Die Beatles sind in Liverpool aufgewachsen. „Erwachsen“ aber wurden sie vor 50 Jahren in Hamburg.

Leben: Susanne Hamann (sur)

Hamburg - Es gibt kein Entrinnen. Ein Junggesellenabschied stört die Führung garantiert immer. Betrunkene Bräutigame mit bunten Perücken oder angeschickerte Bräute in fiesen Kostümen sind auf der Reeperbahn inzwischen so normal wie die Türsteher, die vor den Striplokalen lautstark um Gäste buhlen. Stefanie Hempel (35) lässt sich davon nicht beeindrucken und schart ihre Zuhörer näher um sich. Die Geschichten, die sie erzählt, passen ganz gut zu den vorbeiziehenden Schnapsdrosseln - die Beatles in Hamburg, das war nicht nur Rock’n’Roll, sondern auch Sex and Drugs. Damit die Sache authentischer ist, geht Stefanie Hempel am Abend auf musikalische Beatles-Tour, wenn Neonlichter dem Viertel ein farbiges Make-up verpassen. Sie wandert durch St. Pauli, über staubige Straßen, vorbei an schummrigen Ecken, durch partyfrohes Volk und Touristen, die mal Rotlichtviertel gucken wollen. Vor acht Jahren hat Stefanie Hempel die Touren erfunden.

 

Die Mecklenburgerin war zum Musikstudium nach Hamburg gekommen und wollte als „riesengroßer Beatles-Fan“ auf deren Spuren wandeln. Doch die gab’s nicht. Bis auf ein einziges Schild erinnerte nichts daran, dass „hier ein Stück Musikgeschichte geschrieben wurde“. „In Hamburg verbrachten die Beatles mehr Zeit auf der Bühne als in Liverpool“, sagt Stefanie Hempel. „John Lennon sagte: Wir sind in Liverpool aufgewachsen, erwachsen aber wurden wir in Hamburg.“ Und dann holt die Sängerin die Ukulele raus und singt „I Saw Her Standing There“ aus dem ersten Beatles-Album „Please, Please Me“ von 1963. Alle Fakten, Anekdoten und Geheimnisse hat Stefanie Hempel recherchiert, mit Zeitzeugen gesprochen. Inzwischen ist ihr Wissen so umfangreich, dass sie nicht mehr alles in einer zweieinhalbstündigen Tour unterbringen kann.

„Die Beatles spielten als Begleitband einer Stripperin"

Wenn sie nicht gerade Pilzkopfgeschichten erzählt, macht die 35-Jährige mit ihrer Band Musik, Singer-Songwriter-Stil auf Deutsch. Eine Platte gibt es auch schon. Von einem Album konnten die Beatles noch träumen, als sie 1960 vom Clubbesitzer Bruno Koschmider engagiert wurden. „Sie waren vierte Wahl“, sagt Stefanie Hempel. Am 17. August 1960 hatten die Beatles in Koschmiders Indra ihren ersten Auftritt in Hamburg, damals in der Besetzung George Harrison, John Lennon, Paul McCartney, Stuart Sutcliffe und Pete Best. Den Kiez-Club mit der roten Fassade in der Großen Freiheit 64 gibt es noch heute. „Die Beatles spielten als Begleitband einer Stripperin. Die Jungs mussten jeden Abend vier bis sechs Stunden auf die Bühne. Ein Problem: Denn sie hatten nur für eine Stunde Programm“, sagt Stefanie Hempel. Dazu nur Coverversionen, keine eigenen Songs. In ihrer Not streckten sie jedes Lied auf bis zu 20 Minuten und standen dabei steif auf der Bühne herum.

„Macht Schau“, rief Koschmider. Und die Beatles machten Schau. „Ihren Stil, die Lederklamotten, die Pilzkopffrisuren, all das haben sie hier in Hamburg entwickelt“, sagt die Beatles-Expertin. Sie greift zur Ukulele und singt „Rock’n’Roll Music“ - eigentlich ein Song von Chuck Berry, den die Beatles 1964 ins Album „Beatles for Sale“ aufnahmen. Untergebracht waren die Musiker zunächst um die Ecke, in der Paul-Roosen-Straße 33. Dort hängt auch das erwähnte erste Schild. „Hier wohnten die Beatles 1960“ steht darauf. Darunter eine Fotografie, die die Band in fröhlicher Pose zeigt. Sie halten Pillen in die Kamera. „Preludin, Prello genannt“, sagt Stefanie Hempel. Das Schlankheitsmittel mit aufputschender Wirkung warfen sich die Musiker ein, um ihre Auftrittsmarathons zu überstehen. Denn auch in ihrer Unterkunft kamen sie nicht zur Ruhe. „Dort befand sich das Bambi-Kino, morgens flimmerten lautstark Kinderfilme über die Leinwand“, erzählt die musikalische Pfadfinderin.

