Die Welthauptstadt der Edelsteine registriert, dass Diamanten immer begehrter werden – bei Investoren und Dieben. Die Händler der begehrten Steine gehen damit allerdings erstaunlich lässig um.

Antwerpen - In der Synagoge ist es ganz still. Das geschäftige Treiben draußen auf der Straße verstummt, als die schwere Tür ins Schloss fällt. Der orthodoxe Jude mit dem Schtrajml, einem pelzverbrämten Hut, auf dem Kopf tippt für den Besucher den Zugangscode ein und stellt die Einkaufstüten neben dem Lesepult ab, als sein Handy klingelt. Er sagt, er komme gern her, wenn nichts los ist, um ein paar Minuten abzuschalten. Das war es schon. Mehr will der junge Mann nicht über sich erzählen. Er wollte dem interessierten Gast nur das wunderschöne, fast hundert Jahre alte Gotteshaus mit seinem großen Leuchter und dem prächtigen Thoraschrein nicht vorenthalten. Diskretion, die sie hier mit der Muttermilch einsaugen, ist alles im Diamantengeschäft.

 

Mit den Juden hat in Antwerpen alles angefangen. Weil ihnen im Mittelalter die Handwerksberufe verboten waren, verlegten sie sich auf den Handel – unter anderem mit Diamanten. In keiner anderen Stadt Europas gehört die jüdische Kultur bis heute so selbstverständlich zum Stadtbild. Rund um den „Eisenbahnkathedrale“ genannten Bahnhof verschmilzt sie mit dem brillanten Business. Und es sind ihre Bräuche, die den Ton in der Branche angeben. Die vier Edelsteinbörsen der Stadt sind am Sabbat und an jüdischen Feiertagen geschlossen, zwei beherbergen ein koscheres Restaurant. Und zwei Diamantenhändler, egal ob in Antwerpen, New York, Dubai oder Shanghai, besiegeln ein Geschäft stets mit den Worten „Mazel U’bracha“ – Glück und Segen.



In der Hoveniersstraat, entlang derer die Synagoge eingezwängt zwischen grauen Zweckbauten steht, ist das besonders oft zu hören. Hier schlägt das Herz des globalen Diamanthandels. 80 Prozent aller Rohdiamanten weltweit passieren diese Straße, bei geschliffenen Steinen ist es die Hälfte. 34 000 Menschen leben vom Geschäft mit den Steinen. Hinter den schmucklosen Fassaden ohne jeden Glamour machen sie einen Jahresumsatz von 51,9 Milliarden Euro. Jeden Tag kommen und gehen Diamanten im Wert von 200 Millionen. Nur wo sind sie? Hier glänzt nichts.

Die Fenster im großen Saal der „Beurs voor Diamanthandel“ richten sich nach Norden. Je weniger Sonnenlicht hereinfällt, umso besser lassen sich Farbe und Reinheit der Steine überprüfen. Einst wurden die Diamantenbörsen geschaffen, damit die teure Ware nicht unter den Augen aller in der Bahnhofskneipe den Besitzer wechseln musste. Nun wandelt sich der sichere Ort für Geschäfte zum sozialen Treffpunkt. Seit praktisch jeder Händler sein eigenes Büro hat, finden weniger Abschlüsse tatsächlich hier im Saal statt.

Am Schwarzen Brett stehen die neuesten Informationen. Wer hat die Mitgliedschaft und damit den Zugang zur Diamantbörse beantragt? Auf den Karteikarten stehen viele Inder, die in Antwerpen mittlerweile mehr als die Hälfte der Händler stellen. Daneben hängen vielleicht hundert gelbe und blaue Zettel mit den Namen, Adressen und Missetaten derer, die von der globalen Glitzergemeinde verstoßen worden sind. „Vertrauen ist alles in diesem Geschäft“, sagt Barbara Descheemaecker vom Antwerp World Diamond Center, dem Dachverband der Branche, „wenn du es missbrauchst, bist du für immer draußen.“

Nicht nur, dass die sündteuren Steine nur per Handschlag und mit dem „Mazel“ den Besitzer wechseln. In einem der Schaukästen wird sogar annonciert, dass Steine auf der Straße gefunden oder verloren worden sind. Denn die Diamanten stecken meist in einem Umschlag bei den Händlern in der Hosentasche. „So spazieren sie herum“, berichtet Descheemaecker weiter, „und wenn sie Hausschlüssel oder Geldbeutel hervorholen, fallen ab und zu Diamanten heraus.“

700 Videokameras verhindern, dass jemand sie unbemerkt einsteckt. „Die Straße ist besser überwacht als das Nato-Hauptquartier in Brüssel“, erzählt die Frau vom Dachverband: „Setzt jemand nur einen Fuß in die Straße, haben wir schon ein perfektes 3-D-Bild von ihm.“ Polizeiautos haben eigene Kameras auf dem Dach. Eine Wache kontrolliert an der Einfahrt zum Diamantenviertel die Werttransporte. Für jeden müssen die Poller heruntergefahren werden. Das Viertel wurde abgesperrt, nachdem in palästinensischem Namen 1981 eine Autobombe vor der Synagoge gezündet worden war. Drei Menschen wurden in den Tod gerissen, Dutzende verletzt.



