Iris Apfel war Innenarchitektin, unter anderem für neun Präsidenten der USA. Im hohen Alter arbeitete sie als Model. Jetzt wird sie 100. Was man von ihr lernen kann.

Bauen/Wohnen: Tomo Pavlovic (pav)

Stuttgart - Mal ehrlich: Jeder will alt werden, niemand alt sein. Ab einem gewissen Alter zieht die Schwerkraft immer stärker an Haut und Haaren, das eigene Spiegelbild ist eine Zumutung, man kämpft mit den Pillendöschen und der Erinnerung an bessere Tage. Normalerweise. Aber was ist schon normal, wenn man Iris Apfel betrachtet. Die Stilikone feiert am Sonntag einen runden Geburtstag: Sie wird einhundert Jahre jung! Tatsächlich sind Demenz und Dezenz nicht die Begriffe, die einem beim Anblick der 1921 im New Yorker Stadtteil Queens geborenen Iris Apfel in ihren flamboyanten Kleidern einfallen. Ihre Markenzeichen? Armreifen, so dick wie Dichtungsringe aus dem Baumarkt. Eine silberne Haartolle. Der rote Lippenstift. Und natürlich das absurd große Brillengestell. Trotzdem war und ist Iris Apfel keine jugendwahnsinnige Ulknudel, im Gegenteil. Das Überkandidelte hat Methode, das älteste Model der Welt besitzt ein Gespür für die Kombination von Farben und Materialien.

 

Schon die Mutter von Iris führte eine Modeboutique

Wen wundert’s? Ihre Mutter führte eine Modeboutique, ihr Vater arbeitete als Glaser und Einrichter. Iris Barrel, so ihr Mädchenname, studierte Kunstgeschichte, ehe sie im Jahr 1948 Carl Apfel heiratete und mit dem sie die Designfirma Old World Weavers gründete. Iris und Carl Apfel waren in der New Yorker Oberschicht gut vernetzt. Zu ihren Kunden zählten Prominente wie Greta Garbo oder Estée Lauder. Das machte sich bezahlt, so dass sie gleich für neun Präsidenten – von Harry S. Truman bis zu Bill Clinton – die stoffliche Innengestaltung des Weißen Hauses übernahmen.

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Nur als Jackie Kennedy ins Weiße Haus einzog, blieb der Auftrag aus. Diese First Lady war bekanntlich in Sachen Design und Mode selbst- und stilbewusst genug, um das Weiße Haus nach eigenen Vorstellungen mithilfe eines Pariser Innenarchitekten auszustaffieren. Carl Apfel übrigens starb 2015, und zwar im Alter von 100 Jahren. Iris und Carl Apfel waren bis zu seinem Tod verheiratet, ihre Ehe blieb kinderlos.

Mit Mitte 80 hatte Apfel ihren Durchbruch

Iris Apfel beherrscht die Kunst der Verhüllung und Ablenkung durch eine schrille, theatrale Kostümierung, die so wenig Haut wie nur möglich offenbart. Ihr Stil: schamlos und schamhaft zugleich. Alterslos. Dieses modische Talent wurde aber erst sehr spät entdeckt, mit Mitte 80. Damals zeigte das berühmte Metropolitan Museum of Art in einer Schau mehr als 80 Outfits und zahllose Accessoires aus Iris Apfels großer Sammlung.

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Es war das erste Mal, dass man in diesem Kunsttempel der Moderne den Stil einer noch lebenden Frau adelte, die keine Modeschöpferin war. Das war genau zu jener Zeit, als die namhaften Designer und ihre Supermodels in Paris, Mailand und New York an Ansehen verloren. Die Stile der Straße, nicht die Kreationen auf den Laufstegen wurden maßgeblich für das, was sich heute Mode nennt. Und Iris Apfel wusste wieder einmal früher als andere, worauf es ankam: auf Originalität und Individualität.

Ihr Motto: Mehr ist mehr – und weniger ist langweilig

Ihre opulenten Inszenierungen machen Spaß. 2019 schloss Iris Apfel mit 97 Jahren bei der Modelagentur IMG einen Vertrag als Model ab, seitdem ist sie eine Kollegin von Kate Moss und Gigi Hadid und verdient Geld mit Kampagnen für Aigner und Citroën oder entwirft wie kürzlich eine komplette Kollektion für einen Brillenhersteller. Die Firma Mattel hat vor Jahren eine Barbie-Puppe mit ihrem unnachahmlichen Look auf den Markt gebracht. Auf Instagram folgen ihr Millionen Menschen, denen sie das Motto „More is more, and less is a bore“ präsentiert: Mehr ist mehr, und weniger ist langweilig.

Für diesen Ruhm arbeitet Iris Apfel hart und diszipliniert, ausgerechnet in einer Stadt wie New York, die angeblich nie schläft und das Altern ignoriert – und in einer Branche, in der vor allem modelnde Frauen schon jenseits der 30 um ihre finanzielle Existenz bangen müssen. Inzwischen geht Apfel – eigenen Angaben zufolge gegen Corona geimpft – auch wieder vor die Tür und trifft sich mit Freunden, wie sie per Instagram dokumentiert. „Ich wollte nie ein alter Griesgram werden“, bekundet die Geschäftsfrau, Sammlerin und Stilikone in ihrem Buch „Accidental Icon. Stil ist keine Frage des Alters“. Man darf auch heute noch altern, ohne unsichtbar zu werden. Das ist dieser wunderlichen Frau überzeugend gelungen.