Die Autoindustrie hält moderne Diesel-Fahrzeuge für unverzichtbar, um die europäischen Umweltschutzziele zu erreichen. Kritiker sehen das anders: Die Einsparungen beim Spritverbrauch sorgten dafür, dass Diesel-Fahrer häufiger unterwegs seien.

Brüssel - Es gehört zur Schadensbegrenzung im Megaskandal um geschönte Feinstaub-Messwerte bei Volkswagen, dass plötzlich kaum jemand so laut „Klimaschutz“ ruft wie die angeschlagene Autoindustrie. „Moderne Diesel-Antriebe sind für die Erreichung der europäischen Klimaschutzziele unverzichtbar“, heißt es in einer dieser Tage veröffentlichten Erklärung der deutschen Hersteller. Die richtet sich an die Kunden, die sich trotz allem nicht vom Kauf eines Diesel abhalten lassen sollen – weil er besser für’s Klima ist.

 

Niemand bestreitet, dass Diesel-Fahrzeuge auf den Kilometer gerechnet weniger klimaschädliches Kohlendioxid freisetzen als Benziner – von 15 bis 20 Prozent ist in einer Erklärung aus dem Hause BMW die Rede. Auch Jens Hilgenberg vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, erkennt an, dass „der Diesel tatsächlich etwas weniger CO2 ausstößt“. Und der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen stellt fest: „Beim Diesel gibt es wirklich eine Diskrepanz zwischen dem Klima- und dem Gesundheitsschutz.“

Die Umweltverbände sehen es anders

In der Frage, welche Rolle der vermehrte Einsatz der Dieseltechnologie – inzwischen fährt jedes zweite in Europa neu zugelassene Auto damit – für den EU-Klimaschutz spielt, scheiden sich jedoch die Geister. „Die bisher erreichten Fortschritte bei der CO2-Reduktion in Europa sind überwiegend dem Einsatz der Dieseltechnologie zu verdanken“, heißt es bei BMW. Das sehen Umweltverbände anders. Vor allem durch die niedrigere Energiesteuer auf Diesel entstehe bei Autofahrern „der Eindruck, sparsam unterwegs zu sein, weshalb insgesamt mehr gefahren wird“, meint dagegen der BUND-Verkehrsexperte Hilgenberg. Hinzu komme der Feinstaub, der sich Studien zufolge auch auf den Gletschern der Arktis niederlasse, sie noch schneller schmelzen lasse und damit die Auswirkungen des Klimawandels noch beschleunige.

Vor allem misstrauen die Kritiker den Messwerten nicht nur bei Stickstoffoxiden, sondern auch bei Kohlendioxid – egal ob Diesel-Auto oder Benziner. Offiziell gibt es große Fortschritte, da der durchschnittliche CO2-Ausstoß neuer Autos pro Kilometer von 170 Gramm 2001 im Jahr 2014 auf 123 Gramm gesenkt und damit unter die EU-Obergrenze von 135 Gramm für dieses Jahr gedrückt wurde. Im selben Zeitraum jedoch ist die Lücke zwischen den Ergebnissen auf dem Prüfstand und denen auf der Straße viel größer geworden – laut dem International Council on Clean Transportation von acht auf knapp 40 Prozent.

Eine neue Fahrzeug-Typenprüfung kommt

Der Handlungsbedarf ist lange erkannt: 2017 wird eine neue Fahrzeug-Typenprüfung mit realistischeren CO2-Werten eingeführt. Allerdings veröffentlichte die Organisation Lobby Control am Dienstag ein internes Papier der Bundesregierung, in dem eine Übergangsphase bis 2021 vorgeschlagen wird – erst dann sollen die realistischeren Werte gesetzliche Folgen haben. „Dieser Standard soll nach 2020 dann auch für die Emissionsberechnung der Autoflotten gelten, die in der EU-CO2-Richtlinie festgelegt ist“, bestätigt ein Sprecher des Umweltministeriums – doch würden die Verbraucher schon 2017 „besser und genauer erfahren, wie viel CO2 ihr Auto im Durchschnitt ausstößt“. Die Regierung vertrete damit „einseitig die Interessen der deutschen Autobauer“, kritisiert Christina Deckwirth von Lobby Control.

So wie diese Tests Diesel- und Benzin-Fahrzeuge gleichermaßen betreffen, sieht auch die EU-Kommission im Gegensatz zu den Herstellern keinen klaren Klima-Vorteil beim Diesel.“ Sowohl Diesel- wie Benzinmotoren haben große Fortschritte gemacht. Es gibt aber keinen ,normalen’ Motor als Vergleich, weshalb es schwierig ist genau festzustellen, wie groß der Effizienzunterschied ist“, heißt es in der Behörde. Deshalb will man auch nicht für den Diesel werben, der nur „eine unter vielen technologischen Optionen darstellt, um den CO2-Ausstoß zu verringern“.

Der Trend geht zu Elektroautos

Langfristig soll der Trend weg vom Verbrennungsmotor. „Solange sich Elektroautos nur schlecht verkaufen, brauchen wir den Diesel aber weiter“, sagt der SPD-Europaabgeordnete Matthias Groote. Sein CDU-Kollege Peter Liese spricht von einer „Brückentechnologie, die wir für die neuen Klimaziele für 2030 noch benötigen.“ Der Sozialdemokrat Leinen wünscht sich dagegen, dass der VW-Skandal ein Umdenken auslöst: „Dieser Schock muss einen Schritt nach vorne auslösen – in Richtung Elektromobilität.“ Er liegt damit näher an der Position des BUND-Vorsitzenden Hubert Weiger: „Es ist ein Märchen, dass Diesel-Fahrzeuge zum Erreichen der Klimaschutzziele unersetzbar sind.“