Am Freitag werden die Olympischen Spiele ­eröffnet: Die deutsche Mannschaft ist zuversichtlich zu den Sommerspielen nach London gereist. Es kann viele Medaillen geben – also wenn alles nach Wunsch läuft.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

London - Das Zentrum des deutschen Sports in London ist eine Baustelle. Auf allen Stockwerken im Museum of London Docklands wird noch gewerkelt. Vor dem Eingang stehen große Laster und liefern Ausrüstung an. Unzählige Helfer wuseln in den verwinkelten Gängen mit den niedrigen Decken umher, um den deutschen Sport in Szene zu setzen. Hier will man sich mit seinen erfolgreichen Sportlern schmücken: In dem alten Backsteingebäude am Hafen ist nicht nur ein Museum untergebracht, sondern in den olympischen Tagen schlägt hier das Herz der deutschen Olympiamannschaft. Das Haus an den Docks ist die deutsche Exklave in London, hier ist das Deutsche Haus beheimatet – und hier will der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) von Sonntag an im Idealfall jeden Tag seine Protagonisten des Vortages präsentieren.

 

Es soll besser werden als vor vier Jahren, Platz fünf im Medaillenspiegel ist das Ziel – den hatte man auch damals, aber ein bisschen mehr an Zählbarem soll es sein für die 392 Edelmetallsammler aus Deutschland. Das ist zumindest die Hoffnung der Funktionäre. Peking 2008 war – auf vergleichsweise durchaus hohem Niveau – der Tiefpunkt der sportlichen Bilanz der vergangenen Jahrzehnte.

Klares Ziel: die Leichtathleten sollen acht Medaillen holen

Seitdem ist im deutschen Sport viel verändert worden, es wurde ein hoher Aufwand betrieben, um eine Kehrtwende zu vollziehen. Und bei aller Kritik am Sportfördersystem, die etwa die Fechterin Imke Duplitzer formuliert hat, und den undurchsichtigen Fördermethoden hat sich seit den Tagen von China tatsächlich etwas getan. Inwieweit sich das dann auch in Edelmetall niederschlägt? Wer weiß das schon. Zumindest die Zielvorgaben, die der Dachverband DOSB mit den Sportverbänden ausgehandelt hat, sind teils deftig, wie Recherchen der „WAZ“ ergeben haben.

So sollen etwa die Leichtathleten acht Medaillen holen, eine davon möge doch bitte in Gold sein. Von den Schwimmern werden sechs Podiumsplätze erwartet, davon zwei ganz oben. Die beiden Hockeyteams sollen jeweils ebenfalls Edelmetall gewinnen, einmal zumindest Gold. Für die Reiter haben die Funktionäre fünf Medaillen eingeplant, zweimal Gold. Und so weiter. Laut Prognosen könnte Deutschland 54 Plaketten gewinnen – wobei es mit den Prognosen eben so eine Sache ist. Niemand kann Medaillen garantieren. „Ich unterschreibe so eine Zielvereinbarung auch brav in dem Wissen, dass uns so ein Turnier jederzeit um die Ohren fliegen kann. Es ist ein unfassbar schmaler Grat“, hat stellvertretend für viele der Hockey-Bundestrainer Markus Weise gegenüber der „FAZ“ gesagt.

Erst sind die Schwimmer dran

Die erste Woche in London steht im Zeichen der Schwimmer – und im Zeichen des Duells der Superstars Michael Phelps und Ryan Lochte. Doch auch das deutsche Team um Paul Biedermann und Doppelolympiasiegerin Britta Steffen, die 2008 die einzigen Schwimmmedaillen gewann, ist optimistisch. „Britta Steffen traue ich sowohl über 50 Meter Freistil als auch über 100 Meter Freistil eine Einzelmedaille zu“, sagt der Sportdirektor Lutz Buschkow. Angeführt von Steffen als Startschwimmerin habe zudem auch die 4x100-Meter-Freistilstaffel gleich zum Auftakt der Schwimmentscheidungen eine Medaillenchance. Der Weltrekordler Biedermann ist morgen über 400 Meter Freistil ein möglicher Medaillenkandidat und Mitfavorit über die 200 Meter Freistil – wobei dort die Konkurrenz (auch nach dem Verzicht von Phelps) groß ist. Weitere Medaillenchancen sieht Buschkow für Christian vom Lehn als WM-Dritten über 200 Meter Brust, Jan Philip Glania über 200 Meter Rücken und die Freistilstaffel der Männer.

Die deutschen Medaillenhoffnungen

Die Leichtathleten hoffen auf einen goldenen Auftakt. Wenn am 3. August die Wettbewerbe beginnen, schickt sich der Kugelstoßer David Storl an, nach dem WM- und EM-Titel auch olympisches Gold zu gewinnen. Die Konkurrenz aus den USA hat dieses Jahr schon starke Leistungen gezeigt, doch der 21-Jährige gilt als Medaillenbank. Gleiches gilt für den Diskuswerfer Robert Harting. Der 27-Jährige ist in 28 Wettkämpfen ungeschlagen und Favorit. Ebenfalls mit besten Chancen werden die Diskuswerferin Nadine Müller, die Hammerwerferin Betty Heidler und die Speerwerferin Christina Obergföll an den Start gehen. Mögliche Medaillenkandidaten sind auch die neue deutsche Rekordhalterin im Stabhochsprung, Silke Spiegelburg, Spartenkollege Malte Mohr, die Weitspringer Christian Reif und Sebastian Bayer oder Zehnkämpfer Pascal Behrenbruch. Die Sprintstaffel der Frauen mit der Mannheimerin Verena Sailer hat Außenseiterchancen. In Peking holten die deutschen Leichtathleten eine Medaille, 2004 waren es zwei.

