Vor 60 Jahren hat die erste Volksabstimmung im Südwesten stattgefunden. Dafür riskierte Kurt-Georg Kiesinger damals seine Karriere.  

Stuttgart - Als sich die Politiker im Südwesten gegenseitig blockierten, schlug die Stunde des Bundestages und vor allem des CDU-Bundestagsabgeordneten Kurt-Georg Kiesinger, der als Agent des Tübinger Staatspräsidenten Gebhard Müller auftrat. Schon im März 1950 hatte die FDP einen Gesetzentwurf eingebracht, der den Südweststaat praktisch vorweggenommen hätte, weil er alle Stimmen addiert und so den Fusionsplänen eine solide Mehrheit garantiert hätte. Die Südbadener waren wütend und konterten mit einem Gegenentwurf, dem sich die große Mehrheit der Unionsfraktion anschloss.

 

Kiesinger stand also gegen große Teile seiner Partei und riskierte seine Karriere, denn er war als Außenminister im Gespräch. Ungeachtet dessen brachte er den Entwurf für ein Neugliederungsgesetz ein, das in seinem Kern vorsah, das Abstimmungsgebiet in vier Bezirke aufzuteilen. Der Südweststaat war gebildet, wenn sich wenigstens drei dieser Bezirke mehrheitlich dafür aussprachen.

Im federführenden Ausschuss war Kiesinger der einzige CDU-Abgeordnete, der für den Entwurf stimmte. Das zeigte das ganze Ausmaß seiner Isolation. Nur mit Hilfe von FDP und SPD kam das Gesetz durch die erste Lesung. Am Vorabend der zweiten Lesung griffen die Gegner des Südweststaates zu massiver Obstruktion. Adenauer hatte mitteilen lassen, das Gesetz müsse von der Tagesordnung abgesetzt werden. Die Fraktion folgte dem Kanzler, Kiesinger erlitt eine herbe Niederlage. Als der Antrag der Union auf Vertagung im Plenum scheiterte, kam es zum Eklat: Die meisten Abgeordneten der Union, der Bayernpartei und der Deutschen Partei verließen den Saal - das Parlament war beschlussunfähig.

Ein leichter Herzinfarkt

Als das Gesetz abermals aufgerufen wurde, blieben Kiesinger und die anderen württembergischen CDU-Abgeordneten hart. Wiederum gemeinsam mit der FDP und SPD stimmten sie die badischen Änderungsanträge nieder. Um vor der dritten Lesung doch noch eine Einigung herbeizuführen, lud Kiesinger das Führungspersonal der vier südwestdeutschen CDU-Landesverbände zu einer Konferenz nach Freudenstadt ein. Mehr als elf Stunden wurde ergebnislos verhandelt. Die Emotionen schlugen so hoch, dass Kiesinger einen leichten Herzanfall erlitt. Also ging die CDU ohne einheitliche Linie in die dritte Lesung. Es ging noch einmal hoch her, und wiederum sorgten FDP und SPD für die notwendige Mehrheit. Ohne den Kampf Kiesingers und der anderen württembergischen CDU-Politiker hätte die Union wohl kaum den Anspruch auf eine Führungsrolle in dem neugegründeten Baden-Württemberg erheben können, als dessen Landespartei sie sich lange verstand.

Doch die Badener gaben nicht so schnell auf. Sie klagten vor dem Bundesverfassungsgericht, das aber erst noch gebildet werden musste und sich dann als Erstes mit der Südweststaatsfrage zu befassen hatte. Gegen den ausdrücklichen Willen der Unionsfraktion war Kiesinger zum Rechtsvertreter der Mehrheit gewählt worden. In Karlsruhe trug er vor, der Bundestag habe hier aus eigener Souveränität entscheiden können, und tatsächlich wies das Gericht die badische Klage ab und erklärte die Aufteilung in vier Stimmbezirke für rechtens.

Baden-Württemberg war realität geworden

Bei der Abstimmung am 9. Dezember 1951 ergaben sich klare Mehrheiten für die Fusion, nur in Südbaden stimmten 62,2 Prozent für den Erhalt der alten Länder. Wegen der hohen südbadischen Wahlbeteiligung hatte es in ganz Baden eine knappe Mehrheit für die Wiederherstellung des alten Landes Baden gegeben. Die Altbadener akzeptierten denn auch das Ergebnis der Volksabstimmung nicht.

Auf Betreiben des Heimatbundes Badenerland eröffnete das Bundesverfassungsgericht 1956 eine Revisionschance insbesondere mit der Begründung: "Der Wille des badischen Volkes ist durch die Besonderheit der geschichtlich-politischen Entwicklung überspielt worden." Sofort leitete der Heimatbund ein Volksbegehren ein, das dann aber erst am 7. Juni 1970 zu einem Volksentscheid führte.

Das Ergebnis ernüchterte die Betreiber: für den Südweststaat stimmten 81,9 Prozent und lediglich 18,1 Prozent für Baden. Für die meisten Menschen war Baden-Württemberg längst Realität geworden .