Es gibt keinen Unterschied zwischen Männern und Hunden, Tomaten und Äpfeln. Sie alle seien Kunst. Mit solchen Thesen hat die Documenta-Chefin Cariolyn Christof-Bakargiev Unruhe gestiftet.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Kassel - Es gehört Mut dazu, es sich auf einen Schlag mit der versammelten Weltpresse zu verscherzen. Mehr als tausend Journalisten kamen zur Pressekonferenz der Documenta – und schlechter hätte sich Carolyn Christov-Bakargiev kaum präsentieren könne. Statt den Kritikern Lust auf den Rundgang zu machen, las sie – natürlich auf Englisch – eine „Lecture“ vor, einen Vortrag, der es in sich hatte. Von der Erforschung von Mikrogeschichten war da die Rede und von „propositionaler und skeptischer Ambivalenz“, von Orten des Übergangs und des Durchgangs und vielen anderen Dingen, die eigentlich niemand wissen wollte. Als schließlich doch ein ausländischer Journalist eine Frage stellte, sagte sie nur: „Vielen Dank, dass sie diese Frage von Ihrem IPhone abgelesen haben“. Aber sie habe bereits alles gesagt.

 

Die Dame scheint Haare auf den Zähnen zu haben. Manche halten Christov-Bakargiev auch einfach nur für verrückt, weil sie behauptet, dass es keinen grundlegenden Unterschied zwischen Frauen und Hunden oder zwischen Männern und Hunden gibt. Und weil sie Tomaten und Äpfel für Kunst hält. Aber das ist eher Ausdruck einer radikalen Antihaltung. Sie ist bekennende Feministin und wendet sich gegen ein Weltbild, das den Menschen zum Maß aller Dinge erklärt. Sie wendet sich auch gegen allzu klare Thesen, Konzepte und Kategorien und propagiert das Zögern und Zweifeln. Carolyn Christov-Bakargiev will Widerstand leisten gegen den „Wissenskapitalismus“ und dagegen, wie in der digitalen Welt Macht ausgeübt wird durch die Beherrschung des Wissens. Das ist vernünftig und zukunftsweisend, auch wenn es sich bei Christov-Bakargiev immer recht sperrig anhört: „Die Documenta wird von einer ganzheitlichen und nichtlogozentristischen Vision angetrieben“.

Christov-Bakargiev versteigt sich gern in Substantiv-geschwängerte Phrasen, die pompös klingen – aber nicht unbedingt aussagekräftig sind, Sätze wie „Die Choreografie der Documenta ist unharmonisch und frenetisch“. Dass man sie häufig nicht versteht, scheint sie nicht zu scheren. Sie hat ein festes Denkmodell, das sie reproduziert. Sie bewegt sich in ihrem Kosmos, ihrem System – und scheint ihr Gegenüber dabei nicht wirklich wahrzunehmen. So las sie auf der Frankfurter Buchmesse einen Text von Alexander Kluge nicht nur rasend schnell vor, sondern auch noch in Englisch.

Sie mag keine Konkurrenz in unmittelbarer Nähe

Es scheint Christov-Bakargiev auch nicht zu stören, dass sie selbst gegen die von ihr propagierte Freiheit und Offenheit verstößt und mitunter diktatorisch wirkt. So wollte sie den Bildhauer Stephan Balkenhol dazu bringen, seine Skulptur in einem Kirchturm in Kassel zu entfernen. Die männliche Figur störte sie in ihrem Feldzug gegen den Anthropozentrismus.

Carolyn Christov-Bakargiev, die von ihren Mitarbeitern nur CCB genannt wird, tritt mit viel Selbstbewusstsein auf – und hat ihren Hauptkatalog „Buch der Bücher“ genannt, und das nicht etwa ironisch. Sie verkörpert den Typus der allmächtigen Kuratorin, die Künstlerinnen und Künstler engagiert, um ihre eigene Weltsicht, ihre Kritik an der Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen und zu spiegeln, was ihr wichtig ist.

Mehr als hundert Werke hat CCB in Auftrag gegeben. Viele Künstler sind „Diaspora-Künstler“, wie sie es nennt, Menschen ohne Wurzeln, Menschen wie sie: Ihr Vater, ein bulgarischer Arzt, ist aus seiner Heimat geflohen. Nach der Scheidung der Eltern lebte Christov-Bakargiev mit ihrer Mutter, einer italienischen Archäologin, in Washington. Christov-Bakargiev hat in Pisa studiert und in Rom als Kunstkritikerin gearbeitet, bevor sie in New York Kuratorin wurde. Sie war am P.S.1, einem Ableger des Museums of Modern Art in New York tätig und hat 2008 sehr erfolgreich die Sidney Biennale geleitet.

Christov-Bakargiev ist 54, ist mit einem italienischen Künstler verheiratet, hat zwei Töchter – und einen Hund: den Malteser Darsi. Von ihm hat sie einiges gelernt, was mancher belächeln mag, aber in der Konsequenz durchaus richtig ist: „Wir Menschen müssen lernen, weniger das Zentrum von allem zu sein“, sagt Christov-Bakargiev – weshalb Darsi bei ihren Vorträgen selbstverständlich auf der Bühne sitzen darf.