3400 Hobbyradler starten bei der Jedermann-Rennen rund um Stuttgart. Die Schnellsten sind auf dem 116 Kilometer langen Kurs nach zwei Stunden und 45 Minuten im Ziel. Bürgermeisterin Isabel Fezer nennt Stuttgart eine „Radstadt“.

Frank Bienewald hat sich kurz nach neun Uhr morgens vor dem Neuen Schloss in Position gebracht. Hier haben sich neben ihm am Finaltag der Deutschland Tour rund 3400 Hobbyradfahrer versammelt. Die Kulisse ist imposant. Daher will Bienewald unbedingt ein Foto von seiner Frau Sophie machen. Sie geht gleich mit 1000 anderen Pedaleuren bei der 57 Kilometer langen „Weinbergrunde“ ins Rennen. Der 54-Jährige muss sich nach dem Schnappschuss sputen, denn er tritt selbst beim Jedermann-Rennen über 116 Kilometer in die Pedale. Der Radsportler aus Mannheim spult wöchentlich rund 200 Kilometer auf dem Rad ab. „Für den Kurs durch Stuttgart und die Region habe ich mir eine Zeit von unter vier Stunden vorgenommen“, sagt Bienewald mit erwartungsvoller Miene. Er weiß: Für viele Hobbyradler ist das die magische Grenze.

 

Zielsprint auf der Theo

Mit 3:36:09 Stunden hat er die Vorgabe deutlich unterschritten. Angefeuert von den Zuschauern im Zielbereich in der Theodor-Heuss-Straße, die auf die Bande klatschten, fährt der Mannheimer ins Ziel, seine Frau Sophie benötigt auf der kürzeren Distanz 2:07 Stunden. Es ist ein erhebendes Gefühl. Denn Amateure und Profis werden gleichermaßen von einer Motorradstaffel angeführt und sehen sich auf einer Großleinwand.

Zwei Sieger bei den Profis

Am schnellsten bewältigen die Strecke Johannes König und Fabian Thiele vom Team Strassacker aus Göppingen, die zeitgleich in 2:45:31 Stunden vor ihrem Teamkollegen Jonas Kahler (2:45:33) ankommen. Schnellste Frau ist Pia Kummer vom Team Rose Xlite in 3:01:21 vor Jael Heinrich (Team Strassacker) und Mara Becker. Matthias Hahn vom IT-Team Gute Laune Sport ist Erster auf dem 57-Kilometer-Kurs mit 1:29:06, bei den Frauen siegt Hanna Müller vom Team Eichhörnchen (1:36:44).

Eishockey-Bundestrainer im Feld

Bienewald befindet sich auf der Strecke in prominenter Gesellschaft: Auch Toni Söderholm, seit dreieinhalb Jahren Bundestrainer der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft, ist bei den Jedermännern am Start. Er lebt mit seiner Familie in München und fährt „gerne und regelmäßig“ Fahrrad – in München sei das kein Problem. Im Gegensatz zu Stuttgart. Der Finne weiß, dass man sich beim Rauf und Runter im Kessel immer ein bisschen schwerer tut. „Aber das ändern wir heute“, sagt der 44-Jährige. Beim ihm spielt die Zeit nur eine untergeordnete Rolle. Er fährt in einem Team und möchte „einfach nur die Natur genießen“. „Spaß haben, statt sich zu quälen“ lautet sein Motto. Anders als die Profis bei der Tour de France: „Ich war diesen Sommer in Frankreich und habe einen Riesenrespekt vor dem, was da geleistet wird.“ Der Radprofi Jannik Steimle hingegen war noch nie bei der Tour – hat aber 2020 bei der Spanien-Rundfahrt (Vuelta) den 83. Platz belegt. Der 26-Jährige aus Schorndorf brach sich Anfang August bei der 2. Etappe der Burgos-Rundfahrt bei einem Massensturz das rechte Schlüsselbein und verpasste deshalb die Rad-EM in München sowie den Start im Elitefeld der Deutschland-Tour. „Meine Form wird täglich besser. Ich hoffe, bei der WM in Australien fahren zu können“, sagte Steimle, der schon am frühen Morgen von Schorndorf aus nach Stuttgart geradelt war, um beim Start des Jedermann-Rennens dabei zu sein.

Der Kurs stelle die Hobbyfahrer vor keine großen technischen Probleme, meint der Profi vom Team Quick-Step/Alpha Vinyl. Aber er gibt allen dennoch einen wichtigen Tipp mit auf den Weg. „Man muss genügend essen und trinken und sich dafür die Zeit nehmen – wenn einen der Hungerast ereilt, ist es meistens schon zu spät.“ Gut ausgerüstet geht deshalb auch Esslingens Oberbürgermeister Matthias Klopfer ins Rennen. Er hat sich ebenfalls für den langen Kurs entschieden. „Die Tour führt durch Esslingen, Schorndorf und Stuttgart, und ich radle dabei quasi ein bisschen durch meine Lebensgeschichte“, sagt Klopfer, der gleichzeitig Vorsitzender der Sportregion Stuttgart ist und lange Jahre Oberbürgermeister von Schorndorf war.

Tour des Lebens für Esslingens OB

Stolze Bürgermeisterin Fezer

Für Isabel Fezer, Bürgermeisterin für Jugend und Bildung, bildet die Deutschland-Tour perfekt die sportlichen Ambitionen der Stadt ab, weil sie Breiten- und Leistungssport zusammenbringe „und direkt in die Bevölkerung hineinwirkt“. Es habe deutlich mehr Anfragen als die erlaubten 3400 für das Starterfeld gegeben. Stuttgart, so Fezer, zeige wieder, dass sie eine Radstadt sei.

Thomas Bopp, Vorsitzender Verband Region Stuttgart, betont indes die gute Zusammenarbeit zwischen der Region und Stuttgart. „Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer wäre das nicht möglich gewesen“, sagt Bopp. Auch Jannik Steimle ist angetan von der Veranstaltung. Zudem hat er eine Idee, wie man öfter eine derartige Radveranstaltung nach Stuttgart holen könnte: „Wenn man die 116-Kilometer-Strecke noch etwas ausbaut, wäre hier durchaus ein Klassikerrennen möglich.“