1960 mussten die Beatles Deutschland verlassen

Ab Oktober 1960 wechselten die Beatles in Koschmiders zweiten Musikclub. Der Kaiserkeller, Große Freiheit 36, war damals ein wüster Ort: Seemänner, leichte Mädchen, Schlägereien. „Als Kellner waren fast nur Boxer engagiert“, sagt Stefanie Hempel. In ihren Pausen verkrümelten sich die Jungs drei Häuser weiter in die Jungmühle von Kiezkönig Willi Bartels und schauten barbusigen Damen beim Schlammcatchen zu. Im Kaiserkeller traten auch Rory Storm & the Hurricanes mit Schlagzeuger Ringo Starr auf. Zwei Jahre später wechselte eben jener Ringo Starr zu den Beatles, Pete Best wurde Drummer bei Lee Curtis & The All Stars. Stuart Sutcliffe, der Bassist und fünfte Beatle, war da bereits tot. Gestorben im April 1962 mit nur 21 Jahren. Gehirnblutung. Stefanie Hempel erzählt, dass die Beatles die Bundesrepublik im November 1960 verlassen mussten. Die Polizei hatte herausgefunden, dass George Harrison erst 17 und somit noch minderjährig war und vermutete in Paul McCartney und Pete Best die Verursacher einer Brandstiftung im Bambi-Kino. Doch die Band kam im Frühjahr 1961 wieder.

Neuer Club, neues Glück: Die Beatles spielten nun mit Sänger Tony Sheridan im Top Ten Club, Reeperbahn 136. Das ehemalige Hippodrom aus dem Hans-Albers-Film „Große Freiheit“ ist auch heute noch ein Club und heißt Moondoo. Stefanie Hempel muss sich mit ihrem Song beeilen, der Laden macht gleich auf. Sie spielt „My Bonnie Is over the Ocean“. Das Lied hatten die Beatles einst mit ihrem Entdecker Bert Kaempfert mit dem Label Polydor aufgenommen. Ihre erste Single jedoch war „Love Me Do“, sie kam am 5. Oktober 1962 auf den Markt. Zurück auf die Große Freiheit. Im Hinterhof von Hausnummer 39 erinnert ein schwarzer Stein an den legendären Star-Club und die Künstler, die dort auftraten. 1969 wurde der Laden geschlossen, das Gebäude brannte 1983 ab. Dreimal gastierten die Beatles hier, zuletzt an Silvester 1962. „Danach wurden sie weltberühmt“, sagt Stefanie Hempel. Und wenn die Sängerin so erzählt, von den wilden Sechzigern, könnte man sich fast wie damals fühlen. Wären da nicht die nervigen Junggesellenabschiede, die eindeutig aus dem Hier und Jetzt stammen. Darauf einen letzten Song: „Twist and Shout“.

Infos zu Hamburg

Anreise
Hamburg wird ab Stuttgart von Lufthansa ( www.lufthansa.com ) und Air Berlin ( www.airberlin.com ) angeflogen. Zudem gibt es gute Zugverbindungen mit dem ICE ( www.bahn.de ).

Unterkunft
Boston HH ist ein privat geführtes Mittelklassehaus in Altona. Stylish eingerichtet, sehr große Zimmer, tolles Frühstück. DZ ab 160 Euro, www.boston-hotel.de.

Günstig und ein wenig schrill: die Superbude in St. Pauli ( www.superbude.de , DZ ab 69 Euro).

Erfolgreiche Rockstars wohnen gerne edel - etwa im Hotel Kempinski Atlantic. Die Beatles stiegen hier des Öfteren ab, Panikrocker Udo Lindenberg wohnt seit Jahren im Haus an der Alster. Zimmer ab 195 Euro, www.kempinski.com/de

Beatles in Hamburg
Stefanie Hempel veranstaltet ihre „Beatles-Tour“ jeden Samstag ab 18 Uhr. Treffpunkt ist die U-Bahn Feldstraße. Dauer: 2,5 Stunden mit Abschlusskonzert, 22 Euro. Infos unter Telefon 040 / 30 03 37 90, www.hempels-musictour.com .

Beatles-Touren bietet auch Stattreisen an. Jeden Samstag um 19 Uhr, inklusive Konzert im Club, Dauer ca. 3 Stunden, Kosten: 18 Euro pro Person. Kontakt: Telefon 040 / 8 70 80 10 - 0, www.stattreisen-hamburg.de . Wer nicht gerne geht, nimmt den Beatles-Bus. Auf der „Magical History Tour“ werden die Originalschauplätze angefahren. Gesungen wird natürlich auch, www.beatlesbus.de .

Das Beatlesmuseum „Beatlemania“ wurde zum 30. Juni 2012 geschlossen. Buchtipp: Ulf Krüger, „Beatles in Hamburg“, Ellert & Richter, 9,95 Euro. Allgemeine Informationen Hamburg Tourismus, www.hamburg-tourism.com