Die Goldenen Zitronen haben am Montagabend im Schocken herumgeturnt, gegen Investoren agitiert und den Punk-Opis im Publikum Feuer unterm Hintern gemacht. Zum Aufwärmen gab es eine leicht masturbative Dame im Ganzkörper-Synthesizer.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Bevor die Goldenen Zitronen den Stuttgarter Club Schocken zerlegen, fühlt man sich eher wie bei einem Abend für Punk-Opis. Die unerhörte, fast masturbative Performance der als lebender Synthesizer auftretenden Künstlerin Monsterfrau ist gerade vorbei und ihr Technikkoffer mühsam von der Bühne geschafft. Einer aus der besagten Fraktion Punk-Opi – Bier in der Hand, Nasenfahrrad – schwingt seinen Hintern etwas mühselig darauf. „Endlich ein Sitzplatz!“, ruft er aus und bleibt sitzen, den ganzen Abend lang.

 

Sitzplätze sind an diesem Montagabend tatsächlich rar im Schocken. Die Goldenen Zitronen sind da. Und dieser Umstand zieht. Punk-Rentner, aber nicht nur. Sondern auch junge Anhänger des deutschen, genauer: norddeutschen Fun(k)-Soul-Punk, die Die Sterne mögen und sich wahrscheinlich das letzte Stuttgarter Konzert von Superpunk angesehen haben, im Mai 2012 an selber Stelle. Und dann noch viele Freunde des Popdiskurses oder Diskurspops.

„Als die Zitronen in den Achtzigern im Umfeld besetzter Häuser und ungehorsamer Fun-Punker anfingen, war ihre Botschaft an die Linke, dass die doch auch mal die ästhetische Seite ihres Selbstverständnisses betrachten möge; erkennen, dass auch ihre kulturellen Gewohnheiten, Vorlieben und Umgangsformen nicht unschuldig sind, etwas bedeuten, zur Debatte stehen – in enger Verbindung mit den politischen Inhalten“, analysiert Diedrich Diedrichsen anlässlich der Veröffentlichung des aktuellen Zitronen-Albums „Who’s Bad“ in der Süddeutschen Zeitung. „Anachronistisch und zeitgemäß“ sei das, was die Zitronen im neunundzwanzigsten Jahr ihres Bestehens abgeliefert haben, so Diedrichsen weiter. Neues aus der Vergangenheit.

Nach dem Abend im Schocken kann man nur sagen: Recht hat er.

Würdevoll gealterte saucoole Typen

Musikalisch macht den Goldenen Zitronen keiner was vor. Das weniger, weil die sechs nach fast jedem Song die Instrumente munter durchwechseln. Sondern weil diese würdevoll gealterten Herren einfach mitreißende Musik machen. Sie vermischen die Energie des Punk mit dem unterkühlten Soul, den vor allem Hamburger Gruppen wie zum Beispiel die genannten Superpunk kultiviert haben. Der Frontmann Schorsch Kamerun hüpft in einer Mischung aus unbeholfen und völlig enthemmt über die Bühne, während der kettenrauchende Enno Palucca am Schlagzeug noch viel unbeteiligter dreinblickt als etwa Stones-Drummer Charlie Watts. Auch das neben Kamerun einzige verbliebene Gründungsmitglied Ted Gaier ist, Entschuldigung für das platte Lob, ein saucooler Typ mit fantastisch kaputtem Gitarrenverstärker und herrlich ramponierter Gitarre.

So geben die Zitronen anderthalb Stunden und drei Zugaben lang Gas, wirken zwischenzeitlich selbst überrascht, mit wie viel Energie sie auf die Schocken-Bühne gestürmt sind. „Sind wir zu aufgedreht?“, fragt Schorsch Kamerun nach den ersten Songs. Nein, seid ihr nicht! Ganz im Gegenteil, die Performance passt gut zur Musik; zur entfesselten Percussion von Stephan Rath und zu den flirrenden Synthesizern – wir sind hier ja musikalisch in den Achtzigern, oder eben im Jetzt. Das verschwimmt in diesen retrofrohen Tagen schon mal.

Willkommen in der „Hanns-Martin-Halle“

„Jetzt auch mit Melodien!“ – so sind Die Goldenen Zitronen angekündigt, und den Anspruch halten sie. Zwar ist Schorsch Kameruns Auftritt (vielleicht auch wegen dessen Nebenprojekten als Regisseur) oft ans Theaterhafte und den Sprechgesang angelehnt. Die ebenfalls leicht theatermäßige Musik seiner Band mit all den Stakkati, Zwischenrufen und Schrägheiten treibt den Zuhörer in bester Krautrock-Tradition vor sich her; Synthesizer und Percussion geben die nötige Tiefe und der Sound im Schocken ist ganz hervorragend und klar.

Das Wichtigste an diesem Abend: Die Goldenen Zitronen spielen ein politisches Konzert. Das war angesichts des bisherigen Schaffens dieser Band zwar auch kaum anders zu erwarten, aber man kann das schon einmal explizit feststellen. Schorsch Kamerun redet von der „Hanns-Martin-Halle“. Das ist natürlich nicht mangelnder Ortskenntnis geschuldet. Vielmehr will Kamerun „diesen Nachnamen nicht aussprechen“. Arbeit gegen Kapital, die alten Kämpfe – so etwas schwingt da mit. Achtziger Jahre eben.

Der Investor

Ein bisschen Zeitgeist-Kritik ist dann auch noch drin, als Kamerun in Richtung Galerie schaut, zu „denen da oben“. Wie passend, dass von denen da oben auch noch eine ständig in ihr Smartphone schaut. Was den Zitronen da unten beim Fußvolk, bei den Punks, natürlich auffällt. „Die da oben kriegen ja vieles gar nicht mit“, sagt Kamerun und singt den Text des dritten Song des aktuellen Zitronen-Albums, Der Investor, vom Blatt ab: „Hey, hello, hello / Hier spricht der Investor / Hey hey hey, hello / Wir haben hier Großes vor“.

Das passt zum Stuttgart anno 2013, wo immer mal wieder Investoren Großes vorhaben und die da unten – also die Zitronen und ihre aufmerksamen Hörer – das Nachsehen haben, zumindest gefühlt. Dagegen anzusingen wirkt anachronistisch. Stimmt schon. Aber was bleibt einem anderes übrig? „Wenn’s euch nicht passt, dann findet halt eine andere Methode“, hat Monsterfrau bei ihrem Einheizer-Auftritt ins Publikum geschrien.

Subversiv ist weiterhin aktuell, und wenn man dafür wie Monsterfrau rund um die erogenen Zonen Knöpfe und Regler anbringen muss, die den Ganzkörper-Synthesizer steuern. Oder wie Schorsch Kamerun freischwingend an den Stangen im Schocken rumturnen. Man ist hier schließlich unter Punks, egal wie alt.