Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Dass Naturana stets mit der Zeit ging, erklärt aber nur teilweise, warum die Firma „den Kannibalismus in der Branche“, wie Höschele das nennt, überstanden hat. „Im Südwesten tummelten sich einst mehr als hundert Firmen auf dem Markt“, sagt er. Während der Wirtschaftswunderjahre, als in Gomaringen Vollbeschäftigung herrschte, öffnete Naturana an die 50 Nähstuben in den ländlicheren Regionen der Schwäbischen Alb und im Schwarzwald, wo sich Hausfrauen ein Zubrot verdienen konnten. In Gomaringen gab es kaum noch Familien, die nicht direkt oder indirekt im Dienste von Naturana standen. „Der erste Mittagsgong erging um 11.45 Uhr und galt den Frauen, damit sie das Mittagessen aufwärmen konnten. Punkt zwölf kam der Gongschlag für die Männer“, erzählt Höschele.

 

Eine weitere Erklärung, warum die Konkurrenz Naturana nicht viel anhaben konnte: „Wir decken alles ab“, sagt Höschele. Von Größe 70 A bis 115 E – bei H&M ist in der Regel bei Größe 85 D Schluss. Vom Still-BH bis zum Prothesen-BH. Vom SB-Warenhaus über den Fachhändler bis hin zu Amazon & Co. Den Trend zum Internethandel sieht Höschele allerdings mit gemischten Gefühlen. „Die gestandene Miederwarenverkäuferin, die eine Kundin abmessen kann und sofort weiß, welches Teil sie in die Kabine geben muss, sie ist selten geworden“, bedauert er. Das erkläre auch, warum heutzutage jede zweite Frau mit der falschen BH-Größe herumlaufe.

Bei dem überaus komplexen Textil zählt jede Naht

Denn die Wahl der richtigen Größe und des richtigen Textils entspricht bei dem „dreidimensionalen Produkt“ fast einer Wissenschaft, wenn man noch das Lungenvolumen oder die Asymmetrie der Brust berücksichtige, sagt Jutta Zmaila. Die Produktmanagerin weiß um die Bedeutung jeder einzelnen Naht des komplexen Textils, das aus 20 bis 60 Teilen bestehen kann und immer in Handarbeit genäht werden muss. Neulich habe sie erstmals einen 3-D-Scanner ausprobiert, der ihr umgehend ihre korrekte Größe ausspuckte und dazu ihr Lieblingsmodell empfahl. „Ich bin gespannt, welchen Einfluss die Technologie auf unsere Branche haben wird“, sagt sie. Vielleicht stärkt sie wieder den Fachhandel? Die ersten Scanner sind bereits in drei europäischen Großstädten im Einsatz.

Breit aufgestellt hat sich Naturana aber auch geografisch. Jutta Zmaila kennt die unterschiedlichen Vorlieben ihrer Kundinnen. „Die Französinnen mögen es tendenziell etwas knapper, transparenter, mit viel Spitze. Die Deutschen bevorzugen eher den gefütterten BH. In den arabischen Ländern darf die Ware farbenfreudig und verziert sein. In Israel werden eher schlichte, naturfarbene Modelle nachgefragt.“ Nicht vertreten ist Naturana auf dem asiatischen Markt, wo wiederum ganz eigene Ansprüche an die Unterwäsche gestellt werden. „Noch nicht“, sagt Höschele. „Wir kümmern uns gerade um eine Lizenz.“

Wie es bei Naturana weitergehen wird? Auf die nächste Pressekonferenz brauche nicht mehr so lang gewartet zu werden, sagt der Marketingleiter Peter Hack. Anvisiert sei der März des kommenden Jahres, wenn das Museum eröffnet.

Der Korsettersatz Natura war sozusagen eine Revolution

Der Firmengründer Dölker war offensichtlich ein Visionär und Mann der Tat. Als ihn der Stuttgarter Arzt Richard Hähl Anfang der 1920er Jahre auf Haltungsschäden und Schnürfurchen wegen der damaligen Miederwaren hinwies und auf eine Reform des Korsetts drang, machte sich Dölker sofort ans Werk. Sein Korsettersatz namens Natura kam einer kleinen Revolution gleich: Mittels zahlreicher Verschlüsse gewährte Natura „vollste Freiheit der Bewegung bei tadellosem Sitz und bestmöglicher Schonung der Organe“, wie eine Warentesterin damals sachlich anerkannte. Natura ging in Serie. Die Frauen in Baden-Württemberg konnten reihenweise aufatmen. Der erste Verkaufsschlager verlieh der Firma nicht nur ihren heutigen Namen, sondern auch ihr Leitmotiv, „hochwertige und bequeme Miederwaren“ herzustellen.

Noch bequemer wurde es in den dreißiger Jahren, als man dank Naturkautschuk auf Schnürungen verzichten konnte. Im Zweiten Weltkrieg ließ der Komfort jedoch stark nach. Mangels Stoffen ließ Naturana Büstenhalter aus Sonntagsschürzen und Tischdecken nähen.

Die von amerikanischen GIs importierten Pin-up-Girls krempelten das Frauenbild nach dem Krieg dann komplett um. Die BHs verliefen nach vorne hin spitz. Die Farbe Lachsrosa dominierte. In den 60ern wurde die Miedermode noch elastischer und leichter dank der Einführung von Elastan, einer dehnbaren Chemiefaser. Anfang der 70er Jahre trumpfte Naturana mit seinem Modell Star auf. Der Büstenhalter gehörte zu den ersten Modellen mit vorgeformten Körbchen.

