Zum siebzigsten Geburtstag starten die Bregenzer Festspiele mit der neuen IntendantinElisabeth Sobotka. Sie sieht die Seebühne weiterhin als Magnet, will aber auch Überraschendes bieten.

Kultur: Tim Schleider (schl)
Bregenz – - Chefwechsel bei den Bregenzer Festspielen: an diesem Mittwoch beginnt die erste Saison unter Leitung von Elisabeth Sobotka (49). Damit wird das Vorarlberger Festival nach elf Jahren wieder von einer Österreicherin geführt.
Bregenz – - Frau Sobotka, nach elf Spielzeiten unter der britischen Leitung von David Pountney übernimmt eine Österreicherin die Festspiele in Bregenz. Auf welche Brüche muss sich das Publikum gefasst machen?
Das Theater gibt es seit Tausenden von Jahren, und ich werde es auch in Bregenz ganz sicher nicht völlig neu erfinden. David Pountney ist ja mindestens ein so großer Opernnarr wie ich, deswegen wird sich zunächst mal weniger verändern, als manche vermuten. Meine Dramaturgie entwickelt sich von den drei Festspielorten Seebühne, Festspielhaus und Werkstatt her. Ich frage mich, welche Oper mit welchem Team diese Orte festspielhaft erfüllen kann. Was mir darüber hinaus besonders am Herzen liegt, das sind die Stimmen. Deswegen haben wir zu dieser Saison eine Meisterklasse eingerichtet, in der die großartige Brigitte Fassbaender junge Sängerinnen und Sänger für eine „Così fan tutte“-Inszenierung im Landestheater weiter ausbildet. Und natürlich freut es mich riesig, den Bariton Michael Volle für sein Debüt in „Hoffmanns Erzählungen“ in der Rolle gleich aller Bösewichte gewonnen zu haben.
Hier gab es erste Irritationen. Bisher war das Innentheater im Festspielhaus ein Ort für Uraufführungen und Wiederentdeckungen des Musiktheaters. Und nun präsentieren Sie hier eine Oper, die zig Stadttheater ständig im Repertoire haben. Ist das nicht allzu offensichtlich auf Sicherheit gespielt?
Ich habe diese Kritik anfangs gar nicht begriffen. Die Oper an sich ist ja schon ein Steinbruch; Jacques Offenbach hat mehrere Fassungen hinterlassen. Und dann habe ich ein künstlerisches Team mit dem Dirigenten Johannes Debus, dem Bühnenbildner Christoph Hetzer und dem Regisseur Stefan Herheim, das doch klar signalisiert, dass hier ganz sicher kein Repertoire-Alltag auf die Bühne kommen wird – es ist noch dazu Herheims erste Inszenierung nach zwei Jahren Pause!
„Hoffmanns Erzählungen“ ist also nicht auf Wunsch der Festspiel-Sponsoren nach mehr Gefälligkeit ins Programm gekommen?
Ganz im Gegenteil. Auch bei vielen Förderern, die gerade die Kreativität künstlerischer Experimente in Bregenz schätzen, musste ich erst Überzeugungsarbeit leisten. Ich kann nur versprechen: wer bei uns in diesem Sommer eine ganz übliche Inszenierung von „Hoffmanns Erzählungen“ erwartet, ein Stadttheater im schlechten Sinn, der wird ganz sicher enttäuscht werden – um dann hoffentlich umso stärker überrascht zu werden.
Dagegen scheint der „Turandot“ auf der Seebühne nun wirklich eine sichere Bank.
Das mag man von außen denken. Aber für die Seebühne mit ihren 26 Vorstellungen müssen wir ja erst mal ein ganz anderes, weitaus größeres Publikum gewinnen. Und viele können mit dem Titel der Puccini-Oper auf Anhieb gar nicht so viel anfangen.
„Nessun dorma“ – ist da derartige Ahnungslosigkeit nach den drei Tenören und Paul Pott wirklich noch vorstellbar?
