Vor 40 Jahren wandelten die Brüder Günther und Helmut Weber den bis dahin seit 1921 familiengeführten Bäckerbetrieb in ein Kollektiv um. Sie gehören zudem zu den Pionieren der Bio-Bäckerei.

Es klingt zugegebenermaßen ein wenig vermessen. Aber die Webers aus Winnenden backten damals auch für eine bessere Welt. Von jeder Dinkelvollkornseele, die über die Ladentheke ging, spendeten die Bio-Bäcker zehn Pfennig für Nicaragua. Einer aus dem anfänglich fünfköpfigen Kollektiv, das später auf bis zu zehn Bäckerinnen und Bäcker anwuchs, hatte von seiner oberschwäbischen Heimat ein Rezept in den Winnender Betrieb an der Ringstraße mitgebracht. Neben besagtem Dinkelvollkornmehl bestand der Teig aus Salz, Wasser, Sauerteig und Hefe. Am Ende wurden noch Leinsaat, Mohn, Sesam und Kümmel darübergestreut. Ab in den Ofen und fertig war „Sandinos Seele“ – so hieß das Revolutionsgebäck. Es verkaufte sich wie geschnitten Brot. Viele aus dem linksalternativen oder christlich-liberalen Milieu engagierten sich damals für Nicaragua-Projekte, spendeten und kauften fair gehandelte Produkte.

 

Lebt „Sandinos Seele“ heute weiter?

Und heute? Gibt es diesen politischen Geist noch? Lebt „Sandinos Seele“ weiter? „Wir sind vielleicht nicht mehr so politisch wie früher, aber wir sammeln und spenden immer noch in Zusammenhang mit unseren Seelen. Meist suchen wir uns eher sporadisch die passenden Projekte aus, die wir dann mit fünf Cent pro Seele unterstützen“, sagt Klaus Dernbecher. Der 64-jährige Bäckermeister mit saarländischen Wurzeln, der erst Chemie studiert und dann quasi parallel dazu die Liebe zum Brot-Backen entdeckt hat, ist einer von zwei Geschäftsführern in der Bio-Bäckerei. Der andere ist der 60-jährige Klaus Späth. Er ist in Winnenden aufgewachsen.

Zusammen haben die beiden jetzt das Sagen. Ganz ohne Chefs geht’s heute nicht mehr. Späth stieß 1990 zur Bio-Bäckerei. Und Dernbecher kam 1995 dazu. „Damals gab es noch das Kollektiv. Im Plenum trafen wir uns alle wöchentlich, um alles zu besprechen und zu entscheiden. Und alle im Kollektiv bekamen ursprünglich den gleichen Lohn“, erinnert sich Dernbecher. Doch die Tage des Back-Kollektivs waren da schon angezählt, denn Günther Weber ging. Er zog 1997 mit Frau und Kind auf die Schwäbische Alb. Auf dem Loretto-Hof begann er Holzofenbrot zu backen und machte sein eigenes Ding. Sein Bruder Helmut war schon einige Jahre früher ausgestiegen. Er setzte ebenfalls auf Holzofen-Produkte in Vellberg bei Schwäbisch Hall.

Die Vollkorn-Backwaren wurden zum Verkaufsschlager

Auch wenn den Öko-Bäckern aus Winnenden damals vielleicht ihre Leitfiguren abhanden kamen, sie machten weiter und setzten auf Vollkorn und biologische Backwaren: „Wir wollten regional, ökologisch, nachhaltig und auch gerechter wirtschaften“, fasst Dernbecher den Anspruch zusammen. Die damals in ganz Süddeutschland aufkeimende Ökobewegung fand selbstverständlich auch in Winnenden ihren Widerhall. Dennoch: Ein regionales Bio-Erzeuger-Netz für Mehl und Vollkorn-Getreide, aber auch für Körner, Milchprodukte und Honig musste erst aufgebaut werden. Und das war mühsam. Im Jahr 1987 kam die Zertifizierung als Bioland-Bäckerei dazu. Inzwischen treffen sich die Öko-Getreidebauern aus der Region jedes Jahr zum Austausch in der Bäckerei: „Wir sind so eine Art Sammelpunkt für viele Bio-Erzeuger in der Gegend geworden“, sagt Späth.

Komplett gegen den Mainstream zu backen, vermied das Bäcker-Kollektiv aber anfangs auch. Es wurde zweigleisig gefahren. Beim Weißmehlsortiment blieb es bei den üblichen Zutaten aus konventionellem Anbau. Denn die Klassiker vom Seniorchef Walter Weber, der zum 1. Januar 1983 seine Bäckerei an eine neue gegründete GmbH mit fünf Gesellschaftern verpachtet hatte, waren überaus beliebt: „Die Apfelkrapfen, das Bauernbrot und die Kipf aus Walters Zeit haben wir immer noch im Sortiment“, sagen die heutigen Geschäftsführer. Doch die Vollkorn-Rezepte wurden stets verfeinert und erwiesen sich irgendwann als Verkaufsschlager, die nicht nur im eigenen Geschäft, sondern auch bei Wochenmärkten in der Region, Bioläden und Reformhäusern einschlugen.

Kleine Betriebe werden vom Markt geschubst

Dennoch kann auch diese Erfolgsgeschichte nicht über eines hinwegtäuschen: Die Zahl der Naturkostläden und Handwerksbäcker schrumpft von Jahr zu Jahr. Zwischen 2000 und 2022 gaben mehr als 50 Prozent der Bäckereien in Deutschland auf. „Früher, als ich noch Schulbub war, gab es allein hier in der Marktstraße fünf oder sechs kleine Handwerksbäcker“, sagt Späth. Und heute? „Die industriellen Strukturen schubsen die kleinen handwerklichen und inhabergeführten Betriebe zusehends vom Markt.“ Der Verein „Die Freien Bäcker“, in dem auch die Bio-Bäckerei Winnenden ein Mitgliedsbetrieb ist, versucht gegenzusteuern. „Was uns 40 Bäckereien vereint, ist eine konsequent handwerkliche Produktionsweise“, erklärt Späth.

Dutzende Zusatzstoffe sind in der Backwaren-Industrie zugelassen. „Bei uns sind diese chemischen Helferlein tabu.“ Andererseits beobachtet Späth mit großer Sorge, dass technische Enzyme langsam auch im Biolebensmittelbereich durch die Hintertür Einzug halten. Es gebe, um ein Beispiel zu nennen, ein Produkt aus der Barista-Hafermilch-Sparte, das mit dem Demeter-Siegel ausgestattet wurde: „Von dieser speziellen Bio-Hafermilch Barista weiß ich, dass dort technische Enzyme für die Produktion zugelassen sind, ich kann es aber nicht für alle behaupten“, schränkt Späth ein.