Und liegt das Glück des deutschen Sports auf dem Rücken der Pferde? Vielleicht. Die Reiter sind eine konstante Größe. Der Vielseitigkeitsreiter Michael Jung aus Horb gilt als großer Favorit, Gleiches lässt sich für die Mannschaft sagen, auch im Dressurreiten (trotz des Ausfalls von Matthias Rath mit Totilas) und im Springreiten haben die Deutschen Chancen.

Acht ist Trumpf. Das gilt beim Rudern. Das Flaggschiff der deutschen Flotte gilt vor dem morgigen Vorlauf als Favorit auf Gold am Mittwoch. Der Achter ist seit 34 Rennen ungeschlagen, war dreimal in Folge Weltmeister. 2008 waren die Ruderer erstmals seit 52 Jahren ohne Goldmedaille geblieben. Ruderpräsident Siegfried Kaidel forderte damals: „Ich möchte in London viermal unsere Nationalhymne hören.“ Der DRV ist in allen 14 Bootsklassen vertreten, neben dem Achter gelten beide Doppelvierer und Doppelzweier als Anwärter für Edelmetall, Gleiches gilt für den Männer- und Frauenvierer. Im Einer will Marcel Hacker Gold gewinnen.

Die Kanuten wollen neun Mal zuschlagen

Eine Armada sind traditionell die deutschen Kanuten, die praktisch in allen Wettbewerben auf dem Dorney Lake zu den Favoriten gehören. „Wir wollen mindestens neun Medaillen“, sagt der Präsident des Deutschen Kanu-Verbandes, Thomas Konietzko. Das klingt vermessen, ist es aber nicht. Es ist realistisch. Bei der EM holte das Team um Katrin Wagner-Augustin und Max Hoff in den zwölf olympischen Klassen viermal Gold und dreimal Silber. Die Slalomkanuten wollen dazu in vier Entscheidungen zwei Medaillen gewinnen.

Fabian Hambüchen hat mit Olympia noch eine Rechnung offen. Der Turner war 2008 Topfavorit am Reck und wurde zu seiner eigenen Enttäuschung Dritter. Diesmal will Hambüchen Gold gewinnen. Er ist die Frontfigur einer deutschen Riege, die Experten für die beste halten, die es jemals gab. Im Team ist die erste Medaille seit 1988 hinter den favorisierten Mannschaften aus Japan und China nicht ausgeschlossen, in den Einzeln haben neben Hambüchen noch Philipp Boy im Mehrkampf und Marcel Nguyen am Barren Chancen. Auf ihre 18. Medaille bei einem Großereignis hofft Oksana Chusovitina am Sprung.

Die Medaillen liegen auf der Straße. Und auf der Bahn. Das gilt zumindest für die Radsportler. Im Straßenrennen morgen ist André Greipel Mitfavorit. Gleiches gilt für Tony Martin im Zeitfahren am Mittwoch wie auch für Judith Arndt in beiden Wettbewerben. Im Velodrome wollen die Bahnfahrer den Supermächten Großbritannien und Australien Paroli bieten. Im Teamsprint der Männer ist der Dreier favorisiert, bei den Frauen sind Miriam Welte und Kristina Vogel amtierende Weltmeister. Vogel startet auch im Sprint und Keirin.

Manfred Kaspar ist die Zählerei leid

Im Tischtennis hat Deutschland mehrere Chancen. Das Team ist Vizeweltmeister und Olympiazweiter. Bei der Auslosung hatte das Team allerdings Pech, es wird bei einem normalen Verlauf im Halbfinale auf Topfavorit China treffen. Im Einzel hatten Dimitrij Ovtcharov und der WM-Dritte Timo Boll mehr Glück und haben auf dem Papier beide Chancen auf den Einzug in das Halbfinale. Dort würden dann wohl Weltmeister Zhang Jike auf Ovtcharov und der WM-Zweite Wang Hao auf Boll warten.

Die Fechter wollen sich nicht an den Prognosen beteiligen. „Ich bin die Medaillenzählerei leid“, sagt der Sportdirektor Manfred Kaspar. Hoffnungen machen die Teams und im Einzel Peter Joppich, Olympiasieger Benjamin Kleibrink (Florett) sowie der Weltranglistenersten Nicolas Limbach (Säbel), der am Sonntag dran ist.

Dazu kommen weitere Medaillenhoffnungen wie etwa der Sportschütze Christian Reitz mit der Schnellfeuerpistole, die Tennisspielerinnen um Angelique Kerber, die Triathleten mit Jan Frodeno, der Ringer Frank Stäbler aus Musberg, Juliane Schenk im Badminton, die Judoka Ole Bischof und Andreas Tölzer, Fünfkämpferin Lena Schöneborn oder auch die Taekwondo Helena Fromm und Sümeyye Manz.

Aber Olympia schreibt ja bekanntlich seine eigenen Geschichten, von tragischem Scheitern und überraschenden Siegen. Das große Gefühlskino beginnt morgen.