Nach dem 3:2-Sieg in Schottland richtet sich der Blick der DFB-Auswahl endgültig Richtung EM in Frankreich. Die Aussichten sind verheißungsvoll.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Glasgow - In Evian können sie schon mal die Betten aufschütteln. Schließlich hat der DFB-Teammanager Oliver Bierhoff längst ein wie gewohnt nobles Resort am französischen Ufer des Genfer Sees als Quartier der deutschen Fußball-Nationalelf für die Euro 2016 reserviert. Der Kurort Evian, bekannt für sein gleichermaßen heilsames wie exquisites Wasser, wird also die Nachfolge des lieb-gewonnenen Campo Bahia in Brasilien antreten. Denn nach dem 3:2-Erfolg bei den tapferen Schotten zweifelt niemand mehr daran, dass der Weltmeister bei den kontinentalen Titelkämpfen in Frankreich mit dabei ist.

 

Auf die Vier-Sterne-Truppe des DFB ist Verlass

Ein Punkt im vorletzten Qualifikationsspiel am 8. Oktober in Dublin gegen den Gruppendritten Irland würde der Elf von Joachim Löw reichen, um die EM-Tickets endgültig zu lösen. Die abschließende Partie in Leipzig gegen Georgien drei Tage später wäre dann nur noch ein Schaulaufen. „Wir haben einen großen Schritt Richtung EM getan. Ich hatte auch nie große Sorgen“, resümierte der Bundestrainer, dessen Team die nach dem 3:1 gegen Polen übernommene Tabellenführung routiniert verteidigt hat. Wenn es drauf ankommt, ist also auf die Vier-Sterne-Truppe des DFB Verlass. Mit der praktisch perfekten Qualifikation haben der Kapitän Bastian Schweinsteiger und Co. ihre Pflichtaufgabe erfüllt – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Auch Sir Alex Ferguson ist beeindruckt von den Deutschen

Als die Partie gegen die Schotten im Hampden Park, dem ältesten Fußballstadion der Welt, vorüber war, da plauderte auch Sir Alex Ferguson im Vip-Bereich noch lange mit Freunden. Die Trainerlegende von Manchester United ist als Schotte eingefleischter Fan der Bravehearts – und hatte seiner Elf nichts vorzuwerfen. „Sie haben ihr Bestes gegeben.“ Doch beeindruckt war Ferguson vor allem von der Durchsetzungskraft der Deutschen.

Und unten im Souterrain der Arena, da hatte die DFB-Elf noch einen Fan gewonnen. „Gemessen an unseren Möglichkeiten, waren wir nur einen Bruchteil vom perfekten Spiel entfernt“, erklärte der Nationaltrainer Gordon Strachan trotz der Niederlage: „Aber in Bezug auf das Spiel mit Ballbesitz sind die Deutschen eben die Besten der Welt. Fragt bei den Brasilianern nach.“ Tatsächlich dominierte die DFB-Elf die mit einem Sechserriegel in der Abwehr angetreten Schotten spielerisch nach Belieben.

Probleme gibt es bei den Standardsituationen

Doch Probleme gab es vor allem bei Standards in einer Defensive, in der Mats Hummels nicht seinen besten Tag erwischt hatte. Beim 1:1-Ausgleich hatte der Dortmunder allerdings Pech, dass die Parade von Manuel Neuer von seinem Körper ins eigene Tor abprallte (28.). Beim 2:2 durch einen Schuss von James McArthur (44.) schlief dann die gesamte Verteidigung.

Zum Glück gab es aber vorne Thomas Müller. Bereits im Hinspiel steuerte der Münchner beim 2:1-Sieg beide Treffer bei. Diesmal war er erneut zweimal (18./34.) erfolgreich, ehe dem ebenfalls stark aufspielende Ilkay Gündogan („Welchen Wert er für die Mannschaft besitzt, hat man jetzt gesehen“, so Löw) das Siegtor gelang. „Thomas ist ein Superspieler und ein Supertyp“, sagte der Bayern-Kollege Mario Götze, der trotz engagiertem Spiel diesmal ohne Treffer blieb: „Und er macht seine Tore. Mal mit Glück – und mal ohne.“

Thomas Müller, ein ganz wichtiger Faktor

Tatsächlich ist der trotz seiner 25 Jahre schon reichlich erfahrene Thomas Müller ein wichtiger Faktor in der Nationalelf. Auch dem Münchner ist es zu verdanken, dass der Rücktritt des Rekordtorschützen Miroslav Klose vor einem Jahr problemlos aufgefangen wurde. Angetrieben von seinem permanenten Willen, ein Tor zu erzielen, „schleicht sich der Thomas immer dahin, wo kein Gegner steht“, ist auch der Bundestrainer beeindruckt: „Das kann man nicht lernen. Das hat er im Blut.“ Acht Treffer hat Müller in der EM-Qualifikation schon erzielt. „Die beiden Tore habe ich irgendwie reingeeiert. Zurzeit läuft es, das nehme ich zur Kenntnis. Mehr nicht“, gab sich Müller bescheiden.

Hinten rechts geht das Casting weiter

Dafür ist das Casting auf der Position des rechten Verteidigers noch immer nicht beendet. „Man darf keine Wunderdinge erwarten. Er hat gemerkt, dass hier ein anderes Tempo gespielt wird als in der U 21“, sagte Löw über Emre Can, der als gelernter Sechser kaum die Idealbesetzung für hinten rechts ist. Dafür stimmt die Qualität in der Breite des Kaders, denn die verletzungsbedingten Ausfälle von Marco Reus und Sami Khedira fielen nicht ins Gewicht.

Auch die Moral stimmt: Nach zwölf Monaten mit eher schleppenden Vorträgen im Anschluss an den WM-Rausch von Rio haben die Spieler den Schalter umgelegt, sobald es unter leichtem Zugzwang zu siegen galt. Joachim Löw kann daher, nachdem der von ihm ausgerufene „heiße Herbst“ so optimal angelaufen ist, beim Unternehmen vierter EM-Titelgewinn eine zufriedene Zwischenbilanz ziehen. „Wenn wir eine Weile zusammen sind und konzentriert trainieren können“, blickte der 55-Jährige schon mal in Richtung Evian, „dann ist mit uns immer zu rechnen.“