kamen Flüchtlinge aus Afrika und dem nahen Osten auch in die bayerisch-schwäbische Gemeinde Thannhausen. Im 6000-Einwohner-Dorf im Kreis Günzburg, Residenz einer Fleischfabrik, die früher königlich-bayerischer Hoflieferant für Saftwürste war, sollte alsbald ein Deutschunterricht organisiert werden.

 

Von höherer Beamtenstelle wurden die beiden pensionierten Schulrektoren Karl Landherr und Hans Dieter Hörtrich gebeten, die Neuankömmlinge auf den ersten Schritten ins Gebirge der deutschen Sprache an die Hand zu nehmen. Sie sichteten und blätterten und zogen alte Breviere des Deutschunterrichts für Erstklässler hervor, dazu moderne Standardwerke zur Spracheinführung ins Deutsche. Da lasen die Ex-Rektoren hübsche kleine Geschichten von Peter, Paul und Maria, die gemeinsam in Urlaub fahren und dergleichen, alles garniert mit Fotos streng mitteleuropäisch aussehender Mittelschichtsangehöriger, die lächelten und Dinge taten, die ordentlich gebildete Deutsche angeblich so machen. Das alles sei „super, aber nicht für die Leute hier gemacht“, befand Karl Landherr. Benötigt werde vielmehr eine „Sprache als Basis zum Überleben“.

Den Helfern wurde in kurzer Zeit die Bude eingerannt

Landherr setzte sich mit Hans Dieter Hörtrich und der Pädagogin Isabell Streicher zusammen, sie schrieben ihr eigenes Wörterbuch, nannten es „Deutschkurs für Asylbewerber“ und untertitelten es mutig mit dem Begriff „Thannhauser Modell“. Der Erstdruck wurde mit kleinem Budget aus den Taschen spendenwilliger Menschen gestemmt. „Wir waren so blauäugig und haben gemeint, da schicken wir halt noch ein paar Bücher woanders hin“, sagt Landherr, der als Mathematik-Buchautor beim Stuttgarter Klett-Verlag mit eher bedächtigen Handelsmodalitäten vertraut war. Aber in kürzester Zeit wurden den Thannhausener Helfern die Bude eingerannt, mehr als 10 000 Exemplare wurden in nur gut zwei Monaten gedruckt. Die fünfte Auflage ist erreicht, die sechste in Vorbereitung. Neben Ausgaben mit englischen Untertiteln wird es bald auch eine mit französischen Co-Vokabeln geben und eine deutsch-arabische Ausgabe.

Das 47-seitige Lernheft arbeitet die Wochentage und Jahreszeiten ab, die Uhrzeit und die Tätigkeitsbegriffe des Alltags wie lernen, essen, putzen und schlafen. Es zeigt Grundlinien erster Kommunikation („Wie geht es Ihnen?“, „Wo wohnen Sie?“), benennt Lebensmittel und Kleidungsstücke. Aber das Vokabeltraining geht eben noch über das Erwartbare hinaus. Neben den Bedeutungen von Brot, Seife und Duschgel lernen die Flüchtlinge auch, was es mit den Begriffen Garantie, Pfand, Umtausch, reduziert oder Sonderangebot auf sich hat. „Die Erstorientierung ist entscheidend“, sagt Autor Landherr.

Eine Sprachstudentin sammelt praktische Erfahrungen

Die Deutschstunden im Rot-Kreuz-Haus von Thannhausen sind rappelvoll. Die Flüchtlinge, eingeteilt in Anfänger- und Fortgeschrittenen-Gruppen, bekommen stets einen zehnminütigen Frontalunterricht, und dann geht es in kleinen Lernrunden weiter, die von vielen freiwilligen Hilfspädagogen geleitet werden. Auch Helfer ohne pädagogische Bildung, sagt Landherr, könnten mit dem Deutschheft unterrichten.

Eine der Helferinnen ist die aus Thannhausen stammende Türkin Nurten Göze, derzeit Sprachstudentin in München. Sie sei im 6. Semester, erzählt sie, „und ich fühlte mich, als hätte ich keine ausreichenden Praxiserfahrungen“. Die holt sie jetzt nach. „Das ist Hilfe und Gegenhilfe. Ich gewinne auch etwas daraus.“ Hans Dieter Hörtrich führt die Lerngruppen wann immer möglich hinaus in die Gemeinde. „Wenn wir vom Rathaus sprechen oder vom Einkaufen, dann gehen wir auch dorthin. Wir zeigen zum Beispiel auch die Tricks – dass die billigen Sachen im Regal unten stehen und die teureren oben.“

Der Vertrieb des Lernheftes wurde an ein Verlagshaus übergeben

Und natürlich sind sie in diesem Sommer auch am Thannhausener Kiesweiher mit seinen steil abfallenden Ufern und fehlenden Flachwasserzonen gewesen, in dem Einheimische sich gut zurechtfinden, Menschen mit wenigen oder gar keinen Schwimmkenntnissen aber nicht. Geht lieber ins örtliche Freibad, dort gibt es ein – hier kommt ein zutiefst deutsches Wort – Nichtschwimmerbecken, sagen die Pädagogen den Flüchtlingen. Die Autos sind schnell und die Ampeln nicht zum Spaß da, lautet ein anderer Rat. Aus der guten Sache ist inzwischen insoweit ein Problem geworden, als die Verbreitung des Lernhefts, das für eine Schutzgebühr von 6,50 Euro verkauft wird, ein Geschäft zu werden droht. Niemand unter den streng ehrenamtlich arbeitenden Initiatoren hatte sich bisher Gedanken darüber gemacht, wie die Einnahmen fiskalisch zu verbuchen sind.

Den Vertrieb habe man inzwischen an ein Verlagshaus gegeben, sagt Karl Landherr. Allein die Anfragen aus ganz Deutschland, ausgelöst unter anderem durch einen ZDF-Fernsehbericht, hätten das Familienleben zeitweise lahm gelegt. Eine Lösung muss her, dabei gibt es doch eigentlich Wichtigeres. In Kürze werden in Thannhausen 40 unbegleitete Jugendliche aus Krisen- und Armutsländern dauerhaft untergebracht.