Beppi Steinbeißer ist mit 86 Jahren die älteste ihrer Zunft – für sie ist der See ihr Leben.

Am frühen Morgen ist Beppi eine Königin. „Die Alleinherrscherin über den Chiemsee“, sagt sie und schaut vergnügt in die Weite. Die ersten Sonnenstrahlen blitzen über die Berggipfel des Staufen und bringen den Nebel zum Leuchten. Hellblau liegt er wie ein zarter Schleier über dem glatten See. Sanft wiegt sich das Schilf im Wind, eine Stockente taucht in die Tiefe für ihr erstes Frühstück.

 

Es ist 5 Uhr. Die Stühle in den Biergärten stehen auf den Tischen, auf den Rad- und Wanderwegen ist noch niemand unterwegs, die Touristen schlafen in ihren Hotelbetten. Heute ist die 86-Jährige mit ihrer Enkelin auf den See hinausgefahren. Während Kathrin (21) die 110 Meter langen Netze auslegt und befestigt, sitzt Beppi hinten, kerzengerade auf dem Bänkchen, wie auf einem Thron, und steuert den Außenbordmotor. Der See ist ihr Leben, sagt Josepha Steinbeißer, die von allen nur Beppi genant wird. Schon als zehn-jähriges Mädchen ist sie mit ihrem Vater Sebastian rausgefahren. Von Januar, sobald das Eis geschmolzen war, bis Anfang Oktober waren sie jeden Tag zweimal draußen. „Damals mussten wir rudern. Wenn morgens um acht die Schulglocke läutete, hatte ich schon einen richtigen Frühsport hinter mir.“

Die Fischerei auf dem Chiemsee hat eine lange Tradition. Schon im Mittelalter besaßen die Benediktinerinnen, die auf der Fraueninsel im See wohnten, die Fischereirechte. Noch heute gibt es dort ein aktives Klosterleben, 27 Nonnen leben dort. Bis zur Säkularisation 1801/02 mussten die Fischer den Großteil ihres Fangs an die Ordensfrauen abgeben. Heute hat die Fischerei-Genossenschaft den See vom Bayerischen Freistaat gepachtet. 16 Berufsfischer sind derzeit noch aktiv und fischen Renken, Forellen, Saiblinge. Das Handwerk wird von Generation zu Generation weitergegeben. „Fischerin ist nicht nur ein Beruf, es ist eine Leidenschaft“, sagt Beppi. In all den Jahren ist sie nicht einmal krank gewesen. Selbst bis kurz vor den Geburten ihrer vier Kinder fuhr sie hinaus.

Bei einem der langen hölzernen Stege, die am Priener Ufer in den See hineinragen, schwimmt ein verliebtes Schwanenpärchen. Gegenüber auf der Herreninsel sind zunächst nur Bäume und niedrige Sträucher zu sehen. Doch plötzlich öffnet sich eine Sichtachse und gibt den Blick frei auf Herrenchiemsee, das prunkvolle Schloss, das Märchenkönig Ludwig II. nach dem Vorbild von Versailles 1878 bauen ließ. Als Beppi ein Kind war, erzählten die alten Leute vom König und vom Bau seines Schlosses. Davon, wie sich der menschenscheue Ludwig bei Dunkelheit heimlich mit einer Chiemseeplätte von der Landzunge Urfahrn hinüber zur Insel fahren ließ, um den Fortgang der Bauarbeiten zu kontrollieren. Beppi lacht herzlich, so dass die tiefen Falten über ihr braun gebranntes Gesicht wandern. „Meine karierte Haut, die hab ich vom Papa“, sagt Beppi. „Jede Falte kann eine eigene Geschichte erzählen.“

Meistens sind das Geschichten vom See. Davon, wie Beppis Mutter als Baby im März 1895 zur Taufe über den noch vollständig gefrorenen See getragen wurde. Oder davon, wie geschockt die Fischer waren, als 1989 die neue Ringkläranlage (128 Kilometer Rohre sind auf dem Grund des Chiemsees verlegt) in Betrieb genommen wurde. Plötzlich gab es deutlich weniger Fische, weil es im Wasser viel weniger Nährstoffe gab. Heute hat der Chiemsee die Wasserqualität der Stufe zwei – Trinkwasser. Nur der Königssee bei Berchtesgaden ist sauberer. Heute seien natürlich alle sehr stolz darauf, erzählt Beppi.

