40.000 Menschen wollen heute eine 45 Kilometer lange Menschenkette zwischen Stuttgart und dem AKW Neckarwestheim bilden.

Berlin - Die Gefahr einer Reaktorschmelze in Japan nach dem verheerenden Erdbeben hat die Atomdebatte in Deutschland neu angeheizt. Vor allem bei Linken, Grünen und Umweltverbänden wurden kritische Stimmen laut. Das Unglück in Japan kam einen Tag vor der geplanten Großdemonstration gegen Atomkraft in Baden-Württemberg. 40.000 Menschen sollen an diesem Samstag vom Atomkraftwerk Neckarwestheim bis ins 45 Kilometer entfernte Stuttgart bilden.

 

Linke-Chef Klaus Ernst erklärte die Atomkraft für „einfach nicht beherrschbar“. Der „Leipziger Volkszeitung“ (Samstag) sagte er: „Vor Umweltkatastrophen und Großunfällen gibt es nirgendwo einen hundertprozentigen Schutz.“ Atomkraftwerke seien im Katastrophenfall ein Schadensmultiplikator. „Das ist in dichtbesiedelten Gebieten ein permanentes Spiel mit dem Feuer.“

Die Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, Rebecca Harms, schlug den Bogen zur europäischen Atomkraftpolitik. „In einem Land (wie Japan), in dem jedes Gebiet von Erdbeben gefährdet ist, ist auch eine geologische Endlagerung von atomaren Abfall nicht denkbar“, erklärte sie der hannoverschen „Neuen Presse“ (Samstag). „Seitdem wir den (deutschen EU-) Energiekommissar Günther Oettinger haben, wird die Atomkraft europaweit wieder forciert - und das im erbebengefährdeten Italien, Bulgarien und der Türkei.“

Evakuierung im Umkreis von drei Kilometern

Der japanische Ministerpräsident Naoto Kan hatte nach dem Erdbeben Atomalarm ausgelöst. Das Gebiet um das Kernkraftwerk Fukushima wurde im Umkreis von drei Kilometern evakuiert, weil die Kühlung des Reaktors nicht mehr gewährleistet war. „Im allerschlimmsten Fall droht dann eine Kernschmelze“, sagte der Sprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln, Sven Dokter.

Die Anti-Atomkraft-Organisation „ausgestrahlt“ warf dem Bundesumweltministerium „Desinformationspolitik“ in der Kernkraftfrage vor. Auch in deutschen Atomkraftwerken sei der Ausfall der Kühlung möglich. Im hessischen Biblis habe am 8. Februar 2004 die Kernschmelze gedroht. „Was wir in diesen dramatischen Stunden erleben, ist ja gerade, dass selbst eine automatische Abschaltung nicht vor einer Kernschmelze schützt“, erklärte Sprecher Jochen Stay.

„Selbst nach einer Schnellabschaltung produzieren die Brennstäbe so viel Energie, dass sie ohne ständige Kühlung schmelzen.“ Henrik Paulitz von der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW erklärte: „Stets wurde uns von der deutschen Atomindustrie Japan als leuchtendes Beispiel für erdbebensichere Atomkraftwerke vor Augen geführt.“ Jetzt zeige sich, was die Verlautbarungen dieser Branche wert seien. „Auch in Deutschland gibt es massivste Probleme mit einer unzureichenden Erdbebenauslegung von Atomkraftwerken.“

Vermutlich seien „alle Atomkraftwerke im Rheingraben und am Neckar durch an diesen Standorten mögliche Erdbeben gefährdet“.