Im zweiten Länderspiel nach der WM wird die deutsche Nationalmannschaft von Belgien eine Halbzeit lang schwindelig gespielt. Nach der Pause läuft es besser, doch die Treffer von Niclas Füllkrug und Serge Gnabry können die defensiven Schwächen nicht aufwiegen.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Serge Gnabry hatte sich noch einmal eine Menge vorgenommen. Erst setzte der deutsche Angreifer in der Schlussphase der Partie gegen Belgien einen Schuss an den Pfosten, drei Minuten vor dem Ende musste er dann nur noch den Fuß zum Anschlusstreffer hinhalten. Allein, es sollte der Schlusspunkt einer aufschlussreichen Begegnung werden. Mit 2:3 (1:2) unterlag die Nationalmannschaft in ihrem zweiten Spiel nach der WM-Enttäuschung von Katar gegen Belgien. Ein Rückschlag nach dem zuvor gelungenen Neustart beim 2:0 gegen Peru.

 

„Belgien hat uns mit seinen Kontern gnadenlos ausgespielt“, musste Bundestrainer Hansi Flick anerkennen. „Wir haben noch viel Arbeit vor uns.“ Gegenüber der Partie gegen die Südamerikaner hatte Flick vor 42 900 Fans in Köln drei Umstellungen vorgenommen. In der Innenverteidigung ersetzte Thilo Kehrer Nico Schlotterbeck, für Kai Havertz rückte Serge Gnabry in die Startformation. Auf der Sechser-Position vor der Abwehr erhielt Leon Goretzka den Vorzug vor Dortmunds Emre Can. Viel hatte Flick vor der Partie von defensiver Stabilität gesprochen, an der er bis zur Heim-EM 2024 arbeiten wolle. Die vielen individuellen Fehler ab- und mehr Kompaktheit herstellen. Eine bessere Balance zwischen Angriffs- und Abwehrverhalten herstellen.

„Die ersten 30 Minuten waren ganz schlimm“

Das klang gut. Beim 2:0 gegen das zweitklassige Peru stand die DFB-Elf auch stabil. Die Belgier sind aber ein anderes Kaliber und deckten die nach wie vor vorhandenen defensiven Schwächen gnadenlos auf. Es ging schnell.

5. Minute: Nach einem Konter über Topstar Kevin de Bruyne tauchte Yannick Carasco frei vor Marc-André ter Stegen auf – 0:1.

9. Minute: Wieder war die DFB-Elf unsortiert, erneut leitete de Bruyne den Angriff und schon stand es 0:2. Weil Romelu Lukaku vor dem Tor eiskalt blieb.

Ein Doppelschlag in den ersten zehn Minuten. Das hatte es lange nicht mehr gegeben für eine deutsche Nationalmannschaft. Die im 999. Länderspiel ihrer Geschichte Glück hatte, nicht noch heftiger unter die Räder zu kommen. Nach 19 Minuten ließ Dodi Lukebakio die nächste Großchance liegen, als er nach einem Konter seine Gegenspieler wie Slalomstangen umkurvte und knapp am Pfosten vorbeizielte. Und Lukaku den Ball nur an die Latte köpfte (21.). „Die ersten 30 Minuten“, sagte Joshua Kimmich und seufzte, „die waren ganz schlimm. Da waren wir gar nicht auf dem Platz.“

Belgien mit Ex-Stuttgarter-Quartett: Tedesco, Schneider, Hinkel, Mangala

Die Belgier mit ihrem neuen Trainer Domenico Tedesco, den Assistenten Thomas Schneider und Andreas Hinkel sowie dem vierten Ex-Stuttgarter Orel Mangala in der Startelf spielten die deutsche Mannschaft nach allen Regeln der Kunst schwindelig. Kaum zu glauben, dass sie in Katar ebenfalls schon in der Vorrunde scheiterten. Vor allem ihr Konterspiel grenzte an (technische) Perfektion. Überfordert zeigte sich das defensive Mittelfeld mit Joshua Kimmich und Leon Goretzka in seinem 50. Länderspiel. Genauso die Viererkette mit Rechtsverteidiger Marius Wolf. Thilo Kehrer machte im Zentrum gegen Sturmtank Lukaku keinen Stich. Die deutsche Zweikampfquote von 30 Prozent nach 30 Minuten sprach Bände.

Flick reagierte auf den Zwei-Klassenunterschied mit einem frühen Doppelwechsel. Es kamen Emre Can für Florian Wirtz und Felix Nmecha für den angeschlagenen Goretzka. Mit Can kam mehr Stabilität in Flicks Mannschaft. Und kurz vor der Pause die Hoffnung zurück. Niclas Füllkrug köpfte den Ball an Lukakus Arm und verwandelte den fälligen Handelfmeter zum 1:2.

Josha Vagnoman mit DFB-Debüt

Nach der Pause kehrten Flicks Mannen mit neuem Esprit und mehr Körperlichkeit auf das Feld zurück. Kehrer gewann jetzt Zweikämpfe gegen Lukaku, und vorne ergaben sich auf einmal Torchancen. „Wir hatten wieder Leidenschaft im Spiel“, lobte Flick. Felix Nmecha rechtfertigte sein Debüt im Trikot mit dem Bundesadler durch viele Initiativen und der besten Zweikampfquote. Doch irgendwie bekamen die Roten Teufel immer noch ein Bein dazwischen; auch weil die Deutschen in letzter Konsequenz nicht handlungsschnell genug waren. Auch nicht der spät eingewechselte VfB-Profi Josha Vagnoman bei seinem Länderspieldebüt. Und im vorderen Drittel wiederholten sich altbekannte Fehler – wie Timo Werners Lauf ins Abseits (59.). Sein Tor wurde aberkannt.

Wie es besser geht, zeigte auf der anderen Seite Belgien. Nach einem perfekt ausgespielten Konter traf de Bruyne zum 3:1. Die Niederlage war besiegelt, eine nahezu historische. Letztmals hatte eine deutsche Mannschaft unter Sepp Herberger gegen Belgien verloren – im Jahr 1954.