Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Dienstag. In der Schorndorfer Gaststätte Harmonie trifft sich die Initiative für K 21 zum wöchentlichen Stammtisch. Ernst Delle verteilt die Tagesordnung, sie umfasst Punkte wie „Berichte“, „Termine“ und „Öffentlichkeitsarbeit“. Kürzlich ist die Gruppe mit 300 Gleichgesinnten in einem Sonderzug zu einer Kundgebung nach Bonn gefahren. Am Stammsitz des Eisenbahn-Bundesamtes haben sie auf die „desolate Entwicklung der Schieneninfrastruktur in Deutschland“ hingewiesen. Das war eine schöne Abwechslung zu den Flugblattverteilaktionen am Schorndorfer Bahnhof und dem monatlichen Informationsstand am Markt. Manche Passanten schimpfen im Vorbeigehen: „Steht ihr Idioten noch immer hier? Habt ihr nicht kapiert, dass Stuttgart 21 schon gebaut wird?“ Einmal kam ein faules Ei geflogen. Es traf Eva-Maria Gideon.

 

Im Vergleich zu Ernst Delle, der mit leiser Stimme und nackten Zahlen argumentiert, wirkt Eva-Maria Gideon geradezu forsch. Die 57-Jährige schimpft am Harmonie-Stammtisch über die Arroganz der Mächtigen und stellt die These auf, dass Wirtschaftsbosse und Politiker absichtlich den Bahnverkehr schwächen wollen, damit mehr Autos verkauft werden. Schon heute sei der Regionalexpress, mit dem sie nach Bad Cannstatt zur Arbeit pendle, ständig verspätet: „Und mit Stuttgart 21 wird alles noch schlimmer!“ Womit der Ball wieder beim pensionierten Physiklehrer Delle liegt, der die Gideon-Prophezeiung mit einer minutengenauen Berechnung untermauert, wie sich die von der Bahn geplante Streckenführung zum Flughafen bis hinab ins Remstal negativ auswirkt. Selbstverständlich hat Delle auch die Filder-Erörterung live miterlebt.

Wofür der Stress? Wozu weitere Podiumsdiskussionen mit Titeln wie „Bürgerbahn statt Renditewahn“? Warum geben Ernst Delle und Eva-Maria Gideon nicht einfach auf? „Weil ich beim Thema Atomkraft erlebt habe, dass die Politik doch noch zur Vernunft gekommen ist“, sagt er. „Weil man auch mal an einer so wichtigen Sache dranbleiben muss“, sagt sie. Und so wird man hartnäckige Stuttgart-21-Gegner wie Ernst Delle und Eva-Maria Gideon weiterhin beim Wasserwerfer-Prozess, bei den Montagsdemonstrationen und beim Unterschriftensammeln in Fußgängerzonen treffen. Erst wenn der letzte Tunnelkilometer gegraben, die letzte Kostensteigerung verkündet und der letzte Zug aus dem alten Kopfbahnhof gerollt ist, werden sie akzeptieren, dass sie Stuttgart 21 nicht stoppen können.