In der Vox-Serie „Milk & Honey“ prostituieren sich vier Freunde in der ostdeutschen Provinz zur Freude aller Beteiligten. Das ist zwar moralisch bedenklich, aber sehr unterhaltsam.

Stuttgart - Ach, wäre Deutschlands Provinz doch so nett und adrett, wie sie das Privatfernsehen gern herbeifantasiert. Die Landschaften lieblich, die Ortschaften heil: Weder Strukturmangel noch Verfall noch Ausländerhass und Nazis stören das ruhige Miteinander bildschöner Menschen, die Empathie auch für Migranten hegen. Flösse nur annähernd so viel Milch und Honig durch den echten Landkreis Neustrelitz wie in der Vox-Serie „Milk & Honey“ – AfD und NPD hätten dort bei der Bundestagswahl nicht ein Viertel der Stimmen geholt.

 

Andererseits existiert das Örtchen Blankenfeld in der Realität ebenso wenig wie Johnny, Jakob, Michi und Arian, die das chronische Minus ihrer Kontostände mit einer pikanten Idee ausgleichen: Als Johnny nach drei Jahren gescheiterter Karriereplanung aus China zurückkehrt, ist nicht nur sein Vater tot, sondern auch noch dessen Imkerei pleite. Der letzte Mitarbeiter sieht sich daher zum Nebenverdienst gezwungen und beglückt einsame Herzen der brandenburgischen Pampa mit allem, was unter seinem Sixpack schwillt.

Bezahlte Schäferstündchen

Wie im israelischen Original „Johnny und die Ritter von Galiläa“ ist die deutsche Johnny-Kopie zwar kurz pikiert. Da Geld aber knapp ist und Johnnys Schwester das Jugendheim droht, erweitert er die bezahlten Schäferstündchen seines Angestellten zum Escort-Service mit mehr physischem Einsatz, als in der Begleitbranche üblich. Unter dem Namen Milk & Honey verkaufen die vier Laien ihre Körper fortan meistbietend in der regionalen Damenwelt, was natürlich drollige Verwicklungen, vor allem aber primetimetaugliche Softpornografie mit sich bringt.

Aus emanzipatorischer Sicht könnte man da theoretisch sagen: Na, endlich lassen sich die Herren der Schöpfung mal vom angeblich schwachen Geschlecht sexuell ausbeuten! In der Serienpraxis jedoch ist das Konzept gut gelaunter Prostitution schon deshalb bedenklich, weil die Hobbyhuren abgesehen vom Quotenstoffel Michi drahtige Posterboys ohne Mackerallüren sind, die mit selbstloser Hingabe gut situierte Land-Beautys vernaschen. Sexarbeit kann so schön sein!

Knackärsche und Katalogbrüste

Dummerweise warten jenseits der Vox-Kamera auch die Problemfelder sexuelle Ausbeutung und Sexismus. Doch mit so viel Ethik muss sich Regisseur Peter Gersina anders als bei seiner feinsinnig heiteren Anwaltsserie „Danni Lowinski“ bei Sat 1 nicht abmühen. Headautor Klaus Wolfertstetter hat ihm schließlich eine Milieustudie verfasst, der das Milieu zugunsten einstudierter Bettakrobatik herzlich egal ist. Hauptsache, die Knackärsche und Katalogbrüste wackeln im Takt wechselseitiger Befriedigung.

Soweit die Moral. Von der Geschicht’ allerdings ist bei dem Sender, dessen Kinderkrebsstationsserie „Club der roten Bänder“ zuletzt zwischen Anspruch und Entertainment sehr beachtliches Neuland betreten hat, auch Gutes zu berichten. Ausgerechnet die schönsten Hochglanzmodels im Cast machen ihre Sache nämlich vergleichsweise gut. Artjom Gilz, Nik Xhelilaj und Deniz Arora verleihen dem illusorisch leichtfüßigen Berufswechsel von Johnny, Arian und Jakob spielerisch Tiefgang. Dem Konflikt mit ihrem nervig augenrollenden Mann Michi (Nils Dörgeloh) verleiht Anne Weinknecht als wehrhafte Andrea wahrhaftige Intensität. Und sofern die offenherzigen Jungs nicht grad horizontal im Einsatz sind, klingen ihre Debatten übers sittlich Zulässige plausibel.

Hipstergirls in der Provinz

Diese individuelle Leichtigkeit im gesellschaftlich Schweren entwickelt sich fast schon zur Kernkompetenz der RTL-Tochter Vox. Wer sich um Realismus und Authentizität nicht zwingend schert, wer in der ostdeutschen Provinz zudem ausnahmslos urbane Hipstergirls wie Marlene Tancik als Johnnys Schwester Charly erwartet, wird vom Zehnteiler angemessen unterhalten. Wer soziokulturelle Problemlagen ungern verharmlost sieht, bleibt besser bei Reportagen über die echte, meist knallharte Sexarbeit. Spaß haben bei der nämlich selten mal beide.

Ausstrahlung: Vox, ab 14.11. jeweils Mittwochs zwei Folgen