Es war ein hartes Stück Arbeit, ehe die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr EM-Qualifikationsspiel in Tallinn gewonnen hatte. Nun bleibt sie mit dem 3:0 gegen Estland an den Niederlanden dran.

Tallinn - Der Ball lief noch einmal durch die deutschen Reihen. Ein paar mal quer, dann nach vorne, plötzlich hatte Ilkay Gündogan Platz im Mittelfeld – und das Auge für die Situation. Mit einem langen Pass brachte er den eingewechselten Timo Werner ins Spiel. Der Leipziger ließ sich die Chance gegen aufgerückte Esten nicht nehmen.

 

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Es war die Entscheidung in einem zähen Spiel, das die Gäste lange in Unterzahl bestritten (71.). Letztlich erfüllte die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in Tallinn ihre Pflicht. Mehr aber nicht. Mit 3:0 (0:0) gewann das Team von Bundestrainer Joachim Löw ihr EM-Qualifikationsspiel. Damit bleibt es im Fernduell um den Gruppensieg an den Niederlanden dran. Das Team von Bondscoach Ronald Koeman hatte mit 2:1 in Weißrussland gesiegt und ihre Spitzenposition aufgrund des gewonnen direkten Duells behauptet.

„Ein hartes Stück Arbeit“

„Es war ein hartes Stück Arbeit“, sagte Löw, „aber die Mannschaft hat es nach dem Wechsel gut gemacht. Sie hat das Tempo angezogen und ist ruhig geblieben.“ Noch zwei Begegnungen im November stehen nun an, ehe klar ist, wer Gruppensieger ist. Die Deutschen erwarten Weißrussland (16. November) in Mönchengladbach und Nordirland (19. November) in Frankfurt. Gegen den 102. der Weltrangliste ging es am Sonntagabend zunächst nur in eine Richtung – auf das Tor von Estland zu. Wie im Handball um den Kreis passten die Deutschen den Ball um den gegnerischen Strafraum herum. Alles schien seinen Lauf zu nehmen – bis Emre Can Frank Liivak umgrätschte. Rot für Can (14.), da der Schiedsrichter Georgi Kabakow auf Notbremse entschied, und ein Freistoß für Estland waren die Folgen.

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Dieser früheste Platzverweis eines Nationalspielers in der Länderspielhistorie des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zog eine taktische Veränderung nach sich. Löw zog Joshua Kimmich aus dem Mittelfeld in die Abwehrreihe. Am Spiel änderte sich jedoch nichts. Die Gäste suchten die Lücke im vielbeinigen Defensivverbund der Esten – mit einer Anspielstation weniger und ohne Serge Gnabry. Der Angreifer des FC Bayern, der zuletzt mit Toren und Dribblings überzeugte, fehlte wegen muskulärer Probleme. Dafür war wieder Marco Reus mit von der Partie. Der Dortmunder hatte das Testspiel gegen Argentinien (2:2) noch von der Bank aus beobachtet.

In der ersten Halbzeit mangelt es an Torchancen

Doch trotz der vielen feinen Füßchen im deutschen Team mangelte es an Torchancen. Vielleicht auch gerade deshalb, da es den Aktionen gegen kampfstarke Esten an Tempo fehlte und sich die vielen Techniker (zum Beispiel noch Kai Havertz, Julian Brandt und Luca Waldschmidt) nur optisch mit schön anzusehenden Kombinationen in Szene setzten, nicht aber mit Durchsetzungsvermögen vor dem Tor präsentierten. Symptomatisch ergab sich die beste Möglichkeit im ersten Abschnitt aus einem ruhenden Ball: Der Freistoß von Reus knallte jedoch an den Pfosten (40.).

Mit Glück fiel das erste Tor. Ilkay Gündogan traf mit einem abgefälschten Schuss (51.). Verdient, aber keineswegs überzeugend, da sich das Team mit dem Bundesadler auf der Brust weiter im Klein-klein verstrickte. Aber mit dem gleichen Muster gelang das 2:0: ein weiterer abgefälschter Schuss von Gündogan landete im Gehäuse von Sergei Lepmets (57.). „Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir in Führung gehen – auch wenn es insgesamt schwierig war“, sagte Kapitän Manuel Neuer. Danach tat sich die deutsche Auswahl, die das Hinspiel 8:0 gewonnen hatte, leichter.

Einspielen mit dem aktuellen Kader kaum möglich

Doch durch den Auftritt beim Außenseiter sah sich Löw in seiner generellen Einschätzung bestätigt, dass die Entwicklung der Mannschaft noch reichlich Zeit benötigt. Mehr als dem Bundestrainer lieb sein kann, da er auf viele verletzte Spieler verzichten muss. Toni Kroos, Leon Goretzka, Julian Draxler, Thilo Kehrer und Leroy Sané fehlten erneut, wodurch Löw seinen Plan, eine neue Mannschaft zu formen und diese sich einspielen zu lassen, nicht umsetzen kann.

Seit vergangenen März sollte dieser Prozess in vollem Gange sein, als in Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng drei Weltmeister von 2014 aussortiert wurden, um die DFB-Elf nach der enttäuschenden WM 2018 wieder titelreif zu bekommen. Nun muss das deutsche Team um die EM-Qualifikation bangen und Löw gestand schon vor dem Anpfiff in Tallinn, dass er „keine Ahnung“ habe, ob seine Schützlinge im nächsten Jahr schon um Europas Krone mitspielen könnten. Und die Zweifel dürften trotz des Erfolgs nicht kleiner geworden sein.