30 Jahre alt, 150 Kilogramm schwer: Immer mehr Menschen sind stark übergewichtig und haben Diabetes. Eine Magen-Operation kann helfen.

Stuttgart - Die 30-jährige Janina wog 150 Kilogramm. Durch das massive Übergewicht war sie ständig krank: Sie hatte Gelenkprobleme und litt an Diabetes. Sie konnte nicht mehr arbeiten, ihr Selbstwertgefühl war im Prinzip nicht mehr vorhanden. Vor einigen Jahren entschied sie sich daher für eine Adipositas-Operation. Ihr Magen wurde verkleinert. Seitdem hat Janina fast 80 Kilogramm abgenommen – und sie ist ihren Typ-2-Diabetes los. „Die Operation war für mich die einzige Möglichkeit, aus dem Teufelskreis herauszukommen. Aber ich würde diesen Weg nicht jedem empfehlen. Eine solche Operation hat Vor- und Nachteile. Darüber muss man sich klar sein“, schreibt die 30-Jährige im „Diabetes-Ratgeber“.

 

Die Idee, Patienten mit einer Operation beim Abnehmen zu helfen, ist nicht neu. Dabei wird entweder der Magen verkleinert oder Teile des Dünndarms aus der Verdauung ausgeschlossen – bei schwer übergewichtigen Menschen hat die Operation mehr Erfolg als etwa die Umstellung des Lebens. Doch der Eingriff hilft nicht nur beim Abnehmen. Sie kann auch bei Typ-2-Diabetes, dem sogenannten Altersdiabetes, helfen. Erstaunt und eher zufällig bemerkten Mediziner, dass sich der Zuckerstoffwechsel stark übergewichtiger Patienten schon innerhalb weniger Tage nach der Operation normalisierte – noch bevor die Pfunde purzelten. Die Patienten mussten weniger Insulin spritzen, viele konnten ganz damit aufhören. „Kann man Diabetes wegoperieren?“ war daher auch eine der viel diskutierten Fragen auf dem diesjährigen Diabetikerkongress auf dem Stuttgarter Messegelände.

Weniger Hunger

„Die bariatrische Operation ist bei übergewichtigen Patienten, deren Body-Mass-Index (BMI) höher als 35 ist und die unter Typ-2-Diabetes leiden, eine weltweit anerkannte Therapie zur anhaltenden und deutlichen Gewichtsreduktion“, sagte Tobias Lohmann, Chefarzt der medizinischen Klinik am Städtischen Krankenhaus Dresden beim Stuttgarter Diabetikerkongress. Bei einer bariatrischen Operation gehen die Chirurgen unterschiedlich vor. Man kann den Magen etwa mit Hilfe eines Magenbandes verkleinern oder Teile des Magens entfernen. Mit Hilfe eines „Magenbypasses“ wird ein Teil des Magens aus der Verdauung ausgeschlossen. Die Folge: der Magen wird kleiner, der Patient isst sehr viel weniger. Außerdem gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit denen der Darmtrakt verkürzt wird, so dass der Körper weniger Nährstoffe aus der Nahrung aufnimmt. Betroffene haben weniger Hunger. Zudem verändere sich bei 80 Prozent der Operierten der Stoffwechsel derart, dass sich der Typ-2-Diabetes verbessert oder verschwindet, erklärte Lohmann. Ob dies jedoch ein Leben lang so bleibe, könne noch nicht gesagt werden. Dazu fehlten Langzeitstudien, so der Dresdner Mediziner. Auch sei der Mechanismus dieses Effekts noch nicht endgültig geklärt. Somit sei derzeit noch nicht abzusehen, ob operierte Diabetespatienten langfristig besser, komplikationsärmer und länger leben.

Die Operation bleibt nicht ohne Folgen: Die meisten Patienten müssen lebenslang Eiweiß-, Vitamin- und Mineralstoffpräparate einnehmen. Viele Lebensmittel werden nicht mehr vertragen, Probleme mit der Verdauung und der Gallenfunktion sind häufig. Auch psychische Probleme treten immer wieder auf. „Voraussetzung für eine erfolgreiche Operation ist die sorgfältige Auswahl der Patienten und die lebenslange Nachbetreuung“, betonte Lohmann. Daher sollten derartige Eingriffe nur in interdisziplinären Zentren mit entsprechender Erfahrung erfolgen. Eine dauerhafte Nachuntersuchung des Patienten müsse gewährleistet werden.

Langzeitdaten fehlen

Wäre es bei diesen positiven Operationserfahrungen mit stark übergewichtigen Patienten nicht auch eine gute Idee, schlanke Menschen mit Alterszucker von ihrem Stoffwechselleiden und der jahrelangen Einnahme von Medikamenten zu befreien? Diese Frage stellten sich viele der etwa 6000 Kongressbesucher. Die Antwort des Dresdner Diabetologen ist ein deutliches „Nein“. Noch gebe es zu viele Fragezeichen in der Wirkung der Operation auf den Stoffwechsel. Zudem fehlten Langzeitdaten, die beweisen könnten, dass der Eingriff auch bei Normalgewichtigen den Diabetes ein Leben lang verhindere.

Der Zuckerstoffwechsel spielt sich nicht nur im Körper ab. Das Zuckerhormon Insulin wirkt nicht nur auf die Muskeln, die Leber und das Fettgewebe. Insulin scheint direkt über das Gehirn eine wichtige Rolle bei der Regulierung des Gewichts zu spielen. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Neurone in bestimmten Hirnarealen bei schlanken Menschen anders auf Insulin reagieren als bei dicken Personen. „Das Gehirn spielt für unser Essverhalten und damit verbundene Erkrankungen eine entscheidende Rolle“, sagte Hans-Ulrich Härung von der Tübinger Uniklinik und Vorstandsmitglied des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD). Und daran sei auch Insulin maßgeblich beteiligt. Das Hormon beeinflusse den Energiestoffwechsel und das Verhalten. So sei es beispielsweise mit dem Sättigungsgefühl, der Lust auf Bewegung und dem Gedächtnis verbunden. Insulin wirke auch auf das Belohnungszentrum. Über diese Mechanismen, so vermute man in der Wissenschaft, bestimme Insulin bei gesunden Menschen das Essverhalten und den Lebensstil. „Insulin ist dazu da, dem Körper nach dem Essen das Signal ,satt‘ zu senden“, erklärte der Tübinger Wissenschaftler. Bei übergewichtigen und älteren Menschen jedoch gebe es häufig eine sogenannte Insulinresistenz. Warum das Gehirn dann kaum noch auf das Hormon reagiere, sei nicht klar. Möglicherweise, so Häring, seien genetische Faktoren daran beteiligt. Die Resistenz könne aber auch mit einem erhöhten Blutspiegel gesättigter Fettsäuren einhergehen. Wirkt Insulin im Gehirn nicht mehr richtig, ist die nahrungsabhängige Rückkoppelung gestört. „Die Betroffenen essen zu viel und haben keine Lust auf Bewegung“, erläuterte Häring. Wie diese Regelung funktioniere, müsse jedoch noch erforscht werden.