Aber die Lieblingsgeschichte der alten Fischerin, die sie ihren acht Enkeln und vier Urenkeln gerne erzählt, ist die von ihrem 21.Geburtstag. Natürlich hatte Beppi auch damals an ihrem Ehrentag gearbeitet und einen 30 Pfund schweren Hecht aus dem Wasser gezogen. Der XXL-Fisch wurde auf eine Schubkarre gehievt und nach Hause gefahren. Alle Nachbarn kamen, um zu schauen. Da war auch der Alois dabei, der als Zimmerer bei einem Hausbau geholfen hatte. Es war Liebe auf den ersten Blick. Aber weil verklärte Romantik nicht zu Beppis zupackender Art passt, fasst sie den Tag, an dem sie den Mann ihres Lebens kennenlernte, auf Bayerisch zusammen: „Da hab i zwoa kapitale Hechte gefangen. Für den einen hab i vom Fischhändler recht a guats Geld bekommen. Den Zwoaten, den Alois, den hab i nimmer losbracht.“ Alois kam von einem Bergbauerndorf in den Alpen, aus Aschau. Doch es war klar, dass er seine Josepha nie für Fleckvieh, Schafe und Ziegen würde begeistern können. „Mich hat es immer nur mit See gegeben. Das wusste mein Mann, darüber haben wir nie diskutiert.“

Prien

Anfahrt
Den Chiemsee erreicht man mit dem Auto über die A8 München–Salzburg oder mit der Bahn (ICE-Haltestelle Prien am Chiemsee).

Übernachtung
Das Hotel Neuer am See liegt nur 200 Meter vom See entfernt am Westufer und gleichzeitig nahe am Zentrum von Prien, DZ ab 98 Euro, www.neuer-am-see.de. Das Hotel Reinhart am Chiemsee liegt in unmittelbarer Nähe zur Dampferanlegestelle gegenüber von Schloss Herrenchiemsee. Von hier aus hat man einen schönen Blick über die Berge und das Wasser, DZ ab 48 Euro, www.hotel-reinhart.de.

Ein familiär geführtes Haus mit direkter Seelage und Zugang zum Naturbadestrand ist das Hotel Chiemgauhof, DZ ca. 100 Euro, www.chiemgauhof.com.

Essen und Trinken
In der Fischerhütte Reiter in Osternach gibt es Steckerlfisch nach alter Tradition,  Forellenweg 29, Prien am Chiemsee, Telefon 08051/4139. Bei Fischer am See haben die Gäste einen herrlichen Blick über den See. Serviert werden fangfrischer Chiemseefisch und Delikatessen aus der eigenen Räucherkammer, Harrasser Straße 145, Prien, Telefon 08051/9076-0.

Fischsorten
Es gibt 30 Fischarten im Chiemsee. Der „Brotfisch“ der Fischer – also der, mit dem sie das meiste Geld verdienen und der sowohl geräuchert als auch als Steckerlfisch in den Restaurants am See gegrillt wird– ist die Renke. Mehr als 50 Prozent der gefangenen Fische sind Renken. Außerdem gibt es Forelle, Hecht, Karpfen, Saibling, Waller, Aal.

Geführte Touren
Jeden Freitag um 10.20 Uhr (von Mai bis Oktober) macht Gästeführerin Helga Schömmer eine Seeführung. Kosten: 4 Euro, Infos: Priener Tourismus Gesellschaft, www.prienavera.de, Telefon 08051/6905-0.

Gefahren
Der Chiemsee sieht zwar lieblich aus, kann aber ganz schön gefährlich sein. Durch die Nähe zu den Bergen kann das Wetter am „bayerischen Meer“ schnell umschlagen, und gefährliche Winde der Stärke 4 bis 5 können plötzlich aufkommen. Die Sturmwarnungen müssen deshalb immer sehr ernstgenommen werden. Auch bei Gewitter den See sofort verlassen! In kalten Wintern friert der See oft komplett zu. Dennoch immer mit Vorsicht betreten. Etwa 70 ungeborgene Leichen, die in den vergangenen 200 Jahren vermisst wurden, werden im Schlamm des Sees vermutet.

Allgemeine Informationen
Chiemgau Tourismus, Telefon 0861/909590-0, www.chiemgau-tourismus.de.