Die EU will das europäische Verkehrsnetz mit mehr Geld als bisher fördern. Auch Projekte wie die ICE-Neubaustrecke Stuttgart-Ulm könnten davon profitieren. Die Magistrale Paris-Bratislava gehört allerdings nicht mehr zum Vokabular.

Brüssel - Für die Förderung der europäischen Verkehrsinfrastruktur gibt es einen neuen Rahmen. Der zuständige EU-Kommissar Siim Kallas wird am Donnerstag in der estnischen Hauptstadt Tallinn das sogenannte Kernnetz präsentieren, für das in den Jahren bis 2020 insgesamt 26 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Aus der entsprechenden Landkarte und einer Mitteilung der Brüsseler Behörde, die der Stuttgarter Zeitung am Mittwoch bereits vorlagen, geht hervor, dass die mit dem umstrittene Milliardenprojekt Stuttgart 21 verbundene ICE-Trasse nach Ulm auch künftig weiter eine Förderung aus Brüssel bekommen kann.

 

Das neue Kernnetz, auf das sich die EU-Staaten und das Europaparlament bereits verständigt haben, fasst die verschiedenen existierenden Korridore im Straßen-, Binnenschiff- und Schienenverkehr zusammen. So gehört beispielsweise die Schnellbahnstrecke Stuttgart-Ulm in der nun zum Jahresende auslaufenden Haushaltsperiode zur sogenannten „Magistrale Paris-Bratislava“ und wird mit insgesamt 114 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt gefördert. Die europäischen Institutionen haben stets ausdrücklich betont, dass der Bau des Stuttgarter Tiefbahnhofs nicht finanziell unterstützt wird.

Das nun definierte Kernnetz soll bis 2030 voll ausgebaut und an Engstellen erweitert sein. Dafür sind nach Berechnungen der EU-Kommission 250 Milliarden Euro nötig. „Dass schon das ursprünglich vorgeschlagene Budget von 32 Milliarden Euro dafür hinten und vorne nicht ausreicht, wird ausgeblendet“, kritisiert der Grünen-Europaabgeordnete Michael Cramer im Hinblick auf Abstriche, die von Mitgliedstaaten durchgesetzt wurden.

Diese Grafik zeigt die Strecken im EU-Verkehrswegeplan, die für eine EU-Förderung in Frage kommen. Klicken Sie auf die Grafik, um eine größere Ansicht zu bekommen.

Förderungswürdige Strecken im EU-Verkehrswegeplan

Die Brüsseler Behörde verweist dagegen darauf, dass es „einen großen Hebeleffekt“ gebe. Da der EU-Zuschuss für Bauprojekte bis zu 20 Prozent betragen kann, werde jeder Euro aus dem europäischen Etat fünf Euro an Investitionen auslösen. Es sei weniger Geld im Topf als für Projekte im Kernnetz gebraucht werde, sagt auch der SPD-Europaparlamentarier Ismail Ertug: „Das heißt aber im Umkehrschluss, dass sich die Mitgliedstaaten anstrengen werden, um Geld aus Brüssel zu bekommen.“

Die Kriterien für die Förderung sind streng

Dafür müssen strengere Kriterien als bisher erfüllt werden, wenn vom kommenden Frühjahr an Finanzierungsanträge eingereicht werden. So müssen bei Straße und Schiene bestimmte Lärmschutznormen eingehalten werden. Schnellbahntrassen werden nur noch mit einer einheitlichen Signalgebungs- und Sicherheitstechnik gefördert, damit ICE-Züge und TGVs alle Hochgeschwindigkeitsstrecken befahren können. Entlang von Autobahnen müssen quer durch Europa dieselben Standards bei der Tunnelsicherheit oder den Stromtankstellen für Elektroautos gelten.

Der größte Fortschritt ist für den SPD-Mann Ertug, der im Europaparlament für das Thema zuständig war, jedoch die größere Verbindlichkeit. Künftig werde es „eine Art Ratenzahlung“ geben, die vom Projektverlauf und vorab vereinbarten „Meilensteinen“ abhängt. Damit sollen beispielsweise Verzögerungen wie im Fall des nur langsam voranschreitenden Ausbaus der Rheintalstrecke verhindert werden.

Grundsätzlich will die EU-Kommission, die über die Anträge entscheidet, grenzüberschreitende Vorhaben vorrangig behandeln, wie ein Mitarbeiter der Behörde sagt. Das wiederum bestreitet der Grüne Cramer: „Zwar gibt der Gesetzestext diese Priorität theoretisch vor, doch die tatsächlichen Projektlisten sprechen eine andere Sprache.“ Es liegt jedoch ausschließlich bei den Mitgliedstaaten, welche Vorhaben sie zur Finanzierung vorschlagen. Man werde daher, so der Kommissionsexperte, auch Maßnahmen gegen Verkehrsengpässe in den Mitgliedstaaten mitfinanzieren, wenn sie auf einem der neun Korridore liegen.

Deutschland profitiert besonders

Aufgrund seiner geografischen Lage führen sechs dieser Korridore durch die Bundesrepublik – so etwa die Rhein-Donau-Verbindung, die Rhein-Alpen genannte Strecke, die Skandinavien-Mittelmeer-Route oder die über Berlin führende Nordsee-Baltikum-Trasse. Obwohl nicht jeder Förderantrag positiv beschieden werden wird, ist davon auszugehen, dass die Bundesrepublik überdurchschnittlich von der Förderung profitieren wird. Diese ist – trotz der Kürzung gegenüber dem Ursprungsvorschlag – nach Angaben aus Brüssel immer noch drei Mal so hoch wie im laufenden Haushalt. Dabei sind 11,4 von den 26 Milliarden Euro exklusiv für die ärmeren EU-Staaten Osteuropas vorbehalten, die den größten Nachholbedarf bei der öffentlichen Infrastruktur haben.

Welche Anträge Baden-Württembergs Landesregierung stellen will, war am Mittwoch nicht zu erfahren. Das Verkehrsministerium lehnte eine Stellungsnahme ab.


„Ein einheitlicher Binnenmarkt braucht, um voll funktionieren zu können, moderne und leistungsstarke Infrastrukturen“, schrieb die EU-Kommission, als sie ihren Etatentwurf für die Jahre 2014 bis 2020 präsentierte. Sie schlug deshalb ein Volumen von 50 Milliarden Euro für die „Connecting Europe Facility“ vor, den neuen EU-Infrastrukturfonds im europäischen Etat. Schlussendlich wurden es, da die Mitgliedstaaten, den Gesamtetat kürzten etwas über 30 Milliarden Euro – damit aber dennoch mehr als bisher. Kommende Woche will das Europaparlament die Haushaltsplanung bis 2020 endgültig verabschieden.


Der Verkehr ist der mit Abstand größte Posten. Für rund 200 Energieinfrastrukturprojekte, die EU-Kommissar Günther Oettingeram Montag vorstellte, stehen 5,8 Milliarden Euro an europäischen Mitteln zur Verfügung. In den Ausbau der Breitbandnetze wird rund eine Milliarde Euro fließen.