In die neue Produktionstechnik, bei der synthetisches Material durch Hitze in Form gebracht wird, hatte Naturana einiges investiert. Dieser Mut zahlte sich aus. „Star ging 40 Millionen Mal über den Ladentisch“, erzählt Höschele. Im Laufe der 70er Jahre traten dann die Feministinnen auf den Plan, und Büstenhalter wurden als Symbol der männlichen Unterdrückung öffentlich verbrannt. Naturana antwortete darauf mit einem Modell mit dem prosaischen Namen „Der passt“ für Frauen, die trotzdem nicht ohne sein wollten, diesen aber zu verbergen suchten. „Der passt“ war aus dünnstem, transparentem Stoff und kam der propagierten Nacktheit recht nah. Zur Renaissance der Miedermoden in den 80er Jahren trug dann unter anderem die Popsängerin Madonna bei, die auf der Kinoleinwand als „verzweifelt gesuchte Susan“ mit schwarzen Spitzenbustiers unter Netzhemden die Damenwelt neu inspirierte.

„Der Star“ war das erste Modell mit vorgeformten Körbchen

Der Star der 90er Jahre wurde der Minimizer, den Naturana 25 Millionen Mal verkaufen konnte. Er verringert optisch die Körbchengröße und ist heute „unser bestes Produkt“, wie Höschele sagt. „Die Frauen werden tendenziell immer stärker“, begründet er den Erfolg. Obwohl die Damenwelt glaube, 75 B sei die geläufigste Größe, verlasse vor allem Ware ab Körbchengröße C das Lager.

Nach der Jahrtausendwende folgte auf die optimierte Elastizität die bessere Atmungsaktivität in Form des Modells Spacer. Die Materialinnovation nennt sich Abstandsgewirke, ein doppelflächiges Textil, dessen Schichten durch Fäden auf Abstand gehalten werden und damit angenehm kühl auf der Haut liegen. Als Nächstes steht bei Naturana der Eintritt ins Ökozeitalter bevor. Erste Kollektionen aus Biobaumwolle sind schon auf dem Markt.

In den Nähstuben konnten sich die Frauen ein Zubrot verdienen

Dass Naturana stets mit der Zeit ging, erklärt aber nur teilweise, warum die Firma „den Kannibalismus in der Branche“, wie Höschele das nennt, überstanden hat. „Im Südwesten tummelten sich einst mehr als hundert Firmen auf dem Markt“, sagt er. Während der Wirtschaftswunderjahre, als in Gomaringen Vollbeschäftigung herrschte, öffnete Naturana an die 50 Nähstuben in den ländlicheren Regionen der Schwäbischen Alb und im Schwarzwald, wo sich Hausfrauen ein Zubrot verdienen konnten. In Gomaringen gab es kaum noch Familien, die nicht direkt oder indirekt im Dienste von Naturana standen. „Der erste Mittagsgong erging um 11.45 Uhr und galt den Frauen, damit sie das Mittagessen aufwärmen konnten. Punkt zwölf kam der Gongschlag für die Männer“, erzählt Höschele.

Eine weitere Erklärung, warum die Konkurrenz Naturana nicht viel anhaben konnte: „Wir decken alles ab“, sagt Höschele. Von Größe 70 A bis 115 E – bei H&M ist in der Regel bei Größe 85 D Schluss. Vom Still-BH bis zum Prothesen-BH. Vom SB-Warenhaus über den Fachhändler bis hin zu Amazon & Co. Den Trend zum Internethandel sieht Höschele allerdings mit gemischten Gefühlen. „Die gestandene Miederwarenverkäuferin, die eine Kundin abmessen kann und sofort weiß, welches Teil sie in die Kabine geben muss, sie ist selten geworden“, bedauert er. Das erkläre auch, warum heutzutage jede zweite Frau mit der falschen BH-Größe herumlaufe.

Bei dem überaus komplexen Textil zählt jede Naht

Denn die Wahl der richtigen Größe und des richtigen Textils entspricht bei dem „dreidimensionalen Produkt“ fast einer Wissenschaft, wenn man noch das Lungenvolumen oder die Asymmetrie der Brust berücksichtige, sagt Jutta Zmaila. Die Produktmanagerin weiß um die Bedeutung jeder einzelnen Naht des komplexen Textils, das aus 20 bis 60 Teilen bestehen kann und immer in Handarbeit genäht werden muss. Neulich habe sie erstmals einen 3-D-Scanner ausprobiert, der ihr umgehend ihre korrekte Größe ausspuckte und dazu ihr Lieblingsmodell empfahl. „Ich bin gespannt, welchen Einfluss die Technologie auf unsere Branche haben wird“, sagt sie. Vielleicht stärkt sie wieder den Fachhandel? Die ersten Scanner sind bereits in drei europäischen Großstädten im Einsatz.

Breit aufgestellt hat sich Naturana aber auch geografisch. Jutta Zmaila kennt die unterschiedlichen Vorlieben ihrer Kundinnen. „Die Französinnen mögen es tendenziell etwas knapper, transparenter, mit viel Spitze. Die Deutschen bevorzugen eher den gefütterten BH. In den arabischen Ländern darf die Ware farbenfreudig und verziert sein. In Israel werden eher schlichte, naturfarbene Modelle nachgefragt.“ Nicht vertreten ist Naturana auf dem asiatischen Markt, wo wiederum ganz eigene Ansprüche an die Unterwäsche gestellt werden. „Noch nicht“, sagt Höschele. „Wir kümmern uns gerade um eine Lizenz.“

Wie es bei Naturana weitergehen wird? Auf die nächste Pressekonferenz brauche nicht mehr so lang gewartet zu werden, sagt der Marketingleiter Peter Hack. Anvisiert sei der März des kommenden Jahres, wenn das Museum eröffnet.