Super League, Katar, Nachwuchsarbeit: Bernd Neuendorf, neuer Präsident des Deutschen Fußball Bundes, hat alle Hände voll zu tun. Um Fußball geht es dabei nur am Rande.

Die auf die Stirn geschobene Brille ist sein Markenzeichen. So sitzt Bernd Neuendorf am Montag auch vor den Journalisten: weißes Hemd, Brille nach oben – und referiert. Der im März zum neuen Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gewählte Neuendorf will eine erste Bilanz seiner Amtszeit ziehen, die nun 100 Tage währt. Der 60-Jährige hat sich seine Worte genau zurechtgelegt, schließlich weiß der frühere SPD-Politiker und Journalist nur zu gut um die Fallstricke, die auf einen Spitzenfunktionär wie ihn lauern.

 

Neuendorf warnt vor Problemen für die Nationalteams

Also holt Neuendorf weit aus. Spricht über die Aufräumarbeiten in der Verbandszentrale, wo nach Jahren voller Chaos und Intrigen wieder Stabilität eingekehrt sei. Neuendorf ist sich sicher, zumindest Folgendes erreicht zu haben: „Wir sind nicht mehr die Getriebenen, sondern sind selbst wieder eine treibende Kraft.“ Oder zumindest auf dem Weg dorthin. Das ist auch bitter nötig, denn Baustellen gibt es zuhauf. Veraltete Sportstätten, Schwund bei den Aktiven (insbesondere den Frauen), das voranschreitende Konzept der Ganztagesbetreuung, das es den Vereinen schwer macht, noch genügend Nachwuchs zu finden. Themen tief an der Basis, die dringend angepackt werden müssen. „Wenn uns das nicht gelingt, werden wir mit all unseren Nationalteams Probleme bekommen.“

Der Mann mit der Brille auf der Stirn referiert viel über Beziehungen und Netzwerke. Bis in die höchsten Berliner Kreise und zu seinem Parteifreund Olaf Scholz unterhält der Rheinländer nach eigenem Bekunden enge Drähte, die er in den kommenden Jahren nutzen will, um den Fußball als Breitensport in die Zukunft zu führen.

Doch das sind, wie gesagt, nur einige Baustellen. Zahlreiche andere, weit kniffligere Probleme umwehen den DFB genauso. Sie haben nichts mit ballorientiertem Spiel zu tun, sondern mit der Frage, wie sich der deutsche Verband und sein Präsident positionieren wollen im Spiel mit den Mächtigen und den Bösen. Stichwort Super League, Stichwort Katar. Bisher agierte der DFB in heiklen Angelegenheiten ja stets aus einem gewissen Neutralitätsempfinden heraus. Das soll sich jetzt ändern – ein wenig.

Vor der Attacke auf Infantino soll der Austausch stehen

Angesprochen auf die noch immer nicht begrabenen Pläne einer europäischen Super League setzte Neuendorf zu einem ersten Tackling an. „Es muss klar werden, dass der Fußball dem Allgemeinwohl und nicht den Interessen einiger weniger dienen soll“, sagte er. Gemeinsam mit Vertretern der Bundesregierung sollen bei einer Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof dem Kartell der Großclubs die Grenzen aufgezeigt werden. Dieselbe Überzeugung will der DFB-Boss auch im Umgang mit den Veranstaltern der WM in Katar an den Tag legen. Neuendorf berichtete von zahlreichen Treffen mit Nichtregierungsorganisationen. Die mit Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen im Austausch befindliche DFB-Generalsekretärin Heike Ullrich fliegt sogar regelmäßig nach Katar – „um die Fragen zu stellen, die Sie sich alle stellen“. Auch Neuendorf kündigte an, bald an den Persischen Golf zu reisen.

Ob er sich dann auch zum Oppositionsführer gegen den mächtigen Fifa-Boss Gianni Infantino aufschwingt? So weit will Neuendorf nicht gehen. Zunächst wird Deutschlands oberster Fußballfunktionär im direkten Umgang sportpolitische Diplomatie walten lassen und sich mit dem Schweizer persönlich austauschen. „Es gebietet sich nicht, schon vorher Attacken zu fahren.“ Zumindest so viel sei von Neuendorf aber schon gesagt: „Hinter seine Prophezeiung von der tollsten Veranstaltung aller Zeiten setze ich mal ein Fragezeichen.“

Ein ständiger sportpolitischer Spagat

Es ist der ständige sportpolitische Spagat, den der neue Mann an der Spitze des nationalen Fußballverbandes üben muss. Ob in der Frage zu dem DFB-Quartier während der WM, das nach einem „Sportschau“-Bericht unter ausbeuterischen Bedingungen entstanden sein soll, oder dem beim letzten Länderspiel in Mönchengladbach einkassierten Fan-Banner mit der Aufschrift „Boycott Qatar“. Letzteres sei aus Sicherheitsgründen entfernt worden und habe nichts mit der Botschaft zu tun gehabt, versicherte Neuendorf. Mit Blick auf das WM-Quartier der deutschen Mannschaft kündigte er ein eigenes Prüfverfahren für Dienstleister an, mit denen der DFB während des Winter-Turniers zusammenarbeitet.

Apropos Mannschaft: Mit dem Slogan „Die Mannschaft“ beschäftigt sich der Neue an der DFB-Spitze auch noch. Eine repräsentative Umfrage soll bis Ende Juli in der Entscheidungsfindung helfen, ob der Verband an dem strittigen Claim festhalten will. Um Fußball, so viel hat Bernd Neuendorf in seinen ersten 100 Tagen gelernt, geht es beim Deutschen Fußball-Bund nur am Rande.