Als Nussknacker noch Kastrationsängste auslösten: Im ZKM Karlsruhe ist die „Feministische Avantgarde“ zu Gast, die ungewöhnlich radikale und überraschende Kunstsammlung des österreichischen Energiekonzerns Verbund.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Karlsruhe - Martha Rosler möchte man nicht in der Küche begegnen. Dabei führt sie nur die Werkzeuge der Hausfrau vor: Hamburgerpresse, Suppenkelle, Saftpresse. Doch so, wie Rosler diese Schätze präsentiert, kann einem bange werden. Schlägt sie den Nussknacker zusammen, kann man verstehen, wenn das Kastrationsängste schürt. „Semiotics of the Kitchen“ nennt sich der Kurzfilm der New Yorker Künstlerin, der 1975 entstand und den Zeitgeist wiedergibt: Mit den Waffen der Frau in den Geschlechterkampf.

 

Die Kunsthistorikerin Gabriele Schor hat für Arbeiten wie diese den Begriff „Feministische Avantgarde“ geprägt. Im ZKM in Karlsruhe kann man nun eine stattliche Auswahl jener feministischen Avantgardistinnen entdecken, die in den siebziger Jahren frisch, frech und radikal gegen überkommene Stereotypen rebellierten und dem männlich dominierten Kunstbetrieb Paroli boten. Lynda Benglis brachte die Geisteshaltung unmissverständlich auf den Punkt: Sie posierte vor der Kamera aufreizend nackt mit riesigem Gummipenis. Nach dem Motto: Meiner ist der längste.

Alte Kataloge gesichtet, vergessene Künstlerinnen aufgespürt

Es ist keineswegs nur leichte Kost, die man im ZKM entdecken kann. Umso erstaunlicher, dass es sich bei der „Feministischen Avantgarde“ um die Kunstsammlung des österreichischen Energiekonzerns Verbund handelt, die seit mehreren Jahren durch Europa tourt. Schor hat die Sammlung aufgebaut und hierfür alte Kataloge gesichtet und vergessene Künstlerinnen aufgespürt, die alte Arbeiten vom Dachboden holten. Es ist beachtlich, was sie alles auftreiben konnte – und der Katalog mit seinen mehr als 500 Seiten verrät, dass hier wahrlich Grundlagenforschung betrieben wurde. So gibt es tolle Entdeckungen zu sehen, aber auch klassisch gewordene Positionen wie Valie Exports „Tapp- und Tastkino“ (1968), der Dokumentation einer Straßenaktion zum Voyeurismus, bei der sie über den Brüsten einen Karton trug, durch den man sie betatschen durfte – was die Männer mit glänzenden Äuglein taten.

Als die Künstlerin Renate Bertlmann in den Siebzigern in einer Galerie vorstellig wurde, bekam sie eine Absage. Warum solle er sie ausstellen, soll der Galerist gefragt haben, sie sei doch ohnehin verheiratet. Die Künstlerinnen, die sich in dieser Zeit auf den Weg machten, waren noch mit starren Rollenzuweisungen konfrontiert. Deshalb setzte Ulrike Rosenbach sich für den Kurzfilm „Einwicklung mit Julia“ 1972 ihre kleine Tochter auf den Schoß und wickelte sie mit Mullbinden an ihren Oberleib – Ausdruck der gesellschaftlichen Zuschreibung, die Mutter und Kind als Einheit betrachtet.

Viele Arbeiten spiegeln die enge Lebenswelt der Frau, aus der die Künstlerinnen ausbrechen wollen: Helena Almeida hat Frauenhände fotografiert – hinter Gittern, Zäunen, Fenstern. Der Ehering ist beredt, die Ehe wird als Gefängnis begriffen. Immer wieder tauchen traditionell weibliche Themen auf. Birgit Jürgenssen ist nicht an den heimischen Herd gekettet, auf der Fotografie „Hausfrauen-Küchenschürze“ (1975) hängt er direkt an der Schürze – Ballast, den die Frau nicht los wird. Eine ganze Sektion ist dem Bügeln gewidmet: Karin Mack bügelt sich in der Fotoserie „Bügeltraum“ (1975) buchstäblich zu Tode. Am Ende ihrer haushälterischen Arbeit hängt der frisch aufgebügelte Totenschleier über ihrem Gesicht.

Der Schatten des Hausmeisters

Die Themen und Motiven ähneln sich, immer wieder schlüpfen die Künstlerinnen in Rollen. Marcella Campagnano posiert 1974 als Mutter, Studentin, Prostituierte, Braut und Putzfrau. Cindy Sherman ist mit unbekannten frühen Arbeiten und Collagen vertreten. Häufig geht es auch ums weibliche Geschlecht, das provokant ins Rampenlicht gerückt wird, aber eben nicht mehr als Projektionsfläche für Männerfantasien. So hat Hannah Wilke kleine Vaginas aus Kaugummi geformt.

Bis in die neunziger Jahre hielt sich die Mär, es gebe schlicht nicht genug Künstlerinnen, die Ausstellungshäuser bespielen könnten. Es gab sie bereits in den Siebzigern, wie Mary Beth Edelson in einer weiblichen Variante von Leonardos „Letztem Abendmahl“ vorführt, indem sie Künstlerinnen um den Tisch versammelt, Yoko Ono, Georgia O’Keeffe und andere, für die der Platz an der Tafel gar nicht reicht. Man kann in der Sammlung auch viele Künstlerinnen entdecken, deren Werk zu Unrecht vergessen wurde. Die meisten von ihnen gingen übrigens keineswegs verbiestert an die Sache, sondern witzig und ironisch. „Der Hausmeister und sein Schatten“ von Margot Pilz ist eine freche Fotografie, auf der der Mann sich selbstbewusst der Kamera präsentiert, während die Frau im Hintergrund nur als Schatten aufblitzt.

Mit einem Vorurteil räumt die Ausstellung wie nebenbei auf: Dass Frauen das zarte Geschlecht seien. Einige Positionen sind radikal und drastisch und legen den Finger schmerzhaft in die Wunde. Gina Pane hat sich in ihren Aktionen immer wieder selbst geritzt. Daneben wirkt der Beitrag von Alexis Hunter fast harmlos. Sie zeigt das Pin-up-Foto eines Mannes mit erigiertem Penis, der von Frauenhand übermalt wird. Das Foto musste aus einer Ausstellung entfernt werden, nachdem die – männlichen – Aufseher protestiert hatten.

So verrät die „Feministische Avantgarde“ im Karlsruher ZKM viel über den Kunstbetrieb und die Gesellschaft der siebziger Jahre, macht aber auch deutlich, wie viel sich seither verändert hat. Die Zeichnung von Birgit Jürgenssen hatte durchaus prophetischen Charakter: Sie zeigt eine Mutter vor einem Werbeplakat der Bahn, das „für eine bessere Zukunft“ wirbt – worauf das kleine Mädchen kurzerhand aus dem Kinderwagen klettert und sich mit der Bahn in eine neue Zeit aufmacht.