Lokales: Mathias Bury (ury)

Die oft an Abszessen an den Armen erkennbaren Abhängigen verachteten ihrerseits die anderen Prostituierten. „Die haben sich gesagt: Wie kann man nur so verrückt sein, das zu machen, wenn man nicht suchtkrank ist“, erinnert sich Sabine Constabel. Noch bis in die 90er Jahre gab es einen Drogenstrich in der Stadt, lange Jahre waren nahezu alle auf den Straßen anzutreffenden Huren drogensüchtig. Dies nicht zuletzt deshalb, weil Therapieplätze fehlten. „Wir haben zeitweise so viele Spritzen wie Kondome ausgegeben“, sagt Sabine Constabel. Das Phänomen Drogenstrich war bald verschwunden, als in Stuttgart die Drogensubstitution eingeführt wurde und die Süchtigen den Ersatzstoff Methadon bekamen. „Die letzten Spritzen haben wir vor 15 Jahren verteilt.“

 

Zur Verschärfung der Situation trug eine städtebauliche Entscheidung bei: der Bau des Schwabenzentrums in der City, dem die „Vereinigten Hüttenwerke“ weichen mussten. Stuttgarts zentrales Amüsierviertel mit Tanzbars, Striplokalen, Bordellen und Beatclubs, die zu einem guten Teil nur in Baracken untergebracht waren, soll damals nach der Reeperbahn das zweitgrößte Rotlichtquartier der Republik gewesen sein. Der Abriss des vom früheren Oberbürgermeister Klett als „Sündenbabel“ titulierten Komplexes, in dem sich Einheimische und GIs tummelten, hatte Folgen. Jetzt drängte das Milieu stärker auf die andere Seite der Hauptstätter Straße ins Leonhardsviertel und ins Bohnenviertel, machte sich dann mit dem Straßenstrich auch im nahe gelegenen Heusteigviertel breit. Entlang der Olgastraße etablierte sich ein „Babystrich“. „Das war ein riesiges Problem“, sagt Wolf Gläser vom Stadtplanungsamt. Noch heute zeugen die Tag- und Nachtschranken in dem Gründerzeitviertel, mit denen man den Verkehr in dem Wohnquartier eingedämmt hat, von den zuletzt erfolgreichen Abwehrmaßnahmen. Die waren zunächst hart umkämpft. „Die Zuhälter haben am Anfang die Abschrankungen mit Ketten am Fahrzeug rausgezogen“, so Gläser. „Das war ein richtiger Kleinkrieg.“

Sex im Wohnwagen

Auch die Wohnwagenprostitution hat sich in Stuttgart nicht gehalten. Jahrzehntelang standen in Wangen beim Schlachthof an der Ulmer Straße Prostituierte mit ihren Campingwagen, ebenso an der Stresemannstraße auf dem Killesberg. „Die sind der Marktwirtschaft zum Opfer gefallen“, sagt Hauptkommissar Hohmann. Käuflicher Sex im Wohnwagen „in schaurigen Gegenden ohne Sicherheitsinfrastruktur“ sei für die Freier wohl nicht mehr attraktiv genug gewesen. Als zwei Ungarinnen es vor wenigen Jahren unter der Zacke-Brücke an der Neuen Weinsteige noch mal mit der Wohnwagenprostitution versuchten, fanden sie durchaus männliche Kundschaft. Doch der Protest im Umfeld war so groß, dass sie schließlich von dannen zogen.

Immer wieder ging es im Milieu überaus gewaltsam zu. Anfang 1988 verhaftete die Polizei 18 Zuhälter, weil sie beim Kraftwerk in Münster und an der Ulmer Straße in Wangen Frauen brutal ausgebeutet hatten. Im Juli 1987 fand man in einer Absteige an der Leonhardstraße die Leiche von Ute D., sie war nach Schlägen auf den Hals erstickt. Und schon Anfang des Jahrzehnts waren drei Prostituierte getötet worden. In den Jahren 1991, 1994 und 1996 wurden dann drei Kosovo-Albaner und ein Bosnier mit Beziehungen ins Milieu erschossen. Ebenfalls im Jahr 1996 fand man die 26 Jahre alte spanische Prostituierte Francisca Victoria Martinez Garcia erschlagen auf einem Lüftungsgitter am Bopser.