Devid Striesow schlüpft in dem Kinofilm „Ich bin dann mal weg“ in die Haut von Hape Kerkeling. Er kommt dem Original so nahe, wie es nur geht. Seine Pilgerreisen aber finden auf der Yoga-Matte statt.
27.12.2015 - 09:57 Uhr
Stuttgart – Lange Zeit hat man Devid Striesow nur in Arthouse-Filmen gesehen, wo er in Arbeiten von Tom Tykwer und Christian Petzold rätselhaft leise, ihre Undurchschaubarkeit hinter der bürgerlichen Fassade versteckende Normalbürger spielte. Seit er aber in Saarbrücken als schräger Kommissar Jens Stellbrink auch für den „Tatort“ ermittelt, ist der 42-jährige, auf Rügen geborene und in Rostock aufgewachsene Striesow einem breiteren Publikum bekannt. Jetzt aber kommt mit „Ich bin dann mal weg“ sein erster großer kommerzieller Film in die Kinos.
Herr Striesow, es scheint so, als hätten Sie sich eine zweite Identität zugelegt: In Ihrem Film sind Sie das perfekte Double von Hape Kerkeling. Wie haben Sie das geschafft?
Das war schon ein kleiner Weg. Das Buch von Hape Kerkeling habe ich bereits vor Jahren gelesen. Und wenn ich etwas lese, entwickle ich immer eine Vorstellung davon, wie ein Mensch aussieht, wie er sich bewegt, wie er redet. Das ist das eine. Das andere ist der Wirklichkeitstest, also zu erleben, wie sich dieser Mensch dann in konkreten Situationen gibt.
Haben Sie Hape Kerkeling zur Vorbereitung auf die Rolle vor den Dreharbeiten getroffen?
Nein. Aber ich habe mir viele Filme, Figuren, Sketche und Auftritte von ihm auf DVD und auf Youtube angeschaut. Während der Dreharbeiten schlüpfte der Körper dann Stück für Stück in diese Figur. Das lässt sich schwer steuern, aber plötzlich ist die Ähnlichkeit da, sogar in der Stimme.
Aber auch im Körper. Unübersehbar.
Für die Rolle habe ich etwas Gewicht aufgestockt. Zehn Kilo. Und im Frühjahr musste ich mir den Bauch nochmals anfuttern, weil wir einen Nachdreh hatten. Ich wollte Hape rundum gerecht werden . . . Heute aber sind die Kilos, glaube ich, wieder weg.
Haben Sie aus Santiago de Compostela eine Jakobsmuschel mit nach Hause gebracht, so wie jeder andere ordentliche Pilger auch?
Nein, aber die Compostela, die Pilgerurkunde, die das Ende der Wallfahrt bescheinigt! Wir haben sie bekommen, weil wir den ganzen Jakobsweg abfotografiert haben. Zugegeben: nicht abgewandert. Gewandert bin ich immer nur in den Filmszenen. Das war sehr überschaubar.
Warum haben Sie „Ich bin dann mal weg“ damals gelesen? Dass das Buch ein Erfolg werden würde, war ja nicht vorherzusehen, schon gar nicht die Verfilmung . . .
Seit ich Mitte dreißig bin, habe ich ein reges Interesse daran entwickelt, was mit dem Leben und mit einem selbst passiert. Man stellt sich Fragen – so wie Kerkeling, der losmarschiert ist und seine Reise mitsamt den Qualen so humorvoll, so selbstironisch beschrieben hat, dass daraus eine ganz eigene Sicht auf die Selbstfindung wurde. Ich verstehe aber auch den spirituellen Aspekt dabei: Die Suche nach Gott als einen Weg, den man sein Leben lang beschreitet: diese Kerkeling-Erfahrung ist mir schon sehr nah. Das ist fast buddhistisch.
Sind Sie selber schon einmal gepilgert?
Nein. Ich komme vom Yoga . . .
. . . es heißt, Sie rollen Ihre Matte aus, wo immer es nur geht.
Das stimmt. Leider sind die Hotelzimmer aber manchmal etwas zu klein für einen großen Kerl wie mich. Ich versuche, täglich 20 Minuten für Yoga zu reservieren. Dazu Sitzungen mit Freunden, die zwei bis drei Stunden dauern. Einerseits mache ich also regelmäßig Übungen, andererseits schaffe ich mir Situationen im Alltag, in denen ich ganz bei mir bin. Dieser Weg zur Spiritualität dauert länger als eine Pilgerreise und führt womöglich auch zu krasseren Ergebnissen als die Erleuchtung, die Hape zuteil geworden ist.
Pilgern ist auch im Buddhismus, dem Sie nahestehen, eine Form des Glaubensvollzugs.
Ja, aber dieser Glaubensvollzug beginnt im Alltag, mit kleinsten Kleinigkeiten. Wie geht man mit sich um? Wie mit anderen? Je älter man wird, desto mehr Obacht gibt man darauf. Man wertet auch Verhaltensweisen aus, die man hinterher bereut: Man ist im Stress und geht barsch mit einem Kollegen um. Danach erfährt man, dass ihm gerade etwas Schlimmes zugestoßen ist – und dann wünsche ich mir die Kraft und die Muße, mein blödes Verhalten zu erkennen und mich dafür zu entschuldigen. Meistens gelingt das auch: Der Drang, meine Gefühle zu verbalisieren, ist groß.
Sie sind im Rostock der Wendezeit in der Pfarrei von Joachim Gauck aufgewachsen. Wie ist Ihr Verhältnis zum Christentum?
Ich bin, trotz Gauck, atheistisch großgeworden. Es gab für Jugendliche in der DDR zwei Möglichkeiten: die FDJ, der sozialistische Jugendverband, oder die Kirche für all jene, deren Eltern auch schon kirchlich engagiert waren. Das war bei mir nicht der Fall. Als Erwachsener aber wurde bei mir das Bedürfnis immer stärker, die verpasste Religion nachzuholen, auch wenn man dann den Glauben nicht mehr so selbstverständlich annehmen kann wie ein Kind. Ich liebe die Abläufe in der Messe, besonders zu Weihnachten, aber ich stehe immer etwas außen vor und hopple hinterher.
Wie feiern Sie Weihnachten?
In den vergangenen Tagen hatte ich viel um die Ohren, aber an Heiligabend bin ich zu Hause und ziehe mich zurück.
Unterm Weihnachtsbaum? Mit Lametta und Glitzerkugeln?
Klar, was sonst?