Der leidgeprüfte Mittelfeldmann Ilkay Gündogan will endlich auch in der Nationalelf zeigen, was er kann. Am Dienstag gegen Brasilien darf er von Beginn an ran.

Sport: Marco Seliger (sem)

BERLIN - Berlin genoss am Sonntag das Frühlingserwachen, mit Sack und Pack zog es die Menschen an die Ufer der Spree, um die ersten Sommerstrahlen in der Sommerzeit zu genießen. Ein paar Steinwürfe vom Fluss der Stadt entfernt saß auch Ilkay Gündogan im Licht – das allerdings drinnen, denn der Mittelfeldmann der deutschen Nationalelf hatte einen Pflichttermin zu absolvieren. Auf dem Pressepodium leuchtete es hell. Und auch Gündogan strahlte. Aus guten Gründen.

 

Der Bundestrainer Joachim Löw hat dem Profi von Manchester City bereits eine Startelfgarantie für das Testspiel an diesem Dienstag gegen Brasilien im ausverkauften Olympiastadion gegeben (20.45 Uhr/ZDF), das ist angesichts der Konkurrenzsituation im zentralen Mittelfeld schon mal genug Grund zur Freude. Allerdings gibt es für Ilkay Gündogan, diesen leidgeprüften Hochbegabten, in diesen Wochen auch diesen einen, übergeordneten Grund für gute Laune: er ist einsatzbereit. Was für andere Sportler selbstverständlich ist, ist für Gündogan Luxus. Dass er einfach kicken kann und der Fußballwelt da draußen mal wieder zeigen kann, was er draufhat, das ist es, was Gündogan zufrieden stimmt. Kein Wunder, bei dieser langen Leidensgeschichte.

Fast schon unglaublich ist es, dass Gündogan bei seinem Potenzial bisher noch kein einziges Spiel bei einer WM oder EM absolviert hat. Bei der EM 2012 war er zwar dabei, hat aber nicht gespielt. Die WM 2014 verpasste der Edeltechniker wegen chronischer Rückenbeschwerden, bei der EM 2016 musste er aufgrund einer Verrenkung der Kniescheibe passen. Dazu gab es in den vergangenen viereinhalb Jahren noch einen Kreuzbandriss und viele andere Verletzungen, weshalb Gündogan knapp die Hälfte der Zeit verletzt aussetzen musste. Jetzt sagt er vor dem Test gegen Brasilien einen banalen Satz – doch die drei Wörter bedeuten für ihn die Welt. Gündogan strahlt. Und sagt: „Ich bin fit.“

Pep Guardiola ist begeistert

Was er leisten kann, wenn der Körper nicht streikt, das hat Gündogan schon oft bewiesen. Meister, Pokalsieger und Champions-League-Finalist war er einst mit Borussia Dortmund, jetzt holt er aller Voraussicht nach den Meistertitel mit Manchester City. Dort, wo er auf den Trainer Pep Guardiola traf, der seinen Schützling für einen „außergewöhnlichen Mittelfeldspieler mit einer großen Persönlichkeit“ hält. Was Gündogan in den vergangenen Wochen bei City ablieferte, war überragend. Er ist der Chef im Ring bei dieser mit Weltklassespielern gespickten Truppe. Er ist im klassischen Ballbesitzmantra Guardiolas die Passmaschine. Er ist derjenige, der die von seinem Coach stets geforderte Dominanz in die richtigen Bahnen lenkt. Neulich stellte Gündogan im Spiel gegen den FC Chelsea einen neuen Premier-League-Rekord auf: 174 Pässe bei einer Erfolgsquote von 96 Prozent. Das ist fast schon vollkommen.

Unter Guardiola hat Gündogan einen großen Schritt nach vorn gemacht, sein Spiel ist noch sicherer und noch vielseitiger geworden. Ein Genie sei Guardiola, sagt Gündogan, der betont, dass es unter dem Katalanen für jeden Gegner und für jedes System feste Handlungsmuster gebe, die man dann automatisch abrufen könne. Davon wiederum profitiert dann nicht nur das Kollektiv, sondern auch der einzelne Spieler. So wie Gündogan – der sich nun in der Nationalelf das erkämpfen will, was er in Manchester längst hat: einen Stammplatz.

Bei der WM will Gündogan eine Hauptrolle einnehmen

Dabei ist die Konkurrenz in der deutschen Mittelfeldzentrale groß. Die beiden Weltmeister Toni Kroos und Sami Khedira sind die Platzhirsche, Gündogan einer der Herausforderer. „Jeder hat den Anspruch zu spielen“, sagt Gündogan dazu – wohl wissend, dass er mit Blick auf einem Stammplatz bei der WM nicht die schlechtesten Karten hat, wenn sein Körper mitspielt. Seine Passsicherheit ist seine eine, große Qualität – hinzu kommen aber auch noch sein überragender Blick für die freien Räume, den Gündogan unter Guardiola nochmals geschärft hat. Und die Fähigkeit, in diese Räume nicht nur zu passen, sondern auch mit Tempo selbst in sie hineinzustoßen. Im Vergleich mit Sami Khedira ist Gündogan stärker in der Offensive, in der Defensive dagegen fehlt ihm im Vergleich mit seinem Konkurrenten die Wucht und Stabilität. Weshalb es, je nach Gegner, zu einem Wechselspiel Khedira/Gündogan kommen könnte. Jetzt ist gegen Brasilien erst einmal Gündogan am Zug.

Das 7:1 der deutschen Elf gegen die Brasilianer im Halbfinale 2014 hat er damals übrigens im Trainingslager von Borussia Dortmund angeschaut. Nun, im Sommer in Russland, will Ilkay Gündogan selbst ein Hauptdarsteller sein. Und endlich sein erstes WM-Spiel absolvieren.