Am Mittwochabend öffnet die Fußball-Nationalmannschaft ihre Pforten für Fans. Bei Oliver Bierhoff weckt das böse Erinnerungen: Vor 19 Jahren kostete ihn ein solches öffentliches Training die EM-Teilnahme. Auch sonst war der Tag ein Komplettreinfall.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart - Fannähe ist ein großes Thema rund um die Nationalelf, nach dem Reinfall rund um die desaströse WM 2018 will man sich dem Volk wieder ein bisschen mehr öffnen und die Leute ans Team ranlassen - vor den beiden EM-Qualifikationsspielen in Weißrussland (Samstag) und gegen Estland (Dienstag) macht der DFB-Tross immerhin einmal die Pforten auf. Am Abend (17.30 Uhr) steigt am Aachener Tivoli eine öffentliche Einheit – die der Verband offiziell so betitelt: „DFB hautnah – Trainingsspiel ‚Die Mannschaft‘“.

 

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Nein, den Marketingnamen für die Nationalelf also lässt sich der DFB-Direktor Oliver Bierhoff, Imagedesaster bei der WM hin oder her, nicht nehmen – die Mannschaft ist die Mannschaft bleibt die Mannschaft und wird auf immer und ewig die Mannschaft sein. Die sich nun den Fans präsentiert – ob Oliver Bierhoff heute Abend mit einem mulmigen Gefühl anreist, man weiß es nicht. Einen Grund dazu hätte er. Wenn er sich denn an die Geschehnisse von vor 19 Jahren erinnert.

Bierhoffs EM endet in Breinig

Wir schreiben das Jahr 2000, es ist Mitte Juni, als es für das DFB-Team für einen Abstecher wie jetzt auch in Richtung Aachen geht. Genauer gesagt vor die Tore der Stadt, auf den Dorfplatz des SV Breinig, dem Heimatverein des damaligen DFB-Präsidenten Egidius Braun, der die Sache initiierte. Oliver Bierhoff ist damals noch Stürmer, die EM in den Niederlanden und den Belgien läuft schon, das erste deutsche Gruppenspiel endete mit einem mageren 1:1 gegen Rumänien – und dann ist das Turnier für Bierhoff vorbei. Die EM endet für ihn auf dem Sportplatz des SV Breinig.

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Was war passiert? Bierhoff zog sich beim Kirmes-Training einen Muskelfaserriss in der Wade zu. „Ich habe im Stehen einen Schlag in die rechte Wade gespürt. Es war, als hätte mir einer einen Stein da hin geschmissen“, berichtete er damals. Bierhoff war außer sich vor Wut - und das nicht hur aufgrund der Verletzung. Denn auf dem Platz und drum herum herrschten fast schon anarchische Zustände. Mehr als 6000 Zuschauer drängelten sich an der Anlage, der DFB hatte rund 1500 erwartet.

Und so kam es, dass der damalige Mannschaftskapitän Bierhoff nach dem Verletzungsmalheur erst zunächst 20 Minuten von Fans bedrängt in einer Garageneinfahrt festsaß, ehe ihn der Mannschaftsarzt Josef Schmitt mit seinem Faserriss wegfahren konnte. „Das ist ja unmöglich. So etwas habe ich noch nie erlebt“, schimpfte Bierhoff.

Komplettreinfall statt Kirmestraining

Das Kirmestraining entwickelte sich nicht nur aufgrund von Bierhoffs Verletzung zum Komplettreinfall. Schon auf der Fahrt zum Gelände hatte es Probleme gegeben. Der DFB-Tross traf mit rund 20 Minuten Verspätung ein, weil der Bus im Stau stecken geblieben war. Nachdem die Mannschaft dann den Rasen betreten hatte, war auf der Anlage das Chaos ausgebrochen, als Hunderte von Kindern und Jugendlichen den Platz stürmten. Die Ordnungskräfte benötigten rund 20 Minuten, um das Übungsgelände wieder zu räumen. Einige Nationalspieler flüchteten schnell wieder in den Bus, andere schrieben geduldig Autogramme und trugen die Umstände mit Humor.

„Das ist Satire pur, das ist wie Kirmes, das ist ohne Worte. Aber für unseren Präsidenten machen wir das gerne, wir haben am Samstag ja kein wichtiges Spiel“, kommentierte der Abwehrmann Markus Babbel ironisch die Zustände auf dem Dorfsportplatz kurz vor dem zweiten EM-Gruppenspiel gegen England. Der damalige Ersatztorhüter Jens Lehmann war perplex ob der Umstände: „Eigentlich wollte ich vernünftig trainieren, aber ich weiß gar nicht, wie das hier funktionieren soll,“ sagte er. Nach 55 Minuten brach der Bundestrainer, der damals Erich Ribbeck hieß, das Training ab. Die Spieler mussten sich daraufhin vor den Zuschauern, die abermals den Platz stürmten, in den Bus retten.

Diesmal soll alles besser werden

Heute, fast 20 Jahre später, soll alles besser werden. Trainiert wird nun im 30 000 Zuschauer fassenden Aachener Tivoli, für das Training wurden ordnungsgemäß Eintrittskarten für die Tribünen verteilt, und zwar nicht zu viele. Und wer weiß, vielleicht denkt Oliver Bierhoff ob der jetzt entspannten Voraussetzungen mit dem Abstand von 19 Jahren mal kurz mit einem Schmunzeln zurück an das schlimmste Training seiner Karriere.