Die deutsch-französischen Beziehungen sind nicht so harmonisch, wie sich das in Sonntagsreden regelmäßig anhört. Eine gewisse Fremdheit bleibt. Doch haben beide Seiten gelernt: Miteinander kommt man besser durchs Leben als gegeneinander.

Winfried Kretschmann sah Anlass zur Abbitte, als er im Juli 2020 Jean Rottner traf, den Präsidenten der französischen Nachbarregion Grand Est. Den Landstrich jenseits des Rheins hatte die Coronapandemie stark getroffen, die Krankenhäuser waren voll, und dann schlossen die Deutschen auch noch holterdiepolter die Grenze. Auch bei der Aufnahme von Covid-19-Patienten aus Frankreich blieb man zurückhaltend. Es läuft beileibe nicht alles rund im beiderseitigen Verhältnis. Die Schüler im Elsass wie andernorts in Frankreich lernen lieber Spanisch, als sich mit dem uncoolen Deutsch abzumühen. Diesseits des Rheins bleibt unvergessen, wie viele Eltern durchdrehten, weil ihre Kinder in der Grundschule Französisch lernen sollten – statt Englisch wie in anderen Teilen Baden-Württembergs. Sie sahen die künftigen globalen Karrieren ihrer Sprösslinge in Gefahr.

 

Deutschland zahlt mehr in die EU

Wie im Kleinen so hakt es oft auch im Großen. Wann immer französische Politiker von Europa träumen, räumen ihre deutschen Partner hektisch das Geld in den Safe. Paris, so der Vorhalt, wolle Großmachtpolitik auf deutsche Rechnung betreiben. In der Staatsschuldenkrise infolge der Finanzkrise führte dies zu Zerwürfnissen. Eurobonds, gemeinsame europäischen Schulden, stießen in Deutschland vor allem bei Union und FDP auf Ablehnung. Übersehen wird mitunter, dass der französische Beitrag zur Finanzierung der Europäischen Union ebenfalls erheblich ist. 2021 zahlte die Bundesrepublik 33 Milliarden Euro, Frankreich steuerte 26 Milliarden Euro bei. In der Nettobetrachtung ist der Abstand größer: Aus Deutschland flossen 2021 netto mehr als 21 Milliarden ab, aus Frankreich 10,7 Milliarden Euro. 2021 stimmte die damalige Kanzlerin Angela Merkel jedoch einem 750-Milliarden-Euro-Hilfspaket zur Bewältigung der Pandemiefolgen zu, das durch gemeinsame Schulden finanziert wird. Zuletzt reagierte Paris wiederum verschnupft auf den „Doppel-Wumms“ von Kanzler Olaf Scholz zur Bewältigung der Energiekrise. 200 Milliarden Euro – das Geld hätte man auch gern. Im politischen Berlin summten sie: „Wer nicht spart zur rechten Zeit . . .“

Frankreich hofft auf Geburten

In den 1950er und 1960er Jahren bildete der Streit zwischen „Gaullisten“ und „Atlantikern“ ein strukturbildendes Element der deutschen Außenpolitik, besonders innerhalb der Unionsparteien. Die einen befürworteten eine enge Anlehnung an Frankreich und eine restriktive Zollpolitik, die anderen setzten auf die USA und den freien Welthandel. Zwischen diesen Polen steuert die Bundesrepublik bis heute. 2020 stieß Präsident Emmanuel Macron einen Dialog über einen „strategischen Dialog über die nukleare Abschreckung“ an. Allerdings müsse das letzte Wort bei Frankreich bleiben. Gemeinsame Rüstungsprojekte sind regelmäßig mit dem Problem der deutschen Exportbeschränkungen behaftet. In Frankreich setzt man darauf, Deutschland dank der höheren Geburtenzahl demografisch bald zu überholen. Dann, so die Erwartung, würden die Machtverhältnisse in Europa neu justiert.