Bei seiner ersten Einheit als Bundestrainer spielt das Wetter nicht mit – dennoch setzt der Neue in den Pfützen Degerlochs erste Akzente.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart - Falk Hartmann und Dieter Kerschbaum hatten alles gegeben. Der Platzwart und der Zeugwart der Stuttgarter Kickers pflegten den unteren Platz im ADM-Sportpark penibel in den vergangenen Tagen, sie wollten ihren prominenten Gästen einen perfekt getrimmten und sattgrünen Rasen bieten. Allein: Gegen die Regenmassen, die in den Tagen vor dem ersten Training des neuen Bundestrainers Hansi Flick und der DFB-Elf auf der Waldau runterkamen, waren sie machtlos – auch am Montag hingen die Wolken über Degerloch noch so tief, dass sie das obere Viertel des Fernsehturms für sich vereinnahmten.

 

Und so stapfte Flick vor seiner ersten Einheit durch die Pfützen auf dem Platz der Kickers, der ein bisschen an die berühmte Wasserschlacht von 1974 im Frankfurter Waldstadion im WM-Halbfinale gegen Polen erinnerte. Nicht nur orthografisch, sondern auch meteorologisch lagen das Waldstadion und die Waldau also irgendwie eng beieinander an diesem verregneten Montagmittag.

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Flick aber störte das wenig. Schon lange vor seinen Spielern betrat der Bundestrainer den durchweichten Rasen, der neue Chef setzte in silberfarbener Jacke mit den Initialen H.F. selbst die Hütchen, Hansi Flick trug die Tore und steckte die Stangen in den Rasen. Oder besser: In den Matsch.

Das Interesse an erster Einheit ist groß

Dann posierte Flick mit seinem Trainerteam noch schnell für die Fotografen am Rand, seine Baseballmütze wollte er dabei nicht abnehmen (der Regen!), und als ein Knipsender den Coach darum bat, den Ball fürs Foto in die Hand zu nehmen, sagte der nur: „Nix, den nehm‘ ich an den Fuß, ich bin ja kein Torwart.“ Sprach’s, lachte – und machte dann seiner Mannschaft die ersten klaren Ansagen. Nach seiner ersten Ansprache schickte der Coach seine Nationalspieler mit aufmunterndem Klatschen in ihre erste Einheit – gefilmt von acht Fernsehkameras und geknipst von noch mehr Fotografen.

Zwei Monate nach dem EM-Aus im Achtelfinale gegen England hat nun also in Stuttgart die neue Zeitrechnung der DFB-Elf unter Flick begonnen. Von seinem Vorgänger Joachim Löw hat er Tabellenplatz drei in der WM-Qualifikations-Gruppe J und noch ein paar weitere Baustellen geerbt – für die drei anstehenden Spiele gegen Liechtenstein (2. September), Armenien (5. September, in Stuttgart) und Island (8. September/alle 20.45 Uhr) fordert der 56-Jährige daher nicht nur „neun Punkte“. Sondern auch mehr Leidenschaft als zuletzt: „Ich will Leben auf dem Platz sehen.“

Spieler sollen sich „gegenseitig unterstützen, coachen, pushen“

Zumindest am Montag auf dem Kickers-Trainingsplatz war dieses neue Leben bei den verschiedenen Spielformen wild, laut und rasend schnell – also genauso, wie es sich Flick und sein Trainerteam vorstellen. „Ich will eine Mannschaft sehen, die aktiv ist, die den Ball haben will, die viele Optionen anbietet, die den Gegner unter Druck setzt“, sagt Flick. Die Spieler sollen sich „gegenseitig unterstützen, coachen, pushen“.

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Danny Röhl, früher beim FC Bayern und jetzt bei der DFB-Elf einer von Flicks Assistenten, hatte vorher am Montag auf der Pressekonferenz in Degerloch bereits angekündigt, dass man schon im ersten Training Wert auf Balleroberungen, aufs Gegenpressing und den schnellen Überfall lege. Und, nun ja: Die Spielformen, die Röhl dann am Mittag auf dem Platz ansagte und vom Rand aus mit Kommandos begleitete, ließen dann qua Enge des Platzes und verschiedener klarer Vorgaben auch nichts Anderes zu für die Spieler, als aggressiv draufzugehen und die Kugel schnell zu erobern.

All diese Ansätze resultieren teils aus den Erkenntnissen, die Hansi Flick aus der EM im Sommer zog. „Alle vier Halbfinalisten waren Mannschaften, die nach Ballgewinn keine Zeit verlieren, sondern sofort in den Gegenangriff übergehen“, sagt der neue Bundestrainer: „ Unsere Mannschaft hatte auch gute Ballgewinne, aber sie hat den Moment des Umschaltens manchmal verpasst und lieber auf Ballhalten gesetzt. Das wird sicher ein Punkt sein, an dem wir arbeiten werden.“

DFB-Elf trainiert im Gazistadion

Teil eins dieses langen Prozesses also hat Flick mit seiner neuen Mannschaft nun nach der ersten Einheit am Montag hinter sich. 14 Feldspieler und zwei Torhüter waren da im Einsatz, zehn Nationalspieler trainierten aufgrund der Belastungssteuerung (die meisten von ihnen hatten am Sonntag noch eine Partie für ihren Club absolviert) im Teamquartier, dem Waldhotel, das ein paar Steinwürfe vom Gelände der Kickers entfernt ist. An diesem Dienstag und am Mittwoch übt die DFB-Elf im Gazistadion auf der Waldau – und wird versuchen, die nächsten, kleinen Schritte auf dem Weg zu einem besseren Auftreten als zuletzt zu machen.

Die DFB-Elf hat viel vor – was die klaren Ansagen des Kapitäns Manuel Neuer am Montag vor dem Training dokumentieren. Der Torhüter gab auf der Pressekonferenz die Marschrichtung vor. „Wir wissen, dass wir ein bisschen was gutzumachen haben“, sagte Neuer also. Die Lust auf den Neubeginn „soll überschwappen in die Wohnzimmer und Stadien.“ Und weiter: „Wir möchten große Ziele erreichen – ich möchte Weltmeister werden mit der Mannschaft.“