Na ja, gerade wegen den Tenören dieser Welt fragen mich manche, warum wir die Oper nicht lieber „Nessun dorma“ nennen statt „Turandot“. Aber es läuft gut, wir sind mit dem Vorverkauf sehr zufrieden, gerade konnte unser Geschäftsführender Direktor noch zusätzliche Sitzreihen installieren lassen und in den Verkauf geben. Jetzt müssen wir es bis zur Premiere noch schaffen, einen magischen Opernabend auf die Seebühne zu bringen.
Das ist ja eben der Vorbehalt, den manche Opernfreunde gegen die Seebühnen-Produktionen in Bregenz haben: Hier herrsche der Zwang, mittels Technik mehr Event als Musiktheater zu produzieren.
Es reden immer alle von der Technik, aber das Entscheidende an der Seebühne ist doch viel elementarer – es ist die Auseinandersetzung mit dem See, mit der Natur und ihren Gewalten. Technik haben wir auch im Theatersaal ohne Ende, da stört’s keinen Kritiker. Aber draußen auf der Seebühne geht es notgedrungen vor allem viel echter zu. Der Seespiegel steigt und fällt, der Wind kann zum Sturm werden, wenn es regnet, werden alle nass. Das alles muss die Inszenierung reflektieren und spiegeln. Wenn man so will, wird die Kunstform Oper in all ihrer Künstlichkeit just hier in Bregenz eben sehr echt. Die Bregenzer Bühnenbilder bleiben ja auch deswegen vielen in Erinnerung, weil sie gegen die Größe der Natur ihre Behauptung aufstellen müssen.
Die technische Übertragung von der Seebühne hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter verbessert, gleichwohl bleibt es eine Übertragung.
Ja, wir haben hier musikalisch, etwas salopp gesagt, eine Konserve, aber es ist dank modernster digitaler Übertragungstechnik eine sehr lebendige Konserve auf höchstem Niveau. Tatsächlich habe auch ich einen Traum für Bregenz – die Rückkehr des Orchesters aus der Versenkung des Festspielhauses auf die Seebühne und in die Sichtbarkeit. Um es mal österreichisch zu sagen: Ich finde halt, die Kasperl’n g’hören zusammen. Aber das wäre mit enormen technischen Problemen behaftet und ist kein Projekt fürs nächste oder übernächste Jahr.
Wie groß ist der Kanon der Opern, die Ihrer Meinung nach seebühnentauglich sind? Wann kommt die Wiederholungsschleife?
„Turandot“ ist schon eine Wiederholung, das lief hier 1979 schon einmal. Aber ich habe durchaus noch ein paar Stücke in petto. Interessanterweise ist noch nie eine „Traviata“ in Bregenz gelaufen.
Mit Musicals hätten Sie es auch im Vorverkauf leichter. 2003 gab es hier die „West Side Story“ – ein Tabubruch für Sie?
Keineswegs, Bernsteins „West Side Story“ ist eine Oper. Und auch Jerome David Kerns „Show Boat“ spielt in meinen Gedanken noch eine Rolle, ein tolles Stück. Es gibt einen hervorragenden Entwurf dazu vom leider verstorbenen Bühnenbildner Johan Engels – wer weiß, ob wir ihn nicht doch noch verwirklichen können. Und wer weiß, ob wir nicht irgendwann einmal auch ein Stück für den See ganz neu schreiben lassen, aber dann ganz sicher kein Musical!
Sie sind als Wienerin von Graz nach Bregenz gezogen; das ist für Österreich ungefähr so spektakulär wie ein Intendantenwechsel von Berlin nach Stuttgart.
Ach, das ist bei uns ein Wiener Problem. Für Wiener gibt es eigentlich nichts anderes auf der Welt als Wien, und Bregenz liegt hinter ganz vielen Bergen im am weitesten entfernten Zipfel und ist bewohnt von Menschen, die als überdurchschnittlich strebsam und verschlossen gelten.
Das kommt einem Stuttgarter tatsächlich alles sehr bekannt vor.
Aber in Wirklichkeit liegt Bregenz ganz herrlich am Bodensee, ist weit geöffnet zu den Nachbarn, zu anderen Kulturen. Ich erlebe hier eine große Offenheit und Neugier, die mich bereits in meinem ersten Amtsjahr als Energie stark erfüllt haben.