Nur zögerlich über mehrere Tage hinweg gibt der britische Premier David Cameron die finanziellen Verwicklungen seiner Familie in Zusammenhang mit den „Panama Papers“ preis. Außerdem soll er mit Steuergeld eine EU-Werbebroschüre finanziert haben.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Zum Wochenende ist der britische Premierminister David Cameron von allen Seiten unter Druck gekommen. Nach seinem Eingeständnis, von Offshore-Geschäften profitiert zu haben, verlangen Oppositions-Politiker nun „ein volles Geständnis“ von ihm. Auch erste Rufe nach seinem Rücktritt sind am Freitag laut geworden. Zugleich sieht sich Cameron einem Aufstand im eigenen, konservativen Lager gegenüber, weil er im Vorfeld des britischen EU-Referendums für über 9 Millionen Pfund Pro-EU Broschüren zur Verteilung an alle britischen Haushalte hat drucken lassen. Brexit-Befürworter unter den Tories sprechen von einer üblen „Propaganda“-Aktion. Einzelne Abgeordnete der Regierungspartei erwägen bereits, Cameron wegen der Broschüren die weitere Unterstützung im Unterhaus zu versagen. Cameron verfügt nur über eine Mehrheit von 12 Stimmen im Parlament.

 

Andere Tories haben dem Premier angedroht, dass er nach dem Referendumstag am 23.Juni von der Fraktion auf jeden Fall abgesetzt werde – egal, ob das Referendum ein Ja oder ein Nein zur EU erbringt. Befürworter weiterer EU-Mitgliedschaft betrachten es als äußerst ernst, dass Cameron jetzt in solche Schwierigkeiten geraten ist. Die Meinungsumfragen zum EU-Entscheid signalisieren ein offenes Rennen. Beide Seiten halten sich noch immer die Waage in diesem April. Premier Cameron aber ist der einzige wirklich prominente Politiker im Land, der sich zehn Wochen vor dem Referendum kontinuierlich für den „Verbleib in Europa“ einsetzt. Weder die pro-europäischen Minister seines Kabinetts noch Spitzenleute der Labour Party treten sonderlich engagiert oder wirklich wahrnehmbar gegen Brexit auf. Hingegen beteuert Cameron bei einem Auftritt nach dem anderen, Grossbritannien sei am besten in der EU aufgehoben.

Wie viel Vertrauen seine Landsleute diesen Erklärungen letztlich entgegen bringen, könnte entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis am 23.Juni haben. Eine Menge Vertrauen verloren habe der Regierungschef diese Woche jedenfalls im Zusammenhang mit den „Panama Papers“, urteilen jetzt Freunde und Gegner Camerons. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon erklärte am Freitag, Camerons Glaubwürdigkeit sei „komplett ruiniert“. Vier Tage brauchte der Premier immerhin, um einzugestehen, dass er aus den Offshore-Arrangements seines Vaters persönlichen Nutzen gezogen hatte. Zu Anfang der Woche nannte Cameron seine Geldanlage noch „eine private Angelegenheit“. Danach versicherte er in drei weiteren Presseerklärungen, er verfüge über keinerlei Offshore-Aktien. Auch seine Frau und seine Kinder profitieren nicht von Offshore-Verbindungen, beteuerte er. Am Donnerstagabend räumte David Cameron erstmals ein, dass er und seine Frau Samantha bis zum Januar 2010 im Besitz von Panama-Aktien im Wert von 31 500 Pfund gewesen waren – und zwar beim Offshore-Trust „Blairmore Holdings Inc“, den sein Vater Ian Anfang der 1980er-Jahren auf „steuerneutralem“ Territorium jenseits des Atlantik angesiedelt hatte.

Illegal waren diese Arrangements nicht. Aber die Opposition wirft Cameron „Heuchelei“ vor, da er sich in vergangenen Jahren für mehr Transparenz bei Offshore-Firmen und Steueroasen ausgesprochen hatte. Labours Schatten-Schatzkanzler John McDonnell forderte Cameron auf, nächste Woche vorm Unterhaus „eine volle Erklärung“ zu seinen Vermögensverhältnissen abzugeben. Der Vizechef der Labour Party, Tom Watson, fand, dass Cameron „möglicherweise abtreten“ müsse. Watson, der dem Finanzausschuss des Unterhauses angehört, hat eine parlamentarische Untersuchung aller Finanz-Investitionen Camerons beantragt. Tory-Politiker verteidigten den Premier in der Steuerfrage, griffen ihn teilweise aber äußerst scharf in der Frage der EU-Broschüren an.

Camerons eigener Justizminister Michael Gove erklärte, die für die Broschüren aufgewandten neun Millionen Pfund hätte man besser fürs nationale Gesundheitswesen ausgegeben. Die Broschüren seien ein Ärgernis. Sie stellten „einseitige Propaganda“ dar. Boris Johnson, der Bürgermeister Londons, warf Cameron vor, allen Sinn für Fairness verloren zu haben – wohl weil er wisse, dass er den Referendumsstreit verliere. Beide Lager, das der Ja- und das der Nein-Sager beim Referendum, dürfen jeweils nur sieben Millionen Pfund für ihre Kampagne ausgeben. Die Labour-Abgeordnete und Brexit-Befürworterin Gisela Stuart warf Cameron vor, „das Referendums-Resultat mit Geld aus der Staatskasse erkaufen zu wollen“. Die EU-Gegner halten Cameron auch vor, die Entscheidung zum Druck der Broschüren auf einer Sitzung getroffen zu haben, zu der nur Pro-EU-Minister – und nicht Leute wie Gove – geladen waren. Cameron selbst erklärte, er habe lediglich sicher stellen wollen, dass jedermann, der am 23. Juni zur Wahl gehe, auch genau wisse, „was die Regierung denkt“.