Deutschland hat eine zentrale Rolle in der Krim-Krise. Stehen die Bundeskanzlerin und ihr Außenminister aber für die gleiche Strategie? Eine Analyse von unserem StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Es ist noch keine fünf Wochen her, da hatte Bundespräsident Joachim Gauck einen fulminanten Auftritt in München. Er hielt dort ein Plädoyer für ein neues deutsches Selbstbewusstsein. Die Bundesrepublik müsse international mehr Verantwortung übernehmen, sagte Gauck und propagierte ein Ende der deutschen Zurückhaltung in der Weltpolitik.

 

So denkt nicht nur das Staatsoberhaupt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatten sich bei verschiedenen Gelegenheiten im gleichen Sinne geäußert. Nur im Kanzleramt herrscht bei dieser Frage Schweigen.

Merkel und Steinmeier setzen unterschiedliche Akzente

Schneller als erwartet folgt nun die Probe aufs Exempel. Die Krim-Krise zwingt Deutschland in eine exponierte Rolle. In dieser Lage wird von der Bundesregierung zu Recht erwartet, den hehren Worten von einem neuen Mut zur Verantwortung entsprechende Taten folgen zu lassen. Wegen des herausragenden Gewichts in Europa, dem besonderen Verhältnis zu Moskau und der Nähe zu den Schauplätzen dieses machtpolitischen Dramas könnte Deutschland einen zentralen Part bei der Krisendiplomatie übernehmen. Schließlich passiert das Ganze vor unserer Haustür. Elementare Interessen des Landes und der deutschen Wirtschaft sind betroffen.

Tatsächlich sind die ranghöchsten Diplomaten der Republik äußerst engagiert: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat wiederholt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Außenminister Steinmeier war in der Ukraine als Vermittler unterwegs. Am Montag traf er sich in Genf mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Am Donnerstag will er in gleicher Mission nach Moskau reisen.

Merkel und Steinmeier setzen durchaus unterschiedliche Akzente. Dessen ungeachtet reden beide gegenüber Russland in einer Tonlage, die sich von der harschen Rhetorik wichtiger Verbündeter markant unterscheidet. Darüber kann auch die Wortwahl der regierungsamtlichen Verlautbarungen nach dem jüngsten Telefonat zwischen Merkel und Putin nicht hinwegtäuschen. Da hatte die Kanzlerin mit beispielloser Härte das russische Vorgehen auf der Krim angeprangert. Tags darauf ließ sie allerdings betonen, dass ihr wie Steinmeier daran gelegen sei, den Dialog mit Moskau trotz aller Provokationen weiter zu pflegen. Auch Merkel, beileibe keine Freundin Putins, verfällt nicht in die konfrontative Sprache der Amerikaner, die wie ein Echo aus der Zeit des Kalten Krieges klingt. Dafür gibt es vernünftige Gründe.

Die Geschichte lehrt: Dialog ist nützlicher als Konfrontation

Sowohl die geopolitische Lage Deutschlands als auch die Abhängigkeit von russischem Gas und die Geschäftsinteressen deutscher Unternehmen in Putins Reich machen deutlich, dass uns eine Eskalation des Krim-Konfliktes nur schaden könnte. Dabei stehen Merkel und Steinmeier für keineswegs deckungsgleiche Konzepte im Umgang mit dieser Konstellation. Die deutsche Politik gegenüber Russland ist seit jeher gespalten. Welche Position die neue Bundesregierung vertreten wird, bleibt vorerst noch unklar. Von einer klar definierten Strategie ist bis jetzt jedenfalls nichts erkennbar.

Merkel, die einer „werteorientierten Außenpolitik“ zuneigt, hat wenig Sinn für Putins Kraftmeierei. Ungeduldiger als gegenüber China rügt sie Verstöße gegen Menschenrechte und demokratische Standards in Russland. Steinmeier steht in der Tradition der Realpolitik im Umgang mit den Kremlherrschern – einer Politik, die eher danach trachtet, auskömmliche Verhältnisse zu den mächtigen Nachbarn im Osten zu wahren sowie verlässliche Konditionen für wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen. Die Distanzlosigkeit des Putin-Kumpanen Gerhard Schröder, seines früheren Chefs, hat Steinmeier sich freilich nie zu eigen gemacht.

Die CDU-Kanzlerin weiß so gut wie ihr sozialdemokratischer Außenminister, dass Sanktionen gegen Russland Kollateralschäden in Deutschland nach sich ziehen. Die Geschichte lehrt, dass es klüger ist, selbst unter widrigen Verhältnissen den Dialog zu pflegen und auf Wandel durch Annäherung zu setzen. Ein Blick zurück in die jüngere Vergangenheit: 1968 walzten russische Panzer den Prager Frühling nieder. Zwei Jahre danach gelang es Willy Brandt, mit dem Moskauer Vertrag das Tor zu einer neuen Ostpolitik aufzustoßen.