Dieses Mal zeigt die Polizei starke Präsenz in Chemnitz. Der Ministerpräsident sucht den Dialog mit Bürgern, während Rechtspopulisten erneut demonstrieren. Immerhin scheint das Leck des veröffentlichten Haftbefehls gefunden.

Chemnitz - Begleitet von einem starken Polizeiaufgebot und scharfen Kontrollen haben sich am Donnerstagabend nach ersten Schätzungen von Augenzeugen mehr als 1000 Menschen bei einer Protestkundgebung der rechtspopulistischen Bewegung Pro Chemnitz versammelt. Zuvor hatte das sächsische Justizministerium einen Erfolg bei der Suche nach einer undichten Stelle bei den Behörden gemeldet. Den im Internet veröffentlichten Haftbefehl eines mutmaßlichen Täters der Messerattacke von Chemnitz hat offensichtlich ein Dresdner Justizvollzugsbediensteter weitergegeben. Der Mann sei mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert worden, teilte das Ministerium mit. Zuvor hatte die „Bild“-Zeitung berichtet, dass sich der Mann gestellt habe.

 

Bürgergespräch im Fußball-Stadion

Angesichts der neuerlichen Proteste am Rande eines Bürgerdialogs mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) in Chemnitz sprach Innenminister Roland Wöller (CDU) von einer angespannten Lage. „Die Kollegen arbeiten aber sehr konzentriert und werden von Polizisten aus anderen Bundesländern, von der Bundespolizei und Bereitschaftspolizei unterstützt.“

„Es kommt nun darauf an, mit Ruhe und Besonnenheit Recht und Ordnung konsequent durchzusetzen. Wir werden nicht dulden, dass Chaoten und gewaltbereite und rechte Gewalttäter die Straßen erobern“, erklärte der Minister weiter. Die Polizei wollte sich zunächst nicht zu der Zahl der Demonstranten äußern.

Beim Zugang zum Bürgerdialog mussten sich alle Besucher einer Taschenkontrolle unterziehen. Zu dem Bürgergespräch, das in den Räumlichkeiten des Stadions des Fußball-Regionalligisten stattfindet, war neben dem Ministerpräsidenten der Großteil seines Kabinetts angereist. Die Polizei achtete bei Kontrollen vor dem Veranstaltungsort darauf, dass sich die Besucher des Bürgerdialogs nicht mit der parallel stattfindenden Demonstration von Pro Chemnitz vermischten.

Details zu den Hintergründen

Nach den tödlichen Messerstichen von Chemnitz hält sich die Staatsanwaltschaft mit Details zu den Hintergründen der Gewalttat weiter bedeckt. Die Anklagebehörde machte am Donnerstag auf Anfrage keine Angaben zum Tatmotiv und ging auch nicht auf Medienberichte ein, wonach der Messerattacke auf einen 35 Jahre alten Deutschen am Sonntagmorgen entweder ein Streit um Zigaretten oder ein versuchter EC-Karten-Raub vorausgegangen sei. Die Polizei hatte von einer verbalen Auseinandersetzung berichtet.

Der illegal veröffentlichte Haftbefehl hatte für viel Kritik gesorgt. Das teilweise geschwärzte Dokument war unter anderem auf Internetseiten von Pro Chemnitz, einem Kreisverband der AfD sowie des Pegida-Gründers Lutz Bachmann verbreitet worden. Auf der Suche nach der undichten Stelle seien bereits am Mittwoch zahlreiche Objekte durchsucht worden, hieß es vom Justizministerium weiter. Die Ermittlungen hätten sich bald auf die Justizvollzugsanstalt Dresden konzentriert.

Am Sonntag war in Chemnitz ein 35-jähriger Deutscher durch Messerstiche getötet worden. Zwei 33- und 38-Jährige wurden zum Teil schwer verletzt. Mittlerweile wurde einer der Männer aus dem Krankenhaus entlassen. Der dritte Geschädigte befinde sich noch in stationärer Behandlung, schwebe aber nicht in Lebensgefahr, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Ein 22 Jahre alter Iraker und ein Syrer (23) sitzen als Tatverdächtige in Untersuchungshaft. Nach der Tat zogen überwiegend rechte Demonstranten durch die Stadt und hetzten gegen Ausländer, einige wurden sogar angegriffen.

Sehen Sie im Video, wie Reporter Raphael Thelen die Demonstration am Montagabend erlebte:

Ausländerfeindliche Übergriffe

Die rechtsextremen und ausländerfeindlichen Übergriffe stießen bundesweit und international auf Ablehnung. Die sächsische Polizei geriet in die Kritik, weil sie das Ausmaß des Protestes unterschätzt und zu wenig Personal zu Demonstrationen geschickt hatte.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, rief zu Zivilcourage auf und kritisierte die AfD. Chemnitz mit seiner auch von internationalen Studenten besuchten Universität sei eine weltoffene Stadt. Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, kommentierte, Auschwitz-Überlebende in aller Welt empfänden „die rechtsextremen Entwicklungen in Chemnitz als dramatisch“. Mit wachsender Sorge beobachteten die Überlebenden des Holocausts den Versuch rechtsextremer Gruppierungen, die Macht der Straße an sich zu reißen und den Hass in die Städte zu tragen.

Am Freitag wollte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) Chemnitz besuchen. Tags zuvor rief sie bei einem Besuch im südthüringischen Themar zum Kampf gegen den Rechtsextremismus auf. Die konsequente Verfolgung von Straftaten sei ebenso notwendig wie präventive Arbeit mit Jugendlichen. Vor allem Regionen im Osten dürften nicht den Eindruck haben, abgehängt zu sein. „Es muss so sein, dass die Bundespolitik gerade an diesen Orten präsent ist.“

Für diesen Samstag hat die AfD gemeinsam mit der ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung in Chemnitz zu einer weiteren Kundgebung aufgerufen.