Das Mehr an Sicherheit nimmt die Diamantenbranche seither gern mit. „Wir“, sagt Caroline de Wolf, die Sprecherin des Diamantenverbands, „tun für die Sicherheit wirklich alles, was wir können.“

Umso fassungsloser hat sie die Tat vom 19. Februar zurückgelassen, die noch immer Stadtgespräch, ach was, Weltgespräch ist. Auch aus Amerika, Asien und Australien rücken dieser Tage Fernsehteams in die belgische Hafenstadt an der Schelde ein, um über den Diamantencoup zu berichten. „Mit fast militärischer Präzision“, wie Caroline de Wolf das nennt, durchbrachen acht als Polizisten verkleidete Männer am Brüsseler Flughafen die Absperrung zum Vorfeld, wo just in diesem Augenblick Diamanten aus Antwerpen in eine Maschine nach Zürich geladen wurden: „Sie müssen genau von diesem einen schwachen Moment gewusst haben.“ Steine aus der Hoveniersstraat im Wert von 37 Millionen Euro wurden gestohlen.

Am Tag selbst waren die lauten Klagen unüberhörbar, jetzt ist die Botschaft eine ganz andere. „Hauptsache, es ist niemand zu Schaden gekommen“, lautet nun die offizielle Sprachregelung des Diamantenverbands. Und außerdem sei ja nicht einmal ein Viertel des Tagesumsatzes verloren, den zudem die Versicherung ersetze, berichtet Frau de Wolf. Auf die Frage, ob die neue weltweite Aufmerksamkeit für Antwerpen die 37 Millionen Euro nicht locker wettmacht, lacht sie nur verlegen.

Der Ruf der Welthauptstadt der Diamanten hat nicht gelitten – im Gegenteil. Das unbedingte Begehren, das aus der Wahnsinnstat eben auch spricht, festigt die Position des Diamanten als Luxusgut Nummer eins. Wofür sonst würde ein so filmreifes Drehbuch geschrieben, dass schon der Vergleich mit den Edelgaunern im Hollywoodstreifen „Ocean’s Eleven“ die Runde macht? Doch wohl nur für das in Jahrmillionen entstandene härteste Material auf diesem Planeten, das geschliffen leuchtet und funkelt und nicht wenige Frauen mitten ins Herz zu treffen vermag.



Unter dem Mikroskop im Labor des Dachverbands ist es zu sehen. Acht Herzen sind es sogar, die als Reflexionen im Auge des Betrachters ankommen. Wird diese bestimmte Brillantform umgedreht, sind die passenden Amorpfeile dazu zu sehen. Es ist einer von zahlreichen Tests, die in Antwerpen durchgeführt werden, um den Wert eines Steins zu bestimmen. Wie hoch er wirklich liegt, erfahren die Mitarbeiter zu ihrem eigenen Schutz nicht. Sie kennen auch die Namen der Eigentümer nicht, damit die es nicht mit Bestechung versuchen können. Die kleinen Plastikschalen mit je einem Edelstein darin sind nur mit anonymen Barcodes versehen. Von einer Station geht es zur nächsten. Und immer wieder wird gezählt, ob auch keiner der Mitarbeiter einen Diamanten hat mitgehen lassen. Sie bewerten sie nach den vier englischen Cs: Carat, Clarity, Colour, Cut – zu Deutsch Gewicht, Klarheit, Farbe und Schliff.

Den bekommen sie bei Johan Olieslagers. In seiner Werkstatt im sechsten Stock, von der er auf die Hoveniersstraat hinabblickt, wird aus matten Kieseln das Funkeln. Der 49-Jährige wählt größere Worte: „Ich erwecke den Stein zum Leben.“ Etwa drei Arbeitstage braucht er an der ebenfalls diamantbesetzten Schleifscheibe, um aus einem Vierkaräter im Originalzustand einen einkarätigen Brillanten mit seinen 57 Einzelflächen zu kreieren.

Die Rohware wird von Diamanthändlern vorbeigebracht. Oder Olieslagers reist selbst nach Sierra Leone, um schöne Steine direkt an der Quelle zu besorgen. Das verspricht nicht nur Abenteuer, sondern ohne Zwischenhändler auch mehr Profit. Vier oder fünf Mal im Jahr macht er den Afrikatrip. Um Steine zurück nach Antwerpen zu bringen, brauchen sie seit dem Jahr 2000 ein sogenanntes Kimberley-Zertifikat. Das soll garantieren, dass es sich nicht um „Blutdiamanten“ handelt, deren Kauf Bluttaten finanziert. In der Hoveniersstraat kontrolliert der belgische Zoll ganz genau.

Johan Olieslagers gehört zu einer aussterbenden Spezies. Von fast 40 000 Diamantschleifern in den Siebzigern sind gerade einmal 834 übrig geblieben. Das Geschäft wandert nach China und Indien ab. Dass Großvater und Vater ihren Beruf weitervererben, wie das bei Olieslagers war, ist nicht mehr der Normalfall. „Ich habe als kleiner Junge im Hinterhof unserer Werkstatt den Diamantstaub hinauskehren müssen und ab und zu ein größeres Diamantstück gefunden – dafür gab es dann Süßigkeiten.“ Immerhin: bei seinen Zwillingen spürt er eine ähnliche Begeisterung.

In Antwerpen wird es wohl auch für sie noch Arbeit geben. Der „Antwerp Cut“ gilt immer noch als der beste und teuerste. „Diamanten sind in der Finanzkrise zum Investitionsobjekt geworden“, sagt Caroline de Wolf, „investiert wird aber nur in makellose Steine.“ Steine aus Antwerpen – entsprechend steigt der Preis. Die vergangenen beiden Jahre waren die erfolgreichsten in der Geschichte der Branche. Das Diamantenfieber steigt weiter.